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Ausgabe:

1904 Nr. 23

Spalte:

630-634

Autor/Hrsg.:

Friedländer, M.

Titel/Untertitel:

Der Antichrist in den vorchristlichen jüdischen Quellen 1904

Rezensent:

Bousset, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 23.

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die Anfchauung von der .nie abgeriffenen Kontinuität |
jüdifcher efchatologifcher Uberlieferung und den engen I
Zufammenhängen diefer mit der chriftlichen efchatolo-
gifchen Literatur vertritt.

Die zahlreichen kleinen Schriften, über deren hand-
fchriftliche Verbreitung, Ausgaben und Inhalt B. vorzüglich
orientiert, zerfallen etwa in zwei Kreife. Der
eine Kreis derfelben repräfentiert im großen und ganzen
eine Fortfetzung der Henochifchen Literatur, wie fie namentlich
im flavifchen Henoch vorliegt. Himmelfahrten
der Offenbarungshelden, bei denen dann allerlei kosmo-
logifche und efchatologifche Geheimniffe mitgeteilt
werden, flehen im Zentrum des jedesmaligen Berichtes.
Der zum Metathron erhöhte Henoch fpielt als Offen-
barungsvermittler eine große Rolle. Zu diefem Kreife |
von Schriften gehören das hebräifche Henochbuch
(eigentlich eine Himmelfahrt des R. Ifmael), das inter-
effantefte unter ihnen; eine Himmelfahrt des Mofes, ein
legendarifcher Bericht über den Tod des Mofes im Mi-
drafch Berefchith Rabbati, die Apokalypfe des Jofua ben
Levi und Stücke aus dem Alphabetmidrafch des R.
Akiba.

Ein zweiter Kreis eng verwandter Schriften find die
Apokalypfen der Serubabel, das Buch der Meffiaskriege,
Offenbarung und Gebet des Simon ben Jochai, der
Midrafch der zehn Könige, (die perfifche Danielapoka-
lypfe). Diefe fpäteren Apokalypfen, die meiftens breeits
Spuren iflamifcher Zeit zeigen, haben eine Reihe gemein-
famer intereffanter Eigentümlichkeiten. Dahin gehört
die Weisfagung von einer neunmonatlichen Herrfchaft des
römifchen Reiches, die Annahme eines zweiten Meffias
(ben Jofeph, Ephraim), der im Kampf mit den Feinden
(Gog — Magog) fällt, die Schilderung des Antichrift als
eines furchtbaren Ungeheuers, die Sage von feiner Geburt
aus einem Stein, deffen Name Armilus. Eine Unter-
fuchung über Herkunft und Zeit des Archetypus, der diefen
Apokalypfen zu Grunde liegt und der meines Erachtens |
ficher in die Zeit der Kämpfe des römifchen und des
perfifchen Reichs im dritten oder vierten Jahrhundert
zurückreicht, wäre von großem —auch religionsgefchicht-
lichem Intereffe.

Eine Stelle für fich nimmt die hebräifche Eliasapo-
kalypfe mit ihren ganz fpeziellen hiftorifchen Reminiszenzen
ein, die B. in einer befonderen Schrift aus der
Zeit Odhenats von Palmyra heraus zu deuten verfuchte.
Eine Sammlung diefer zerftreuten fpätjüdifchen apoka-
lyptifchen Literatur in Text und Uber fetzung
— Jellineks fchönes Werk bietet bekanntlich nur
jext _ wäre ein fehr verdienftvolles Unternehmen.

Göttingen. Bouffet.

Schiefer, cand. theol. J. Walther, Die religiösen und ethischen
Anschauungen des vierten Esrabuches im Zufammen-
hang dargeftellt. Leipzig 1901, Dörfning & Franke.
VII, 76 S. gr. 8.) M. 1.20

Eine fleißige Arbeit, aber ganz in dem veralteten Stil der
Darftellungen des Lehrgehalts einzelner biblifcher Bücher
gehalten. In die landläufigen Rubriken: Gott, Geifter-
welt, Schöpfung, Anthropologie, Meffianismus, Efchato-
logie find die einzelnen Äußerungen des IV. Efra zu
diefen Fragen fleißig eingetragen und geordnet. Aber
heutzutage verlangt man mehr von einer derartigen
Monographie. Wenn fie Zweck haben foll, muß fie uns
gerade in das eigentümliche religiöfe Leben des Schrift-
ftellers einführen, das fich niemals fo einfach in die üblichen
fyflematifchen Kategorieen hineinpreffen läßt.
Beim IV. Efra ift der Einfatzpunkt einer folchen Dar-
flellung unmittelbar gegeben. Der Verfaffer fchreibt nach
der Zerftörung Jerufalems. Die national bedingte Frömmigkeit
des Judentums hat den entfcheidenden Todesftoß
erhalten. Der Apokalyptiker, der einen tiefen Sinn für

wahre und wirkliche Frömmigkeit hat, und fich mit den
Surrogaten der fich neu bildenden talmudifchen Gefetzesund
Gelehrten-Frömmigkeit nicht zufrieden geben kann,
ringt nach neuen Formen einer geiftigen individualiftifchen
Frömmigkeit, ohne fein Ziel zu erreichen. Daher die
hiobartige, lyrifche Haltung des Buches, daher die peffi-
miftifche Grundftimmung. Der Verfaffer ift feines Gottes
unficher geworden, fein eigenes Volk fleht er zum größten
Teile dem Verderben verfallen, kein Unterfchied fcheint
zwifchen Juden und Heiden, Gottes Weltregiment zwecklos
. Von hier aus wären dann die Ausfagen des Ver-
faffers über Gott und fein unerforfchliches Wefen, die
Lehre von den beiden Welten, die Anthropologie, die
Sätze über die Bedeutung von Adams Fall zu verftehen
und zu würdigen. Wie gründlich aber der Verfaffer an
den Grundftimmungen und Grundgedanken des Buches
vorbeigegangen ift, zeigt vor allem der anthropologifche
Abfchnitt feiner Darfteilung (S. 39—51). Die Darfteilung
fchließt mit den Worten: ,Es ift eben ein kalter, fcharfer,
nationaler Egoismus, der fich durch das ganze Buch
hindurchzieht und feine Devife ift gegeben in den Worten:
tu autempro te intellige et de similibus tuis inquire gloriaui1.
Gewiß find in dem Buche manche Äußerungen, auf die
der Verfaffer fich bei diefem Urteil berufen kann; und
doch — einfeitiger und ungerechter kann der Gefamtgeift
des Buches kaum dargeftellt werden, als es hier ge-
fchehen. Seinen tiefen und ergreifenden Herzenstönen
hat der Verfaffer nicht zu laufchen verftanden.

Bei einer folchen Monographie, wie ich fie angedeutet
, und wie fie übrigens Gunkel fchon in kurzen Strichen
geliefert, müßte dann alles, was im ganzen und großen
Allgemeingut der Frömmigkeit und Gedankenwelt der
fpätjüdifchen Literatur ift, unter den Tifch fallen. Das
gehört nicht in eine folche Monographie, fondern in eine
allgemeine Darfteilung. Es hat z. B. wenig Wert, die
Angelologie des IV. Efra oder feine ,Mythologie' nach
deren inhaltlicher Seite für fich zu behandeln. Man bekommt
bei folchen Darftellungen immer nur einen fehr
willkürlichen Ausfchnitt aus der Vorftellungswelt des
Spätjudentums. Es ift doch eben reiner Zufall, daß wir
z. B. im vierten Efra gerade von Uriel und Jeremiel, von
Leviathan und Behemoth hören. Hingegen gehörte
wieder in eine monographifche Darltellung die Erwägung
etwa hinein, eine wie breite Rolle der Engelglaube und
die mythologifchen Elemente in der Frömmigkeit und
der Gedankenwelt des Schriftftellers einnehmen.

Ich notiere noch einige Ausftellungen im einzelnen.
Falfch ift S. 22 die Erwähnung der Eliasapokalypfe;
das Zitat flammt aus der ,anonymen' Apokalypfe bei
Steindorff. Falfch ift, daß Steindorff als die Zeit diefer Apokalypfe
(wieder nicht der Eliasapokalypfe) ioo n. Chr. anfetzt
; er fagt nicht mehr, als daß diefe Zeitbeftimmung
den terminus a quo abgebe. Ich vermiffe ferner in dem
Paffus über Jeremiel einen Hinweis auf den 'Pe/ieit/Z im
griechifchen Text des Henochbuches c. 20. Daß Efra
den Satan nicht erwähnt, ift fchwerlich aus feiner Abneigung
gegen perfifch-dualiftifche Ideen zu erklären
(S. 24). Für unbewiefen halte ich endlich die Behauptung
(S. 72 ff.), daß die Apokalypfe Abrahams vom IV.
Efra abhängig fei. Was Sch. hier zum Beweife bringt,
ift durchweg efchatologifches Gemeingut. Wie kann man
z. B. den Vergleich einer Stimme mit dem Geräufch
vieler Waffer in beiden Schriften als beweifend für lite-
rarifchen Zufammenhang einführen! Apok. Abr. 20 erklärt
fich aus der Genefis und nicht aus IV. Efra 4 5 ff.

Göttingen. Bouffet.

Friedländer, M., Der Antichrist in den vorchristlichen jüdischen
Quellen. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht,
1901. (XXVIII, 193 S. gr. 8.) M. 4.80'

Vom Antichrift handelt die vorliegende Arbeit eigentlich
nur in ihrem letzten Drittel. Im übrigen wiederholt