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Ausgabe:

1904 Nr. 25

Spalte:

675-677

Autor/Hrsg.:

Gasser, Johannes Konrad

Titel/Untertitel:

Die Bedeutung der Sprüche Jesu Ben Sira 1904

Rezensent:

Bertholet, Alfred

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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 25.

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fuch, den der Dilettant willkommen heißen mag; für den
wiffenfchaftlichen Lefer ift er kaum erträglich. Wie Mark
übrigens hinter diefer bloßen ,Nicht-ßerückfichtigung'
jeglicher modernen Pentateuchkritik gelegentlich fogar
ein Zerrbild alttraditioneller Auffaffung fpukt, zeigt ein
fo bedenklicher Ausdruck wie der, daß der ,Gelehrte'
Mofe an der Amalekiterfchlacht keinen Anteil genommen
habe (S. 218)!

Bafel. Alfred Bertholet.

Gasser, Pfr. Dr. Joh. Konrad, Die Bedeutung der Sprüche
Jesu Ben Sira für die Datierung des althebräifchen
Spruchbuches unterfucht. (Beiträge zur Förderung
chriftlicher Theologie. Herausgegeben von A. Schlatter
und W. Lütgert. Achter Jahrgang 1904. Zweites und
drittes Heft.) Gütersloh 1904, C. Bertelsmann. (270 S.
gr. 8.) M. 4.80

Es ift die Frage nach dem Unterfchied der Prover-
bien und der Sprüche Jefu ben Sira, welche Gaffer zum
Gegenftand feiner Unterfuchung macht, genauer nach den
Unterfchieden,,welche für die Frage nach der Entftehungs-
zeit des althebräifchen Spruchbuches infofern von Belang

find, als ihre diesbezügliche Tragweite fich vermittelt! j würdig hält, fo bedurfte es doch eines pofitiven Beweifes,

Spruchbuches eine Anlehnung an ein anerkannt nach-
exilifches Erzeugnis der hebräifchen Literatur nachzu-
weifen' (S. 198). Von Jefus Sirach gilt das Gegenteil:
Er hat die atl. Literatur ihrem Hauptbeftande nach (auch
Pfalmen, Proverbien und Hiob) gekannt und in feinem
Buche reichlich und mannigfaltig verwertet (S. 200);
fpeziell die Proverbien hat er nachgeahmt (S. 254). —
Rubriziert hat Gaffer fein Material in diefem dritten Teil
nach dem dreifachen Schema: a) deutliche Anlehnungen,
b) fachliche Anklänge, c) fprachliche Reminiszenzen. Dabei
ift er m. E. in der Verteilung nicht immer glücklich.
Warum ift z. B. (S. 245), daß Sir. 1823 fachlich auf Prv.
2025 zurückgehe, sub a) ftatt sub b) eingereiht?

Gaffers gründliche Unterfuchung fcheint mir feine
Hauptthefe zur Evidenz erhoben zu haben: Proverbien
und Jefus Sirach find nicht die Produkte einer gleichen
Periode. Aber zwifchen 586 und + 180 ift eine lange
Zeit, und daß wir in ihr ,gewiffermaßen einen doppel-
fpurigen Entwickelungsgang des jüdifchen Geiftes', eine
nomiftifch-partikulariftifche Richtung neben einer freieren
verfolgen können, von diefer Meinung vermögen mich
die paar Zeilen, die er S. 269k dagegen fchreibt, nicht
abzubringen. Wenn er für die wefentlichen Beftandteile
der Proverbien nachexilifche Datierung für höchlt frag-

hiftorifcher Anhaltspunkte, wie fie die ifraelitifch-jüdifche ; daß die vorexilifche Zeit Raum bietet für eine gewiffe
Gefchichte darbietet, irgendwie ermeffen läßt' (S. 29). Im j allgemeinmenfchliche Richtung, wie fie in Prov. vertreten

erften Hauptteil ,Der zeitgefchichtliche Hintergrund der
beiden Bücher' lallt in Kap. I: ,politifche und kulturelle
Verhältniffe' das Hauptaugenmerk naturgemäß auf die
das Königtum betreffenden Stellen, die zugunften einer
höhern Anfetzung der Prov. zu fprechen fcheinen. Aus
Kap. II ,Religiöfe Zuftände' nenne ich als ein Haupt-

ift (vgl. dagg. z. B. Mal. 1 u), oder für die Hypoftafe der
Weisheit, nicht zu reden von einzelnen Sprüchen wie
Prv. 164; 222.

Einen befondern Einwand habe ich gegen die Be-
fprechung des Abhängigkeitsverhältniffes des Jef. Sir. von
gewiffen fpäten Schriften zu erheben, über deren Datierung

ergebnis: ,In den Proverbien tritt uns wefentlich noch das j man es noch zur keiner Einigung gebracht hat. Die
klaffifche Gottesbewußtfein des Ifraeliten entgegen; bei Wichtigkeit der Sache ergibt fich aus dem Schluß, den
Ben Sira dagegen weift uns die vielfach deutlich theo- Gaffer aus feiner Unterfuchung gezogen hat: ,So viel

logifierende Art......in eine fpätere Zeit, in diejenige wird man als das geficherte Ergebnis des vorliegenden

des Schriftgelehrtentums' (S. 64). In Gegenfatz zu ihr I Abfchnittes über Sirachs Beziehungen betrachten können,
ftellt der Verf. die Zeit, ,in welcher die Stimme der ifrael. 1 daß es uns durch diefen Schriftfteller deutlich verwehrt
Prophetie noch nicht verklungen war' (S. 72), und meint, i ift, einen erheblichen Teil oder vollends die Mehrzahl der
daß gerade in fie eine Anzahl von Verfen (29, 18; 15, ! Pfalmen erft im 2. vorchriftlichen Jahrhundert entftanden

etc.) das Spruchbuch verweile. Was die religionsge-
fchichtliche Unterfuchung ergeben hat, foll der allgemeine
fchriftftellerifche Charakter beider Schriften beftätigen
(Kap. III).

Der zweite Hauptteil hat es mit der in jedem der
beiden Bücher vorherrfchenden Geiftesrichtung zu tun:
,Stets begegnet uns derfelbe deutlich wahrnehmbare Unterfein
zu laffen' (S. 233). Schon Nöldeke hat mit Recht
davor gewarnt, im literarifchen Nachweis von Abhängigkeiten
von Jef. Sir. zu weit zu gehen (vgl. ZatW 1900, 87).
Ich weiß aber nicht, warum Gaffer in einer ganzen Reihe
von Fällen eine Pfalmftelle (oder eine angefochtene Pro-
phetenftelle) als Original anfpricht, wo fich mit einer
vermutlich oder ficher ältern Stelle wohl auskommen

fchied .... Bei Sirach werden das mofaifche Gefetz, der ließe, fofern es überhaupt einer folchen Originalftelle be-
levitifche Kultus und die durch die Wirkfamkeit der darf. Hier eine Auswahl von Beifpielen. S. 225: Zu Sir.
Propheten begründete Hoffnung Ifraels rückhaltlos und j lua zieht er Pf. III10 heran; aber vgl. Prv. 9m (1,7). Zu
kräftig betont, während fich in den Proverbien von einer Sir. 637b: Pf. 12; aber vgl. Jof. in. S. 226: Zu Sir. 34 (31)
Hervorhebung diefer Dinge keine Spur findet' (S. 117). j 27,1 28a: Pf. 10415; aber vgl. Jdc. 913. S. 227: Sir. 4324 a
Wiederum bildet die nationale Umgrenzung und nomi- W}fff^ = Pf. 1072.3a; aber auch Jef. 4210. Zu Sir. 45i5d:
ftifcheSpezialifierung des Weisheitsbegriffes einen wefent- Pf.8930'; aber vgl. Dtn. 1121. S. 228: Zu Sir. 1111: Pf. 127if.;
liehen Unterfchied zwifchen beiden Büchern (S. 126). aber vgl. Koh. 911 (Koh. fcheint Jef. Sir. in der Tat be-
Zugleich verrät der Weisheitsbegriff, den Jef. Sir. hand- kannt gewefen zu fein, vgl. ZatW. 1900, 92). S. 229: Zu
habt, eine mehr intellektualiftifche Richtung (S. 129). Am Sir. 36 (33)ia: Pf. 9110; aber vgl. Hi. 51«. Zu Sir. 3923b:
unverkennbarften aber foll fich der veränderte Stand- Pf. 10733; aber vgl. Gen. 1310 mit 19. Zu Sir. 12: Ps. 7827;
punkt darin äußern, daß geradezu außerifraelitifche Spruch- | aber vgl. Jer. 15s. Zu Sir. u: Pf. 10311; aber vgl. Jef. 555.
fammlungen in das althebräifche Spruchbuch aufge- j Sir. 22: ab "p?n = Pf. 78s; aber auch Eft-. 710; Hi. IIib;
nommen feien, während Jefus Sirach feiner Abneigung j 1 Sam. 73. Sir. 32 (35)1.3 (11b): a)nJ>31ti n^icn (am Rande
gegenüber den benachbarten heidnifchen Völkern unver- | Qbc) komme fonft nur Pf. 7912 vor; aber f. II Sam. 123
hohlen Ausdruck gibt (S. 166). , (LXX). S. 230: Zu Sir. 3622b (17): Pf 106,; aber vgl.

Als Refultat des dritten Hauptteiles ergibt (ich: ,Das j Ryffel zur Sirachftelle. S. 231: Sir. 4523 : p-Ka -ftay

Verhältnis der Proverbien zum Detail der fonftigen na-

Pf. 10623; aber auch Hef. 2230. Zu Sir. 47:2b: Pf. 161

tionalen Literatur macht nicht den Eindruck, daß Gefetz aber vgl. Dtn. 3312. Zu Sir. 511a: Pf. 1847; aber vgl.
und Propheten abgefchloffen hinter dem Spruchbuch < Mch. 77; Jef. 1710. Sir. 512a: TBSJ <"nS = Pf. 3424; 7123;

liegen...... Es bleibt feine fchriftftellerifche Selbftän- aber vgl. 2 Sam. 49. Sir. 510b: Pf. 8613 + 887; aber vgl.

digkeit und Originalität nicht nur im Vergleich zu den i Dtn. 3222. Ferner foll (S. 218) Sir. 2523c auf Jef. 353 zuübrigen
Hagiographen, fondern auch im Vergleich zur rückgehen; warum nicht auf Hi. 43t? Sir. 4722c auf
Thora und zu den Nebiim fowohl inhaltlich als formell ; Jef. 1422; warum nicht auf Gen. 2123 Hi. 1819? Sir. 508b
wefentlich gewahrt, und fpeziell ift an keiner Stelle des I auf Jef. 30:25; warum nicht auf 444? S. 222: Sir. 1723b auf