Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1904 Nr. 24

Spalte:

652-653

Autor/Hrsg.:

Bugge, A.

Titel/Untertitel:

Die Haupt-Parabeln Jesu 1904

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

65i

Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 24.

652

Herodes' Intervention zu Gunften der klein-afiatifchen
Juden, bei welcher Nicolaus als Redner eine Rolle fpielte
(Antt. XVI, 2), ift ficherlich aus dem Werke des letzteren
gefchöpft (vgl. auch Müller, Fragm. Hist. Graec. III, 350).
Laß diefes hier benützt ift, erkennt auch H. S. 28 an.
Die Gründe, um derentwillen er trotzdem ein anderes
Werk als Hauptquelle betrachtet, fcheinen mir in keiner
Weife durchfchlagend, fobald man nur mit dem Umftande
rechnet, daß Jofephus kein allzu forgfältiger Schrift-
fteller ift.

Die Quelle, welche fchon in der Gefchichte Herodes
des Großen neben Nicolaus benützt ift, glaubt H. auch
in den drei letzten Büchern der Archäologie noch verfolgen
zu können. Er nennt fie ,die Gefchichte der
Herodäer' und leitet aus ihr den Hauptinhalt von
Buch XVIII—XX ab. Diefes Alles ift höchft problema-
tifch. Es liegt auf der Hand, daß Jofephus über die
Gefchichte der Herodäer auch nicht entfernt fo gut
orientiert ift, wie über die Herodes' des Großen. Von
den unmittelbaren Nachfolgern desfelben weiß er faft
nichts. Hier find alfo die ,Quellenverhältniffe' augen-
fcheinlich ganz andere als vorher, und es fcheint mir
kein glücklicher Gedanke, die in Buch XV nachweisbare,
offenbar gut orientierte Quelle in Zufammenhang zu
bringen mit den ,Quellen' von Buch XVIII—XX. Wir
werden uns in Betreff der letzteren im großen und ganzen
wohl mit einem ignoramus begnügen müffen.

Am wenigften glücklich aber find die Ausführungen
über Alexander Polyhiftor, welchen H. neben den drei
bisher Genannten auch als eine Hauptquelle für die zweite
Hälfte der Archäologie (hauptfächlich Buch XI—XII,
teilweife auch noch Buch XIII) betrachtet. Aus ihm foll
Jofephus fchon in den erften Büchern der Archäologie
die Zitate aus heidnifchen Schriftftellern, durch welche
er gelegentlich die biblifche Gefchichte ergänzt (I, 3, 6.
3, 9. 4, 3. 7, 2 ufw.), gefchöpft haben. Aus ihm follen
die unhiftorifchen .apokryphen' Nachrichten in Buch
XI—XIII flammen, welche den Zweck haben, das jüdifche
Volk zu glorifizieren (z. B. XI, 4, 9 Befehl des Darius
an die Samaritaner, Steuern an den jerufalemifchen
Tempel zu zahlen, XII, 3,1 judenfreundlichiche Verfügung
des Seleucus Nicator, XII, 3, 3—4 Briefe des Antiochus d.
Gr. XII, 4 Gefchichte der Tobiaden, XII, 9, 7 Bau des Onias-
Tempels, XIII, 8, 2 Antiochus Eufebes fchickt Opfer
in den Tempel, XIII, 9, 2 Schreiben des römifchen Senates
an die Juden [auch diefes foll ,apokryph' fein
S. 45], und manches Ähnliche S. 43f.). Durch Vermitte-
lung des Alexander Polyhiftor foll Jofephus aber auch
den griechifchen Efra, den Pfeudo-Arifteas, das grie-
chifche Eftherbuch, ja auch das erfte Makkabäer-
buch benützt haben (S. 51 f.); letzteres deshalb, weil
Jofephus von dem .Anhang' des erften Makkabäerbuches,
nämlich c. 13, 31— 16, 24 keinen Gebrauch mache. Dies
erkläre fich nur daraus, daß Jofephus dasfelbe nicht
direkt, fondern durch Vermittelung des Alexander Polyhiftor
benütze, welchem der .Anhang' noch nicht vorgelegen
habe (S. 52). Offenbar hat fich H. von der Schrift-
ftellerei des Alexander Polyhiftor keine irgendwie klare
Vorftellung gemacht. Sonft hätte er nicht auf die Schultern
diefes Autors eine folche Laft von Hypothefen häufen
können. Überhaupt aber muß ich meine Anzeige mit
einer Warnung an den Verf. fchließen, feinen Divinationen
auch ferner ein fo großes Vertrauen zu fchenken, wie
bisher. Er wird nur dann Erfprießliches leiften, wenn
er fich mit einem viel ftärkeren Mißtrauen dagegen aus-
rüftet.

Göttingen. E. Schür er.

Bugge, D. Chr. A., Die Haupt-Parabeln Jesu. Ausgelegt. Mit
einer Einleitung über die Methode der Parabel-Auslegung
. Gießen 1903, J. Ricker. (XX, 496 S. gr. 8.)

M. 11.—

Vorliegendes Buch des in Deutfchland wohl bekannten
norwegifchen Theologen wendet fich grundfätzlich und
oft nicht ohne auffällige Animofität gegen Jülichers grundlegendes
Werk. Eine lange methodologifche Einleitung
zeigt nicht bloß, wie die Gleichniffe, weil auf jüdifchem
Volksboden entftanden, nicht fowohl unter dem Gefichts-
punkt der ariftotelifchen Rhetorik, als unter dem des
Metapher und Allegorie verbindenden, jüdifchen Ma-
fchal zu verftehen find. Noch weiter aber entfernt er fich
von Jülichers Methode, wenn er feinen Ausgang vom Vorkommen
fogenannter ,Paradoxen' in Jefu Lehrweife nimmt
und gerade die Eigenfchaft des Geheimnisvollen und
Rätfelhaften als wefentlich für feine Parabeln betont. Zumal
mit Hülfe von Joh. 6, 15 weiß B. ihm neben der Rückficht
auf die Jünger (S. 48) und auf die .eigene Selbftent-
faltung' (S. 51) infonderheit auch eine .Rückficht auf das
Volk' zu fubintelligieren, vermöge welcher Jefus keinen
anderen Ausweg fah, um fein Werk gegen ein Elerunter-
zerren in die niedrigere Sphäre der Maffen zu fchützen,
als es zeitweilig in die Tracht des änigmatifchen Mafchals
zu verhüllen'(S. 45). So wird denn die ganze Verhüllungsund
Verfteckungstheorie der Evangeliften, deren theologifche
Motive uns Anderen doch ziemlich durchfichtig
fchienen, in gefchichtliche Wirklichkeit umgefetzt — und
zwar ,unferem modernen dogmatifchen Denken und Empfinden
', aber leider auch allem gefunden Sinn für hiftori-
fche Wahrheit zum Trotz (S. 47). .Dogmatifch denkt und
empfindet' nämlich in der eigentümlichen Begriffswelt
des norwegifchen Theologen, wer da meint, Jefus habe in
Gleichniffen geredet, um dem Volk auf dem Wege des
Anfchauungsunterrichtes um fo gewiffer verftändlich zu
werden. Wir fo Denkende ,ftehen da mit blaffen, fchwind-
füchtigen theologifchen Abftraktionen ftatt der lebens-
frifchen Geftalten der fynoptifchen Parabeln' (S. 12). Jülichers
.Urgeftalten' find ,lauter luftige Hypothefen' (S. 324),
und vollends eitel ift ,das Billardkugelfchieben' der ,inneren
und höheren Textkritik' (S. XI). Für denjenigen dagegen,
welcher diefen Mefchalim mit dem richtigen Schlüffel des
Verftändniffesnaht, zerfallen fie in didaktifche (.paradoxale'),
argumentative und illuftrative. Zur erften Sorte gehört
beifpielsweife die Rede von der Quelle der Verunreinigungen
Mt. 15, 15 = Mk. 7,17. Die zweite Klaffe zerfällt
wieder in typifche (Beifpielserzählungen), wie vom Pharifäer
und Zöllner, und eigentlich argumentative, wie vom un-
gewalkten Lappen und neuen Wein. In die dritte Klaffe,
welche fich am meiften der reinen Allegorie nähert, gehören
alle Parufiegleichniffe und außerdem eigentliche
Sinnbilder, wie vom Licht der Welt oder von der engen
Pforte. Wer diefe Einteilung pedantifch findet, weil eine
ganze Reihe von Gleichniffen in 2 oder in alle 3 Schubfächer
gleich gut paffen würde, wird dahin belehrt, daß
es ,in dem Leben der Natur' ganz ebenfo bunt hergehe
(S. 60). Die Tatfache felbft wird zugeftanden. ,Die an
fich illuftrative Parabel von den Arbeitern im Weinberg
(Mt. 201—1«) wirkt nicht einfach überzeugend, weil eine derartige
Behandlung von Arbeitern im praktifchen Menfchen-
leben fich gar nicht als einwandfrei bewähren würde.
Diefes Gleichnis aber illuftriert das paradoxale Gefetz im
Reiche der Gnade, daß und wie hier die Letzten die
Erften und die Erften die Letzten werden können. Mit
diefem Leitwort zufammen wirkt das Gleichnis didaktifch,
weil es über eine früher nicht erkannte Seite der Gottes-
herrfchaft aufklärt' (S. 61). Aber nicht bloß .didaktifch'
und .illuftrativ' ift es zugleich, fondern auch ,in ausge-
fprochenem Sinn eine Beweisparabel' (S. 275, vgl. S. 281),
alfo argumentativ (S. 60), wie man auch fonft ,bei gewiffen
Ausfagen zuweilen zweifelhaft fein kann, ob fie illuftrativer
oder argumentativer Art find' (S. 61). Genug, um das