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Ausgabe:

1904 Nr. 2

Spalte:

43-46

Autor/Hrsg.:

Perles, Felix

Titel/Untertitel:

Bousset‘s Religion des Judentums im neutestamentlichen Zeitalter kritisch untersucht 1904

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 2.

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ungen Kautzfch's in der ruhigen, vorfichtigen, gegen
Anderungsvorfchläge eher mißtrauifchen Weife gehand-
habt, wie fie Kautzfehs und auch A. Müllers fonftigem
Verfahren entfpricht. Häufig ift durch Punkte für die
überlieferten Buchftaben die Verderbnis einerfeits, die
Unmöglichkeit der Herftellung anderfeits angedeutet. Ob
dabei mit Abficht das eine Mal auch die Zahl der überlieferten
Worte durch größere Zwifchenräume angedeutet

Ganzes es mit der Gefetzeserfüllung ernft genommen habe
(vgl. mein Lehrbuch der neuteflamentlichen Theologie
I, S. 35). Perles felbft zitiert und lobt in diefer Richtung
Oskar Holtzmanns Urteil über die jüdifche Schriftgelehr-
famkeit zu Zeit Jefu (S. 42). Aber auch Bouffet ift nicht
der letzte unter denen, die fich bemühen, Licht und
Schatten gerecht zu verteilen (vgl. die von P. S. 24 f. felbft
beigebrachten Stellen, dazu noch Religion des Judentums

wird (z. B. 3, 21. 7,10. 18, 19), das andere Mal bloß die Zahl | S. 161. 167 t. 392). Aber er hätte nach Anficht feines
der Buchftaben (z. B. 12, 12. 14, 7. 9), erfahren wir nicht. I Gegners von der parteiifchen Beleuchtung, welche die
In großer Vollftändigkeit werden in den Anmerkungen Kvangelien den Pharifäern zu Teil werden laffen, ganz ab-
auch für folche Stellen die vorliegenden Vermutungen : fehen und fich ausfchließlich an die (unparteiifche?) jü-
mitgeteilt, und vielfach fügt der Herausgeber noch neue I difche Tradition halten müffen. Dies führt uns nun auf

Vorfchläge hinzu. Auf das Einzelne einzugehn fehlt
hier der Raum. Die Ausgabe darf als eine wahre Schatzkammer
alles deffen bezeichnet werden, was bis heute
für die Herftellung diefer fchwierigen Texte getan und

den eigentlichen Kernpunkt der Kontroverfe. Bouffet
operiert möglichft mit Quellen, die dem zu fchildernden
Zeitalter felbft angehören, alfo zumeift mit der fogenannten
helleniftifchenundpfeudepigraphifchen,derapokryphifchen

verfucht ift. Daß in 24, 23 im Texte eine Ergänzung ge- j und apokalyptifchen, Perles dagegen mit der rabbinifchen
fordert wird, ohne daß die Anmerkungen eine Erläuter- ; Literatur. ,Für ihn ift eben die ihm aus Mifchna und
ungdazu bieten, dürfte ganz vereinzelt daftehn; als Druck- i Talmud geläufige Gelehrtenfrömmigkeit fofort die jüdifche
fehler weiß ich nur TpIPJ>a ftatt rRj^tt S. 36 Z. 50 und 8b ' Frömmigkeit, und alle andern Zeugniffe von Daniel bis IV
ftatt 9b S. 56 Z. 25 zu nennen. ! Efra repräfentieren natürlich Unterftrömungen' (B. S. 40).

In einem Anhang wird auf S. 70—85 das Mehr und i Er nennt die rabbinifchen Schriften geradezu die ,Haupt-

Minder der LXX fehr ausführlich und forgfältig behandelt.

quellen für die in Frage kommende Periode der jüdifchen

Hier greift der Flerausgeber nur ganz feiten ein; dagegen Religionsgefchichte' (S. 6) und fpielt damit die Kontro-
fcheint die Zufammenfaffung des Ergebniffes auf S. 70f. j verfe auf ein Gebiet hinüber, auf dem er, wie Bouffet
ganz von feiner Hand zu flammen. gefleht, diefem ,als Fachmann gegenüber treten konnte'

Eine ungemein reiche Gabe wird uns in diefer Ab- i (S. 45). Dadurch fcheint fich fein Pofition von vornherein
teilung wiederum geboten. Dem Wiffenden erfetzt fie : günftig zu geftalten. Gibt doch Perles felbft ein zutreffen-
faft einen Kommentar und dient allen vorhandenen zur j des Bild von den Schwierigkeiten, welche die Bewältigung
höchft erwünfehten Fortführung. der weitfehichtigen und unfyftematifchen rabbinifchen

Marburg a. d. Lahn. K. Budde. | Literatur für jeden bietet ,der fich nicht fchon von früher

; Jugend an in diefe Gedankenwelt hineingelebt hat (S. 2f.),

- und im Anfchluffe an ihn hat kürzlich Fiebig es für nahe-

Perles, Felix, Bousset's Religion des Judentums im neu- zu unmöglich erklärt, ,ohne die Hilfe eines Juden in ein

testamentlichen Zeitalter kritisch untersucht. Berlin 1903, , ^k,Hrh Tficfherf und ,unifän?,$f Y^ndnis der

A/r ! jüdifchen Literatur einzudringen'(Talmud und Theologie

W. Peifer. (VI, 133 b. gr. 8.) M. 2.50 j g ^ Daner war es nur weife Selbftbefchränkung,

Bousset, D. Wilhelm, Volksfrömmigkeit und Schriftgelehrten- wenn Bouffet, deffen Abfehen nicht auf die Gelehrten-
tum. Antwort auf Herrn Perles'Kritik meiner „Religion , religion, fondern auf die Volksfrömmigkeit (S. 5 f.), außer-

j . T,,,iont1imp ;»v. xt t -7„.^^n^,« r>„,i: *-u*.~ dem aber auch auf die Benutzung unmittelbar zeitgenöf-

des Judentums im JN. I. Zeitalter . Berlin iqoj, Keutner rr , „ ,, . . 2 . , . .. ,. , , n-b, ,

o i> • u j / /s c on n/r o I fifcher Quellen gerichtet war, fich bezüglich des lalmud

R Reichard. (40 b. gr. 8.) M. —.80 . auf jnamentlich überlieferte Ausfprüche und Erzählungen

Eine jüdifch-chriftliche Kontroverfe von fymptoma- aus dem Leben der älteren Autoritäten von Hillel bis
tifcher Bedeutung für die fich entgegentretenden Stimm- j etwa Akiba' (S. 8) befchränkt und fich jedes Anfpruches
ungen und Tendenzen, aber auch nicht ohne fachliches auf fachmännifche Kenntnis der anderweitigen und fpätern
Intereffe für den Forfcher. Anlaß hat das von mir in ' Literatur ausdrücklich begeben hat (S. 9. 14. 40), fo daß
diefer Zeitfchrift (1903, 369—373) zur Anzeige gebrachte i er mit Berufung auf diefe Differenz in der Auffaffung und
Buch Bouffets gegeben. So wenig ich felbft jemals an- 1 Wertung der Quellen die ganze Flut von Befchimpfungen,
tifemitifchem Zelotismus verfallen zu fein glaube, fo wenig | womit fein Gegner ihn wegen angeblicher Unwiffen-
konnte ich folchen in jenem Werke wahrnehmen, war ; heit und Leichtfertigkeit überfchüttet, ruhig an fich ab-
daher nicht wenig erftaunt, als mir die im Tone gereiz- ■ laufen laffen darf. Es kann für ihn nichts ausmachen,
teften Affektes und tief verletzten Nationalgefühles ge- wenn die von ihm vorzugsweife benutzten Quellen bei
haltene Streitfchrift zu Händen kam. Die Lektüre der- ; feinem Gegner ,nichtoffiziell' heißen (P. S. 22. 34), weil
felben führte mir einen jüdifchen Gelehrten von umfaffen- fie von dem feit der Zerftörung Jerufalems fich dogmatifch
der talmudifcher Gelehrfamkeit vor Augen, der die Po- j verengernden Judentum verworfen wurden. ,Von uns
lemik der Evangelien gegen ,Schriftgelehrte und Pharifäer' i verlangen, daß wir diefe Beurteilung des fpäteren Judenauf
die Ehre nimmt und von einem anftändigen chriftlichen I tums über feine frühere Literatur anerkennen follen, das
Gefchichtfchreiber verlangt, daß er jede folidarifche Haft- j verrät eine ebenfo ftarke dogmatifche Befchränktheit, als
barkeit nach diefer Seite ablehne. Denn da Bouffet felbft wenn katholifche Forfcher wegen des Verdammungsurteils
weit davon entfernt ift, dem N. T. als ,alleinigen Zeugen' i der Kirche Origenes nicht als Vertreter altkirchlicher
(fo P. S. 24, vgl. auch S. 37. 78) das entfeheidende Wort ! Frömmigkeit und Wiffenfchaft gelten laffen wollten'(S. 10).
zu belaffen (die Religion des Judentums S. 116), fo richtet ! Es ift ja richtig, daß jene griechifchen Quellen ihre Er-
fich der Einwurf feines Gegners fachlich allerdings zu- I haltung meift chriftlichen Händen verdanken. Aber das
letzt dagegen, daß es überhaupt als Gefchichtsquelle gilt ja, wie Oort geltend macht (Theologifch Tijdfchrift
benutzt wird (S. 33). Bisher beftand zwifchen jüdifchen j XXXVII, S. 446 f.), auch von LXX. Andererfeits darf
und chriftlichen Darftellern ein anftändiger modus vivendi, Bouffet einem guten Teil der offiziellen' Quellen, über
vermöge deffen einerfeits die Vertreter der jüdifchen j deren Nichtbeachtung Perles fich befchwert, gegenüber
Empfindungsweife das Vorhandenfein teilweifer pharifäi- j geltend machen, daß diefelben zeitlich nicht feftgelegt wer-
fcher Entartung im einzelnen (,die Gefärbten') rückhaltlos : den können, er daher der ganzen Anlage feines Buches
anerkannt, andererfeits chriftliche Darfteller der jüdifchen nach nicht verpflichtet war, fie zu benutzen (S. 18. 35). Er
Zuftände in neuteftamentlicher Zeit ebenfo offen und darf beifpielsweife, wenn Perles die Hochfehätzung der
benimmt zugegeben haben, daß der Pharifäismus als • Ehe und des Weibes mehr noch als aus halachifchen aus