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Ausgabe:

1904 Nr. 26

Spalte:

712-713

Autor/Hrsg.:

Herold, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Der göttliche und der menschliche Faktor im Bestande der Heiligen Schrift 1904

Rezensent:

Lobstein, Paul

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7ii

Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 26.

712

(p. XXVI) oder doch hauptfächlich durch den Hinweis
auf das Speculum für echt erklärt. Nun nimmt B. in
Beziehung auf das Speculum im ganzen den Standpunkt
Tilemanns ein, er erklärt es für eine Kompilation vom !
Jahre 1318, die fich hauptfächlich auf die Schriften Leos
gründe (p. LXVIII). Wenn nun aber doch ein Kompilator
nicht nur ein Abfchreiber ift, fo darf feine
Arbeit nicht ohne weiteres als Zeugnis Leos verwertet
werden, namentlich in folchen Kapiteln, wie c. 1 u. 55,
die fchon Sabatier für die am meiden alterierten erklärt 1
hat. Es ift vielmehr, wie ich fchon Tilemann in diefer
Ztfchr. 1902 S. 596 entgegengehalten habe, eine Auf- j
gäbe für (Ich, auszufcheiden aus dem Speculum, was |
wahrfcheinlich Leo und was dem Kompilator zugehört;
das ift freilich eine Aufgabe, die über den Rahmen einer
Einleitung hinausgeht, und die ich, nach dem mißglückten
Verfuch Minocchis zu urteilen, kaum für lösbar halte.
Aber daß man Schriften, die dem Franziskus zuge- |
fchrieben werden, nicht für echt erklären kann, auf j
Grund von Zeugniffen, die unter Umftänden aus dem
Jahr 4318 flammen, fcheint mir zweifellos.

Überhaupt will mirs fcheinen, als ob B. es fich mit
dem Nachweis der Echtheit doch etwas leicht gemacht
habe, felbft wenn er die Bekanntfchaft mit den viel
eingehenderen Unterfuchungen von W.Götz vorausfetzen
konnte. Die Hinweife, die p. XXVI gegeben find, reichen 1
entfernt nicht zu einem Beweis, noch viel weniger das, I
was z. B. p. XXVIII über die Salutatio b. Mariae ge- |
fagt ift.

Inwieweit die Texte richtig gegeben find, vermag
ich nicht zu beurteilen, da ich hier nicht fachverftändig bin.

Befonders wertvoll an dem vorliegenden Buch ifl die 1
Überficht über die Quellen und die Literatur zur Ge-
fchichte des Franziskus in § 9 der Einleitung und die
Regeften zur Gefchichte des Franziskus und der Franziskaner
1182—1340 S. 123m Die Quellenüberficht gibt
in Stichworten eine Gefchichte der Traditionsbildung. 1
Freilich mußte B. da auf die Begründung verzichten, und
ich hätte an manchen Orten eine weniger zuverfichtliche
Sprache oder eine Andeutung der beftehenden Meinungs-
verfchiedenheiten gewünfcht. So z. B. vermißte ich bei I
der Befprechung der Legende 3 soc. (p. LXVII) den I
Hinweis auf die doch bedeutfame, von Tilemann mit
Recht hervorgehobene Tatfache, daß in allen Hand-
fchriften der zweifellos echte Begleitbrief und die angeblich
fo fpäte Kompilation miteinander verbunden find, ]
daß der Brief nicht ohne die Legende und die Legende
nicht ohne den Brief fich findet; ob die Erklärung B.s
begründet ifl, daß in der Urfchrift ,höchft wahrfcheinlich'
der urfprünglich zu den Cedulae Leonis gehörende Begleitbrief
zwifchen Spec. per/, und der Leg. 3 soc. ge- |
ftanden habe und daher fälfchlich von den Abfchreibern
auf die Legende bezogen worden fei, kann ich nicht
beurteilen.

Auch in den fo erwünfchten und forgfältig be- [
arbeiteten Regeften hätte vielleicht da und dort ein j
kurzer Hinweis auf beftehende Meinungsverfchiedenheiten
nichts gefchadet. So ift z. B. das Mattenkapitel aufs
Jahr 1221 verlegt, womit ich fachlich durchaus einver-
ftanden bin; aber trotz meiner eingehenden Begrün- 1
düngen ift der Streit um das Datum keineswegs zur
Ruhe gekommen und eine allgemeine Anerkennung ift
nicht erreicht. Die fo beftimmte Verwendung des Datums
p. XLVI und 128 könnte einen Nichtfachkundigen
irreführen.

Die kürzere Ausgabe ift für Seminarübungen berechnet
; auch da redet mir die ganz kurze Einleitung
viel zu ficher; es ift faft kein Satz, wo ich nicht ein
Fragezeichen beifetzen möchte.

Stuttgart. E. Lempp.

—- .

Herold, Pfr. Wilhelm, Der göttliche und der menschliche Faktor
im Bestände der Heiligen Schrift. Fingerzeige zur Klarheit
über eine brennende Frage. Für angehende
Theologen und gebildete Laien herausgegeben. Gütersloh
1904, C. Bertelsmann. (VII, 124 S. gr. 8.)

M. 1.60; geb. M. 2.25

Diefe ,für angehende Theologen und gebildete Laien'
beftimmten ,Fingerzeige zur Klarheit über eine brennende
Frage' ftellen in einem erften Kapitel (1—36) ,das Vorhandenfein
eines menfchlichen und eines göttlichen Faktors
' in der Bibel feft. Wenn der Verf. ,die Eigenart, die
die Bibel mit der gefamten literarifchen und gefchichtlichen
Überlieferung auf allen Lebensgebieten der Menfchheit
gemein hat', unter die .menfchlichen Schwächen' derfelben
rechnet, fo ift diefer Ausdruck mißverftändlich und irreführend
. Mit offenem Sinn für den wirklichen Tatbeftand
befchreibt H. die der H. S. zukommenden Eigenfchaften,
nennt fie ,in erfter Linie ein Gefchichtsbuch' (4), erinnert
daran, daß fie nach ihrem eigenen Selbftzeugnis ,nicht
auf andere Weife geworden fei, als fonft literarifche Er-
zeugniffe entftehen' (5), und führt eine Reihe wichtiger
Züge auf, aus denen der Charakter der Bibel als einer
Sammlung gefchichtlicher Urkunden unzweideutig hervorgeht
. Wenn aber diefe in dem Wefen der Schrift begründeten
Merkmale als Schranken und Mängel empfunden
und beurteilt werden, fo fcheint ein folches Urteil eine
Verfchiebung der Frage vorauszufetzen: ifl dasfelbe doch
nur als eine Nachwirkung der Anficht zu erklären, nach
welcher jene menfchlichen Eigentümlichkeiten ein Herabfinken
von der Höhe darflellen, die das Bibelbuch als
Wort Gottes behauptet. Es ift übrigens fehr dankenswert
, daß der Verf. eine Reihe der bekannten Ausfprüche
Luthers über einzelne altteftamentliche oder neuteftament-
liche Schriften mitteilt, an welche fich auch feltener zitierte
anreihen; denn oft genug gelten noch jene Urteile in den
Augen vieler angeblich lutherifcher Theologen als wilde
Schößlinge des Genius unferes Reformators. — Den göttlichen
Faktor, den der Glaube in der heiligen Schrift wahrnimmt
, legt H. in Ausführungen dar, die fich häufig an
Frank, Cremer und Kähler anfchließen; aber auch von
H. Schultz, E. Haupt, Kaftan und Herrmann weiß er zu
lernen, wie es ihm denn fichtlich darum zu tun ift, einen
theologifchen Confenfus in der Bearbeitung des locus de
scriptura sacra zu gewinnen und aktenmäßig darzutun.
Ob ,die Selbftbezeugung Gottes durch das Wort der
Schrift', auf welche H. das Hauptgewicht legt, fich einfach
mit dem altorthodoxen Theologumenon von dem
testimonium Spiritus sancti internum deckt (33), dürfte
mit Grund bezweifelt werden.

.Diefelben Faktoren, die in Jefu Natur fich zu geheimnisvoller
Einheit verbinden, follen im Wefen der
Bibel in ihren wechfelfeitigen Beziehungen und in ihrer
relativen Selbftändigkeit erkannt werden' (37): diefem
Problem ift das 2. Kapitel (37—93) der Schrift H.s gewidmet
. Die fcharfe Kritik, welcher der Verf. die ,Ver-
irrung der altorthodoxen Infpirationstheorie' unterwirft,
erinnert an Franks treffende Ausführungen. Auch in der
Auffaffung der göttlichen Offenbarung folgt er Anregungen
, die er von demfelben erhalten hat. ,Wenn aus dem
Herzen Gottes heraus durch das heilfchaffende Wort
feiner Gemeinde der belebende und erleuchtende Strahl
der Gnade und Wahrheit bis zu ihm, dem natürlichen
Menfchen, gelangt ift und denfelben zu einer chriftlichen
Perfönhchkeit umgefchaffen hat, dann, und nur dann, hat
derfelbe in diefer inwendigen Erfahrung die Gewähr, daß
die Gedanken Gottes real und kund geworden find, daß
eine übernatürliche Offenbarung ihn in ihre Wirkungs-
kreife gezogen hat' (47—48)-. Wie in feiner Bearbeitung
des Infpirationsbegriffs H. mit dem Intellektualismus der
alten Schulen gebrochen, fo hat er auch die Frageftellung
der hergebrachten Prolegomena verlaffen, indem er fich