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Ausgabe:

1904 Nr. 22

Spalte:

613-617

Autor/Hrsg.:

Reischle, Max

Titel/Untertitel:

Theologie und Religionsgeschichte 1904

Rezensent:

Troeltsch, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 22.

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Reischle, Prof. D. Max, Theologie und Religionsgeschichte. fchäftigung mit der Religion überhaupt ftiminen können.
Fünf Vorlefungen, gehalten auf dem Ferienkurs in > Auch die Betonung der Unzulänglichkeit diefer Methode

Hannover im Oktober 1903. Tübingen 1904, J C. für die großen religiöfen Peinlichkeiten würde ja für

t. at u /tt-it c o at o alle, chrißliche und nichtchriithche, gelten und nur die

Mohr- (VII> !°5 b- Sr- 8') ^ Hoffnungslofigkeit der Verfländnisoemühungen in allen

Reifchle hat die von ihm bei einem Ferienkurs in diefen Fällen beweifen, (wozu nur überdies zu fagen ift,

Hannover zu haltenden Vorträge benutzt zu einer prinzi- daß das .Erklären der originalen Geifter' gar nicht die

piellen Auseinanderfetzung mit dem, was heute in der
Theologie unter dem Stichwort ,religionsgefchichtlich'
geht. Seine Stellung iß dabei eine prinzipiell ablehnende,
wenn auch fekundär mancherlei Anregungen für die hißo

Aufgabe der religionsgefchichtlichen Forfchung iß, fondern
nur die Verfolgung der eben tatfächlich in den
Quellen fich aufdrängenden Zufammenhänge und Analogien
; die Originalität des Individuums überhaupt und des

rifche Theologie und eine gewiffe Umfangserweiterung i Genies insbefondere braucht als eine übrigens immer nur
für die Apologetik zugeßanden werden. Der Darßellung ; relative dabei gar nicht angetaßet zu werden). Das Ent-
der gegnerifchen Meinung und der kritifchen Prüfung kann j fcheidende iß vielmehr, daß die chrißliche hißorifche
man jedenfalls größte Sachlichkeit und Objektivität, fo- j Theologie eine ,beßimmte, chrißliche Wertbeurteilung1
wie ruhige und gewiffenhafte Umficht nachrühmen. verlangt. Wie die Hiflorie ohne Wertbeurteilung über-
Den Sinn der Lofung erblickt R. darin, daß das [ haupt nicht darzußellen fei, fo fei auch die chrißliche
Studium jeder Religion und fo auch des Chrißentums die nicht ohne folche zu behandeln. Aber das Werturteil,
engen Zufammenhänge und Einwirkungen benachbarter j unter dem die chrißliche Gefchichte zu behandeln iß, fei
Religionen zu erforfchen habe, da große religiöfe Um- I den fubjektiven Schwankungen fonßiger wechfelnder
bildungen meiß in folchem Kontakt fich vollziehen; ferner, I Wertbeurteilung dadurch entrückt, daß es die ,Über-
daß in der Erforfchung der Religionsgefchichte als Ob- i zeugung von der Algemeingültigkeit, von der Wahrheit
jekt der Forfchung ßets die fubjektiv-perfönliche Religion | des Chrißentums' enthalten muß. Gegenüber den hißo-
zu gelten habe, und Kultus, Mythus, Dogma, Organifa- : rifch unerklärbaren Perfönlichkeiten, den Propheten,
tion immer nur als Derivate zu betrachten feien; fchließlich j Jefus und den Apoßeln, handele es fich um eine Glaubens-
daß die Frage nach Wefen und Geltung des Chrißentums j entfcheidung, die fich auf den wertvollen, d. h. an unprinzipiell
auf den Boden einer gefchichtsphilofophifchen ' ferem Gewiffen fich als allein wahr und göttlich bekun-
Religionsvergleichung zu ßellen fei. Diefe Charakterißik I denden Inhalt des in der Gefchichte uns entgegentretenden

fcheint mir, wenn auch nicht erfchöpfend, fo doch richtig
zu fein. Die Gründe ihres Aufkommens fucht R. in dem
Erlahmen des fyßematifchen Intereffes feit Ritfchls Zeit

Lebens bezieht. Das fei ein Glaubensurteil, das zunächß
an der Perfon Jefu entßeht und um der teleologifchen
Bezogenheit der Propheten auf ihn willen auch auf das

und in dem Hereinwirken des Hißorizismus in die Theo- Alte Teßament fich erßreckt. All das mag fein. Es
logie, der fich mit der ganzen Stimmung des flu de siede ' gehört aber lediglich dem fyßematifchen Problem an

über unfere Kultur ausgebreitet habe. Gegen die letz
tere Meinung wäre allerdings viel einzuwenden. In Wahrheit
iß der Urfprung doch bloß in der Fortwirkung des
hißorifchen Gedankens zu finden, der von dem deutfchen
Idealismus und der Autklärung bereits in die Theologie
getragen worden war und der dann durch Vermittelungs-
theologie und Orthodoxie wieder neutralifiertoder geradezu
aufgehoben worden iß. Eine gewiffe Einwirkung der
Neu-Romantik auf. die Art der Durchführung iß nicht zu
leugnen. Aber im ganzen hellt fich in der Lofung m.E. nur
die Erfchöpfung der vermittelungstheologifchen, ortho-

Für das hißorifche liegt der Schwerpunkt nicht in
diefen allgemeinen Reflexionen, fondern in einer beflimm-
ten Einzelfrage. Die Frage iß hier nämlich bloß, ob ein
folches Glaubensurteil, indem es eine göttliche Offenbarung
konßatiert, zugleich die Tatfachen-Feßßellung
irgendwie beeinfluffen kann, ob es die religionsgefchichtlichen
Bemühungen um Auffuchung der weitverzweigten
Zufammenhänge und um Kritik der Überlieferung
fachlich dirigieren kann, ob dadurch für die Erforfchung
der Gefchichte Jefu andere Vorausfetzungen entßehen,
als für die des heiligen Franz oder Muhameds. Das wäre

doxen und biblizißifchen Bekämpfung der Hißorie und der ; der Fall, wenn das Glaubensurteil das Wunder und da

Rückgang auf die Problemßellungen eines Kant, Herder,
De Wette, Vatke, Baur, Strauß ufw. dar, denen ja auch
Schleiermacher in der Grundtendenz fehr nahe geßanden
hat, nur daß er die wirklich hißorifchen Probleme nirgends
prinzipiell in Angriff genommen, fondern lieber
mit abßrakten Stufenkategorien verfchleiert hat.

Dasallgemeine Wefen diefer Methode und Gefamt-
anfchauung erblickt R. in der Aufhebung befonderer
chrißlicher Glaubensvorausfetzungen für die Betrachtung
der chrißlichen Überlieferung d. h. vor allem der Bibel
und für die Beurteilung der religiöfen Menfchheitsent-
wickelung. Sein Einwand iß dementfprechend auch, daß
eben folche befondere, am chrißlichen Objekt zu gewinnende
, chrißliche Glaubensvorausfetzungen unerläßlich
find, wenn eine befondere chrißliche Theologie behauptet
werden foll, und daß auch in der Tat erkenntnistheore-
tifche und glaubenspfychologifche Gründe diefe befon-
deren chrißlichen Glaubensurteile als Vorausfetzung fordern
. Mit diefen Einwendungen begründet er feine eigene
entgegengefetzte Pofition, die Behauptung der chrißlichen
Theologie als einer über völlig felbßändige Prinzipien
verfugenden Offenbarungs-Wiffenfchaft.

In der Einzelausführung fcheidet R. zwifchen der
hißorifchen Theologie und der fyßematifchen, um beiden
gegenüber die Unzuläffigkeit der religionsgefchichtlichen
Methode darzutun. In erßer Hinficht hebt er vor allem
die reichlichen Irrtumsmöglichkeiten hervor. Das würde
zunächß freilich nur fkeptifch gegen alle hißorifche Beirut
die prinzipielle Aufhebung der fonßigen hißorifchen
Methoden einfchlöffe. Soll dies aber nicht eingefchloffen
fein, dann find der kritifchen Tatfachenforfchung keine
anderen Grenzen zu ziehen, als irgendwo fonfl, und dann
muß auch offen gehalten werden, daß der gefundene
Tatbefland irgendwie die religiöfe Stellung zu ihm mit
beeinflußt. Die letztere kann nicht unabhängig von der
erßeren genommen werden, und fo kann die Wertfchät-
zung des Chrißentums für fich allein — d. h. ohne die
Ableitung des Wunders aus ihr — die hißorifche Forfchung
nicht fachlich beßimmen. Wenn diefe Forfchung durch
den Verlauf ihrer Probleme auf religionsgefchichtliche
Zufammenhänge geführt wird, fo muß diefen trotz aller
Gefahren und Irrtumsmöglichkeit nachgegangen werden,
und das hierbei entßehende Tatfachenbild wird die religiöfe
Stellung dann eben durch religionsgefchichtliche
Gedanken mitbeßimmen müffen. Ihr gegenüber gibt es
keine prinzipiellen Grenzen, fondern nur die Frage nach
der fachlichen Richtigkeit oder Unrichtigkeit, Wahrfchein-
lichkeit oder Unwahrfcheinlichkeit ihrer Refultate. Daß
unter den heute dargebotenen Refultaten vieles Vor-
fchnelle, Befremdliche und Phantaßifche iß, das iß nicht
zu bezweifeln. Das liegt an der Neuheit diefer Forfchungen
und wird fich ändern, wenn die wichtigffen Nachbar-
Religionen einmal mit Urkunden und Tatfachen genauer
bekannt find. Daß die religionsgefchichtliche Methode
fich heute vor allem auf die Kontaktgebiete und Beein-
fluffungen wirft, iß ebenfalls einfeitig, aber dadurch