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Ausgabe:

1904 Nr. 21

Spalte:

588-591

Autor/Hrsg.:

Herford, Travers

Titel/Untertitel:

Christianity in Talmud and Midrash 1904

Rezensent:

Fiebig, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 21.

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fchrift hinausgeführt hat, wir auch bei den Petrus-Akten
über die Texte, von denen C. Schmidt und G. Ficker
gehandelt haben, hinausmüffen, und ich glaube, daß
Waitz auch hier einen Weg gewiefen hat, der zum Ziele
führen kann. Aber das fchwierige Problem läßt fich
nicht fo nebenbei abmachen; es wäre dringend erwünfcht,
daß es bald eine fo gründliche Unterfuchung fände, wie
Waitz fie feiner Hauptaufgabe hat zuteilwerden laffen.
Ich wiederhole dafür meine Forderung (vgl. Lit. Zentr.-
Blatt 1903 Nr. 22 Sp. 732), daß auch hier — wie bei den
clementinifchen Epitomae — zunächlt einmal der Schutt
jüngerer und jüngfter Schichten vorfichtig abgeräumt
werde: dann werden wir vielleicht einmal zur Klarheit
über die prähiflorifchen Grundlagen gelangen können.

An Einzelheiten fei noch die forgfältige, durch einen
Auffatz in ZNTW 1904, 121—143 ergänzte Darfteilung
der Wandlungen hervorgehoben, welche die Simonsgeftalt
durchgemacht hat; fehr richtig reduziert W. die von den
Tübingern fo arg übertriebenen antipaulinifchen Beziehungen
auf ihr rechtes Maß mit Befchränkung auf die eine
Quellenfchrift. Bei den Namen der 12 Petrusbegleiter,
die W. S. 248 (vgl. 171 A.) als Beweis für alte Beftand-
teile in den 77. 77. anführt, fcheint noch nie beachtet, daß
fich hier das von Harnack T. u. U. XIII 1 zu Luk. 161»
befprochene Namenspaar Phineas und Lazarus findet, durch
den Zufatz oi IsQtiq deutlich auf Nu. 257 weifend; obendrein
geht hier noch Eleazar voraus. Eine exegetifche
Kombination liegt auch zugrunde, wenn diefer als Zwillingsbruder
eines Thomas (= Zwilling vgl. Joh. 22t 211
und dazu Theo]. Lit.-Ztg. 1903 Nr. 20, 547—549) bezeichnet
wird. Wenn in den Nachträgen S. 388 im Anfchluß an
Uhlhorn das Paar Ananias und Aggaios mit Thomas zu-
fammen für Syrien in Anfpruch genommen wird, fo ift
überfehen 1) daß Aggai erft fpät in der edeffenifchen
Legende auftaucht, offenbar als Ableger von Addai (f.
Lipfius, Edeffenifche Abgarfage 30f.; zu dem Alter der
Doctrina Addai meine Chriftusbilder 171 *), 2) daß das
Paar nicht bei Thomas fteht, 3) daß der Zufatz 01 lafi-
firjvoi fie offenbar als in Jamnia, alfo in Paläftina, zu Haufe
charakterifieren will. Nicht recht begründet erfcheint in
Kap.' III die gefonderte Behandlung der Zitate in Horn,
und Ree, nachdem einmal die gemeinfame Grundfchrift
und deren Quellen aufgewiefen waren. Überhaupt konnte
hier, wenn ftatt Refch etwa Barnard zum Mutter genommen
wurde, viel Platz gefpart und größere Überfichtlichkeit
erzielt werden. Ordnet man die Zitate nach den bi-
blifchen Büchern, fo ergibt fich, daß es wefentlich die aus
dem Deuteronomium find, welche fowohl in den K. 77,
als in deren antimarcionitifcher Redaktion eine ganz eigenartige
Textbearbeitung zeigen. Zu Matth. 1127 wird
gerade die von Blaß unter Vergleich des syr. hier, als
urfprünglich bezeichnete LA avrbq [richtiger 0 vlbc] deto-
xaXvjtxei, nicht in extenso mitgeteilt. Die Zurückführung
der Homilien auf einen fyrifch-aramäifchen Chriften wird
S. 370 (vgl. 327) mit Lagarde auf das aramäifche Lehnwort
jiarpögiov ft. xixc^v Luk. 630 begründet; das Wort
fcheint aber im fpäteren Griechifch geläufig, f. Acta Pionii
156 p. 10922 von Gebhardt, Acta s. Marinae p. 4030 Ufener,
Acta Iheclae codd. GM p. 2721c Lipfius; wie es denn
als mafors, {flur. mafortea^ Gesta apud Zenophilum p. 18928
von Gebhardt), mafora fich auch im Spätlat. findet, f.
außer Du Cange s. v.: Passio Pauli löf. p. 4015 41 u Lipfius,
dazu meine Chriftusbilder 2524 324*.

Doch dies fei genug der Einzelheiten! Die forgfältige
Arbeit verdiente forgfamfte Nachprüfung. Wir
brauchen nicht erft zu fagen, daß Bedenken und Aus-
ftellungen diefer Art den Dank für ein fo anregendes wertvolles
Werk nicht fchmälern können.

Jena. von Dobfchütz.

Herford, R. Travers, B. A., Christianity in Talmud and Mi-

drash. London 1903, Williams & Norgate. (XVI, 449
p. gr. 8.) 18 sh.

Dem Gedächtnis Abraham Kuenens widmet H. fein
Werk, und es ift diefes großen Meifters würdig. Was H
in der Vorrede fagt, ift leider nur allzu richtig: Keiner
leugnet gegenwärtig die Notwendigkeit der jüdifchen
Studien zum Verftändnis der Urgefchichte des Chriften-
tums und zur Ergänzung des aus der chriftlichen Literatur
bekannten Materials; aber die tatfächlich geleiftete
Arbeit bleibt hinter dem .Betonen', ,Hinweifen' und Wün-
fchen zurück.

Keim und Schürer, fagt H., laffen noch viel Arbeit
übrig, Edersheim fei unzuverläffig. Er hätte noch weiter
fagen können: Derer, die die Notwendigkeit, die jüdifchen
Studien zu betreiben, ,betonen', feien unzählige, derer
aber, die hier wirklich etwas leiften, fei nur eine fehr
geringe Anzahl, in Deutfchland fchließlich im Grunde
feit Franz Delitzfch lediglich Dalman. Und wem verdankt
Dalman diefe Kenntnis und Zuverläffigkeit auf
talmudifchem Gebiet? Neben eigener energifcher Arbeit
vor allem auch der Mithilfe des Plerrn J. J. Kahan in
Leipzig, Lehrers am Institution Judaicum Delitzscliiaiium
in Leipzig (jetziger Leiter: P.O.von Harling, Elfterftr. 53).
Es ift jammerfchade, daß die Wiffenfchaft die durch dies
Inftitut gebotene Gelegenheit zum Fortfehritt ungenutzt
vorübergehen läßt. Nach einigen Jahrzehnten wird die
wiffenfchaftliche Theologie ficher viel ftürmifcher noch,
als fie es jetzt fchon tut, an die Pforten des Talmud
anklopfen. Und man wird es dann ficherlich bitter beklagen
, daß man die wiflenfchaftlichen Beftrebungen
Franz Delitzfchs zur Erkenntnis des jüdifchen Schrifttums
fo wenig geachtet hat. (vgl. meinen Vortrag: Talmud
u. Theologie, J. C. B. Mohr, 1903). Mit Recht hebt
H. hervor, daß der Grundfehler aller bisherigen Arbeiten
über talmudifche Dinge der Mangel an Vollftändigkeit
fei. Für ein beftimmtes Thema will H. diefem Mangel
abhelfen. Er behandelt die Ausfagen des Talmud und
Midrafch über Jefus und über die Minim und hat dabei
in erfter Linie die Abficht, das Material vollftändig darzubieten
. Er tut dies mit großer Sorgfalt. Auch darin
verrät fich feine echt wiffenfchaftliche Denkweife, daß er
allen denen, welche immer wieder den talmudifchen
Studien vorwerfen, ,es komme dabei doch wenig heraus',
entgegenhält (c/r. S. IX), aus der Lektüre feines Buches
würden fie genau wiffen, was dabei herauskomme: es fei
Klarheit gefchaffen über die tatfächliche Lage der Dinge
in diefem Punkt; und das ift allerdings nicht minder die
Aufgabe der Wiffenfchaft, als etwa die, lediglich grund-
ftürzende Fragen und Probleme zu behandeln. Und H.s
Buch bietet wahrlich des Anregenden genug. Der Horizont
der Theologie wird wefentlich erweitert fein, wenn
die talmudifchen Materien fürderhin in fo methodifcher
und forgfältiger Weife behandelt werden, wie das bei
H. der Fall ift. Der vage Begriff jüdifche Theologie'
mit dem bisher die Theologen zu operieren gezwungen
find, wird durch Aufhellung des talmudifchen Schrifttums
einem klaren Bild des Tatfächlichen Platz machen.

Da gegenwärtig noch immer Talmud, Midrafch, To-
fephta, Gemara etc. für fehr viele Theologen lediglich
unverftändliche und unbekannte Vokabeln find, fchickt
H. feiner Unterfuchung eine Einführung voraus. Neben
der Orientierung ift der Hauptzweck diefer Einführung,
aufzuweifen, nach welchen Prinzipien H. den hiftorifchen
Wert der talmudifchen Ausfagen zu fixieren fucht. Die
jüdifchen Autoren, fagt H. S. 31 mit Recht, find hier zu
vertrauensfelig, die chriftlichen fetzen kaum ihre Grund-
fätze in diefer Beziehung aus einander. H. fixiert jeden
Abfchnitt mit Hilfe der Chronologie der Rabbinen und
all der mannigfachen Indicien, welche uns ein Urteil über
die Zeit, aus denen er flammt, ermöglichen: die Teilung
des talmudifchen Schrifttums in tannai'tifche und amor-