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Ausgabe:

1904 Nr. 26

Spalte:

703-706

Autor/Hrsg.:

Fiebig, Paul

Titel/Untertitel:

Altjüdische Gleichnisse und Gleichnisse Jesu 1904

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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703 Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 26. 704

bende Gewinn dürfte aber ein minimaler fein. Man wird
faft nirgends überzeugt, daß es fo fein muß und nicht
anders fein kann.

Göttingen. E. Schürer.

Fiebig, Infp. Lic. Paul, Altjüdische Gleichnisse und die Gleichnisse
Jesu. Tübingen 1904, J. C. B. Mohr. (VII, 167 S. 1
gr. 8.) M. 3.-

Den Kern des Buches (S. 14—73) bildet eine Sammlung
fpätjüdifcher Gleichniffe oder gleichnisartiger Reden,
fie find fämtlich (53 an Zahl) der Mechilta entnommen, t
einem halachifchen Midrafch, über deffen Abfaffungsver-
hältniffe Fiebig dem Lefer etwas mehr, wenn auch noch
fo vorfichtig, hätte mitteilen dürfen.

Fleiß, peinliche Sorgfalt, Sprachkenntnis und — in
Talmudicis faft das wichtigfte Charisma — Unbefangenheit i
gehören zur Ausrüftung diefes jungen Forfchers; wenn er j
weiter arbeitet wie bisher und noch einige Andre zur Mitarbeit
zu gewinnen verfteht, fo wird er ficher dasBefte beitragen
, um das in theologifchen Kreifen, wie er immer
wieder beklagt, verbreitete Vorurteil zu überwinden, als
fei die hebräifch-jüdilche Literatur um ihres nachchrift- j
liehen Urfprungs willen zum Verftändnis des NTs nicht j
verwendbar, oder als verlohne fich wenigftens deren müh-
fames Studium nicht. Man mache den Talmud wirklich |
zugänglich, fo wird er fchon befucht werden.

Die Grundfätze, von denen fich F. bei der Uber- {
fetzung leiten läßt, namentlich die Scheu vor dem Glätten
und Modernifieren, find gefund, die Beifügung von erklärenden
Notizen verdient nach Form und Inhalt Dank;
nur vergißt F. in den Anmerkungen unter dem Text
manchmal, auf was für Lefer er zu rechnen hat, und be- :
handelt fie gar zu wohlwollend. Das Weg heißt,
möchte man nicht erft hier lernen, und wozu werden j
plötzlich wie S. 79, 133 ganze Gruppen hebräifcher und
griechifcher Worte lateinifch gedruckt?

Sonft hätte ich gegen diefen erften Teil des Buchs
wenig einzuwenden, Vollkommenheit erreicht da Niemand
. Mißglückt fcheint mir nur die Auffaffung Fiebigs
von Nr. 13. Da wird der flüchtige Prophet Jona mit dem
Knecht eines Priefiers verglichen, der fich vor feinem
Herrn in eine Gräberftätte verfteckt und meint, der durch
das Reinigkeitsgefetz gebundene Priefter könne ihm dorthin '
nicht folgen — als ob dem nicht andre Knechte zum
Herausholen des Entwichenen zur Verfügung ftänden!
Wenn hier F. in das Selbftgefpräch des Jona einmal ein-
flicht ,ich will nicht zu den Völkern fliehen,' das andre
Mal ,alfo fliehe ich zu ihnen,' und wenn er Rückfichtnahme
auf das unbußfertige Ifrael beidemal als zweiten Grund
für Jonas Plan hinflellt, fo ift das eine unerträgliche Kon-
ftruktion. Das ,Nicht' an der erften Stelle ift falfch, und
beidemale nennt Jona nur einen Grund für feine Flucht
nach Tarfchifcb, in unheiliges Land, nämlich den, daß
er fich dort völlig außerhalb des Machtbereichs der
Schechina glaubt. Der Grund für feine Flucht überhaupt
ift der, daß er nicht Völkern (Ninive) zur Buße verhelfen
will, folange Ifrael diefe verweigert; diefer Punkt wird
aber durch das Gleichnis nicht berührt, es will nicht Kritik
an Jonas Fliehen felber, fondern nur an feinem unver-
ftändigen Fluchtplan üben.

Die 2. Hälfte von Fiebigs Buch ftellt diefen jüdifchen
Gleichniffen die Gleichniffe der Evangelien gegenüber;
das Refultat lautet: fo wenig wie die Juden feiner Zeit
habe Jefus reine Parabeln gebildet, hier wie dort liegen
Mifchformen von Parabel und Allegorie vor, ,das Leben
arbeitet nicht nach reinlichen Schematen' S. 163, und die
Originalität der Gleichniffe Jefu beruht nicht auf der Form,
fondern auf dem Inhalt. Die Synoptiker haben Jefu
Gleichniffe nach Wefen wie Zweck richtig verftanden
und das darauf Bezügliche getreu überliefert. Bei Johannes
mahnt F. allerdings S. 167 zur Vorficht in der hiftori-
fchen Verwertung jener Sonderüberlieferungen.

Abgefehen von den S. 77—82 gebotenen Nachweifen
merkwürdiger Übereinftimmung zwifchen Mechilta und
Synoptikern in den Einführungsformeln der Gleichniffe
ift diefer Teil von F.s Werk eine fortlaufende kritifche,
übrigens durchweg in den urbanften Formen fich bewegende
Auseinanderfetzung mit meinen Werk über die
Gleichnisreden Jefu. Meinen einfeitigen und übertriebenen
.Purismus' in der Gleichnisbehandlung auf das rechte
Maß zurückzuführen, ift F.s Hoffnung, und er bezeichnet
als feine Verbündeten Männer von folchem Gewicht wie
das Dioskurenpaar Heinrici und Wellhaufen, denen als
dritter Bugge beigefeilt wird, der gelehrte Norweger, der
meine Befangenheit in der ariftotelifchen Rhetorik und
meine Unfähigkeit, Jefu Perfon und Wirkfamkeit auf dem
Hintergrunde des Gemeinde- und Gedankenlebens feiner
eigenen Zeit zu verliehen, aufgedeckt haben foll.

In der Behandlung feiner Bundesgenoffen ift F.
weniger gefchickt als in der Polemik; das Bild von
Heinricis Stellung zur Parabelfrage, das man durch ihn
erhält, ift recht grau, und Wellhaufen zeichnet er in feinem
Vorwort dadurch aus, daß er nach Anführung eines
Abfchnitts aus deffen Markuskommentar — fchon S. 259
diefer Ztg. habe ich auf die von jener Äußerung drohenden
Gefahren hingewielen — befcheinigt, diefe erlt lange
nach dem Abfchluß von Fiebigs Arbeit bekannt gewordene
Anficht Wellhaufens ,zeige, wie richtig gerade
das Urteil eines Orientaliften über neuteftamentliche Dinge
fein kann', wo mich die Überrafchung über den Verftand
eines Orientaliften faft noch mehr beluftigt als die Lebhaftigkeit
, mit der eine Anficht als Demonftration ihrer
eigenen Richtigkeit genommen wird, — allerdings nicht
,rein' ariftotelifche Logik.

In Fiebigs Angaben über meine Behandlung des
Parabelproblems — mit gutem Grund hebt er hier nur
die Corrigenda heraus — kann ich Einiges doch nicht
ohne Widerfpruch hingehen laffen.

Zu dem Namen eines Ariftotelikers, den ich als einen
Ehrennamen gern akzeptieren würde, bin ich nun auch
bei F. recht unverdient gekommen. Ich habe von Ariftoteles
nur die Namen entnommen und die von ihm als
dem klarften unter allen mir bekannten Rhetorikern hinzugefügten
Begriffsbeftimmungen für die Menge von
Gebilden, die der Hebräer unter dem Sammelnamen
Maschal zufammenfaßt. Es mußte Übereinftimmung ge-
fchaffen werden über das, was man unter Vergleichung,
Gleichnis, Fabel, Parabel. Metapher, Allegorie in der
Debatte verliehen wolle, um die Debatte fruchtbar zu
machen: wer ein wenig in der Gefchichte der Exegefe
Befcheid weiß, kann nicht leugnen, daß die Unklarheit
über diefe Dinge den Fortfehritt der gefunden Erkenntnis
auf unferm Gebiet fchwer gehemmt hat. Und follte etwa
eine femitifche Rhetorik gefchaffen werden, um uns
jene Handreichung zu leiden? Die Zweckbeftimmungen,
die fich aus der pfychologifchen Analyfe des geiftigen
Prozeffes beim Gebrauch der genannten Redeformen ergeben
, habe ich nicht von Ariftoteles entnommen. Die
Exiftenz von Mifchformen habe ich fo wenig geleugnet
wie die Möglichkeit, daß Jefus wie der Metapher fo auch
der Allegorie fich bedient habe; allerdings habe ich
Mifchformen, die eine grobe Beeinträchtigung des Wefens
der ,reinen' Form zur Folge haben, einem Meifter der
parabolifchen Rede, wie es Jefus doch wohl war, nicht
zutrauen mögen. Daß das femitifche Gleichnis eine Größe
für fich ift, die man mit den aus Ariftoteles erhobenen
Begriffen nie zu decken vermöge, würde ich auch Wellhaufen
nicht zugeben, denn ganz die gleichen Erfchei-
nungen, daß das Gleichnis auf mehrere Punkte der verglichenen
Sache paffen kann, und daß Gebilde diefer Art
fich halb als Gleichnis, halb als Allegorie geben, beobachtet
man in den parabolifchen Reden aller Völker.
Leider ift mein Wunfeh unerfüllt geblieben, daß man,
weil eben Ausgangspunkt und Zweck ganz verfchieden
find, das Gleichnis, auch wenn Vergleichendes und Ver-

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