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Ausgabe:

1904 Nr. 21

Spalte:

594-596

Autor/Hrsg.:

Bassermann, Heinrich

Titel/Untertitel:

Über Reform des Abendmahls 1904

Rezensent:

Drews, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 21.

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II. gewiffenlofem Regiment ftark gewordene Willkürherrfchaft
des Adels und der Stadträte mußte gebrochen
und der Summepifkopat des Herzogs zur Anerkennung
gebracht werden; aber die vier großen Städte Göttingen,
Hannover, Hameln und Northeim lehnten unter Berufung
auf ihre Gandersheimer Privilegien die Vifitation ab und
wahrten ihre kirchliche Selbfländigkeit, die doch unmöglich
weiterbeftehen konnte. Die Akten der Vifitation geben
ein faft vollftändiges Bild der damaligen kirchlichen Ver-
hältniffe, des Bekenntniffes und Kultus der Gemeinden, der
fittlichen Schäden und Gebrechen. Die Pfarrer, ihre Per-
fonalien, Begabung, Bildungsgang, Lehre, Wandel, Dienft
und Familienverhältniffe treten in fcharfe Beleuchtung.
Im Examen erhalten Tie meift das Zeugnis male, utcunque
medioeriter, feiten bene oder gar egregie. Ihr Bildungsgang
ift ein befchränkter, vielfach iit er auf eine Stadt-
fchule befchränkt; Univerfitätsbildung befitzt nur eine
befcheidene Anzahl. Nicht wenige find von Weihbifchöfen
geweiht. Nichts Unerhörtes iß es, daß der Adel feine Hauslehrer
mit Pfarreien belohnt und der gefellige Verkehr
mit den Junkern auf die Pfarrer verderblich wirkt. Mit
der Bibel find fie nicht fonderlich vertraut. Selbft das
Urteil geflattet fich einer, es fei kein Unterfchied zwifchen
katholifcher und evangelifcher Lehre. Über dem gefelligen
Genuß kommt das Amt auch einmal zu kurz, ein
anderer geht lieber hinter dem Pflug her, als feinen Amtspflichten
nach. Dem Pfarrer zu Meinfen wird nachgefagt,
er könne Raupen in eine Lehmkuhle beten, dem von
Varenberg, er habe in feinen Acker einen Topf gegen
Zauberei gegraben.

Auffallend ift, daß die Inftruktion die Vifitatoren
noch ausdrücklich verwarnt, ,kein Gift noch Gaben zu
nehmen, wie in unteres wolfenbüttelfchen Fürftentums
Vifitation durch Chemnitium feiigen und Jacobum Andreä
gefchehen fein folle'. Es wäre der Mühe wert, diefer
fchweren Befchuldigung gegen Chemnitz und Andreä
nachzugehen, die 1568 im Oktober und November im
Herzogtum Braunlchweig-Wolfenbüttel vifitiert hatten.
Unter den Vifitatoren find 2 Schwaben, der treffliche
Generalfuperintendent Bafilius Satler und Joh. Cunrad
Varenbüler, der zwar ein Verwandter des Stuttgarter Hofpredigers
Ant. Varenbüler war, aber nicht deffen Sohn.
Denn der Hofprediger wurde erft 1555 geboren und verheiratet
fich 1577. Offenheim S. 123 ift Hohenheim bei
Sinsheim in Baden. Bretten in Heffen ift: unbekannt, vielleicht
Breitau. — Tfchackert gibt ein fehr intereffantes
Lebens- und Charakterbild von Joh. Amandus, dem erften
Superintendenten von Goslar 1530, der am 29. Nov. 1523
feine Predigttätigkeit in Königsberg begann, aber nicht
als erfter Zeuge des Evangeliums, denn Brießmann hatte
fchon feit 27. September in Luthers Sinn gepredigt. Amandus
ift eine Charakterfigur der Sturm- und Drangperiode,
ein Mann von fehr.befcheidener Bildung, aber von großer
Redegabe und ftarkem Selbftbewußtfein, der reine Volkstribun
, oder, wie Tfchackert ihr nennt, ein geiftlicher
Kleon, der weder vor kirchlichen, noch vor weltlichen
Vorgefetzten den Rücken beugt, überall das Volk erregt
und darum immer wieder den Wanderftab ergreifen muß.
Am Schluß fetzt fich Tfchackert mit Benrath auseinander
, der Amandus günftiger beurteilt und deffen Predigttätigkeit
vor der Brießmanns beginnen läßt. Für Ref. ift
S. 14 Z. 6 wichtig, da er f. Z. den Namen Speratus für
eineUberfetzung von Hoffer erklärte und einen Paul Offer,
Hotter nachweifen konnte. Tfchackert hat in feiner Schrift
über Speratus an dem bis jetzt nirgends in Schwaben
nachweisbaren Namen Spret feftgehalten. Jetzt fetzt er
neben Speratus in Klammer (Hoffer). Ift Tfchackert
anderer Meinung geworden?

Profeffor Dr. Hölfcher, dem Goslar die Gefchichte
feiner Reformation verdankt, gibt eine Darfteilung der
Gefchichte des Interims in Goslar auf Grund der Akten
die uns die fchwierige Lage der verarmten Stadt erkennen
laffen. Umlauert von der Habgier Heinrichs von Wolfenbüttel
, den längft nach der Bergfladt gelüftete, und bedroht
von des Kaifers Acht, ift der Rat nicht im Stande,
dem Drängen des Kaifers zu widerftehen, und verfpricht
endlich, das Interim allmählich ins Werk zu fetzen. Aber
die Gilden und die Gemeinde widerfetzen fich, am 29. Juli
verftändigen fie fich jedoch mit dem Rat dahin, daß alle
für einen Mann flehen und alles, was Gott über fie verhänge
, im Glauben über fich ergehen laffen wollen. Am
19. Nov. fordert der Bifchof Valentin von Hildesheim von
der Stadt entweder Rückkehr zur ,alten wahren, chrift-
lichen Religion oder Verwirklichung der kaiferlichen Deklaration
; aber auf eine Mahnung des Kaifers am 22. März
1551 antwortet der Rat dasfelbe, was er wohl dem Bifchof
auch geantwortet hatte, es wäre nicht möglich, gleich auf
einmal das Interim ins Werk zu fetzen; es müßte heimlich
eins nach dem andern eingeführt werden. Unficher
ift die Nachricht, daß Goslar auf Melanchthons Rat den
Chorrock angenommen habe, um wenigftens in einem
Stück dem kaiferlichen Befehl zugehorchen. Das Bedenken
der Theologen in Goslar wider das Interim, das S.
80—92 abgedruckt ift, findet fich fchon, nur in etwas
moderner Sprache, im CR 6, 908—942 als Bedenken der
Wittenberger Theologen. Sehr intereffant ift der Eindruck
, welchen die Haltung des Landgrafen Philipp in
Goslar hervorrief. Man nannte fein Schreiben vom
22. Juni ,hündifch'.

Cohrs gibt die von ihm in der Zeitfchrift des Harzvereins
XXVIII. Jahrg. S. 752—765 veröffentlichte Ordnung
der Alterleute zu Daffel aus dem Jahr 1536 in verbeffer-
tem Text wieder. Die Alterleute find die Verwalter des
Kirchenvermögens, die vitrici oder Gotteshausmeifter, über
deren Amt Ref. in den Bl. f. württb. K.-G. 1901 S. iooff.
auf Grund des Gotteshausbuchs von Münfter bei Mergentheim
gehandelt hat. S. 250 Z. 21 1. vpheuet; Z. 29 ift der
Sinn wohl: Der das Befte im Spiel kann, d. h. der Ge-
fchicktefte zum Gabenfammeln ift. Cohrs hat es mit Recht
feltfam gefunden (S. 245 Anm. 2) daß S. 250 Z. 31 der
Pfarrer erft einen Schilling auf die Opfertafel legt und
nachher 6 Pfennig vom Opfer zurück empfängt. III aber
is hier nicht vielleicht Abkürzung für einen Schirmflreich
mit dem der Pfarrer die Opfertafel vor der Sammlung
fegnen foll? — Den Schluß bildet ein Brief des Pfarrers
Joh. Hein Gevers an Leibniz vom 12. Sept. 1709 über
Corvinus und ein Brief von Leander van Eß an den Kon-
fiftorialrat Sextro vom 5. Mai 1808.

Nabern. G. Boffert.

Bassermann, Prof. D. Heinrich, Über Reform des Abendmahls
. Briefe an einen „Laien". Tübingen 1904, J. C.
B. Mohr. (VI, 81 S. gr. 8.) M. 1. 40

In der Form von Briefen an einen kirchlich in-
tereffierten gebildeten Laien erörtert B. die Abendmahlsfrage
, wie fie heute dogmatifch und liturgifch von vielen
kirchlich Gerichteten als Problem empfunden wird. Um
gerade die Bedenken der Laien recht uneingefchränkt zu
Worte kommen und fie auch in ihrem vollen Gewichte
erfcheinen zu laffen, ift die Briefform gewählt. Ich gebe
eine kurze Überficht des reichen Inhalts. Das Abendmahl
einft die erhabenfte Feier der chriftlichen Gemeinde, ift
heute ein Stein des Anftoßes und eine unheimliche Sache
für das Gewiffen vieler. Daher eine ftete Abnahme des
Abendmahlsbefuchs und die untergeordnete Rolle, die
es im Gemeindeleben fpielt. Die Haupturfache diefes
Zuftandes ift die, daß unfere Welt feit der Aufklärung
fich gewandelt, die Kirche aber diefe Wandlung nicht
mitgemacht hat. Auch das Abendmahl leidet unter
einer Verquickung moderner und antiker Anfchauung.
Der ,Laie' weiß mit den Abendmahlsauffaffungen in den
üblichen Katechismen nichts mehr anzufangen. In der
Tat ift auch die alte Anfchauung, in deren&Mittelpunkt
der Genuß von Leib und Blut Chrifti fleht, zu verlaffen.
Es hat fich beim Abendmahl um die Aneignung des