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Ausgabe:

1904 Nr. 20

Spalte:

564-566

Autor/Hrsg.:

Kayser, Karl (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Zeitschrift der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte. 7. Jahrg 1904

Rezensent:

Bossert, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 20.

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(eine folche Aufzeichnung vom 16. Nov. 1436 in Bd. 4,
334, Note), dann einerfeits in beliebige Sammellagen oder
Bände zufammengefchrieben (wie iie im Nachlaß Brunets
und fonft zahlreich erhalten find; vgl. 1, 7ff. 1, 1), ander-
feits in das chronologifch geordnete offizielle Regifter
der Notare, ihr Manuale, eingetragen; nach den Originalaufzeichnungen
, aber wohl nur ausnahmsweife nach dem
Manuale, werden durch die Notare Authentica der Be-
fchlüffe ausgefertigt (Beifpiele ib. Bd. 1, 1, Note).

Die Führung des Manuale ift nun diejenige Tätigkeit
des Notars, in der fich zumal bei dem freien Notar nur
eine gewiffe Gebundenheit zeigt; fie wird nach zahlreichen
Notariatsftatuten überwacht, da die regelmäßige Führung
Garantien enthält für Echtheit und Reinheit der Texte;
das Manuale fällt nach dem Tode des Notars an die
Genoffenfchaft, und diefe kann daraus Instrumenta publica
ausziehen laffen; aber bis dahin war es fein Privateigentum
, er konnte in das Buch eintragen was er wollte. Mit
dem Eintritt in den Dienft einer Behörde verengt fich
das Collegium und die Praxis; aus dem Manuale
eines Notars können die Kollegen fchon bei deffen Ab-
wefenheit offizielle Ausfertigungen ziehen (fo in Bafel
mehrfach, während des Abwefenheit Brunets, Bd. 3, S.
VIII u. f.); die Notare arbeiten zufammen in denfelben
Sitzungen oder fie taufchen die Einzelprotokolle zur Ver-
vollftändigung der eigenen Regifter aus (wie Brunets
Manuale auch für die Zeit feiner Abwefenheit weitergeführt
werden konnte, wenn auch erft nachträglich, wie
die für das Protokoll der Zeit von 15. bis 21. Okt. 1435
dauernd freigebliebenen 2 J/2 Seiten beweifen). Auch die
vorgefetzte Stelle wirkte ein mit Direktiven, Streichungen
und Überwachung (Bd. 2, X; Bd. 4, 148f.), wie fie denn
natürlich die Tendenz hat, aus freien Notaren feite Beamte
zu machen (Anfpruch auf den Nachlaß wenigftens
bei Behörden, Haller, Bd. 2, II).

Bei alledem handelt es fich noch um rein notarielle
Dinge; es kann gar nicht wundernehmen, daß fich in
Brunets Manuale beiläufig auch ,notarielle Aufzeichnungen
über Vorgänge außerhalb des Konzils' finden (Bd. 2, XIII).
Eine Modifikation liegt erlt in einem neuen Moment, das
nun nicht im Sinne ftärkerer Gebundenheit, fondern im
Sinne literarifcher Freiheit wirkt. Offenbar ergeben fich
aus dem Wefen und aus der Stimmung der großen Konzilien
Tendenzen, die von der rein forenfifchen Arbeit zur
hiftoriographifchen hinüberdrängten. Haller felbfit bemerkt
, daß die Generalkonzilien bei der Beftellung von
Notaren ,durchaus in dem Bewußtfein handelten, daß ihr
Werk beftimmt fei, bei der Nachwelt in Anfehen und
lebendiger Erinnerung zu bleiben' (Bd. 2, VIII). So ge-
fchah es denn, daß in die offiziellen Manuale der Konzilsnotare
fehr viel mehr von dem zeremoniellen Auftreten
des Konzils, von den fonn- und fefttäglichen Pon-
tifikalämtern und Predigten, vom Kommen und Gehen der
Prälaten und Gefandten und von manchen andern Dingen
Aufnahme gefunden hat, als für den forenfifchen Zweck
nötig gewefen wäre. Es finden fich rein private Notizen,
und von der Überlieferung des Cod. Vat. 1017 konnte
geradezu gefagt werden, daß zeitweilig ,der Tagebuchcharakter
vorherrfcht' (Haller 2, XV). Es lag ungemein
nahe, das Dienftliche und Perfönliche zu vermengen oder,
wie es Maffarelli in Trient tat, neben den Einzelakten
nur noch private Tagebücher zu führen, die nun freilich
von Dienftfachen ftrotzen. Die Entwicklung hat fich
offenbar vom XV. zum XVI. Jh. mit der Zunahme der
Luft am Tagebuchfehreiben befchleunigt.

Daß man es auf dem Basler Konzil zu einem offiziellen
, endgültig redigierten Exemplar des Protokolls
gebracht habe, ift fo wenig wahrfcheinlich, wie die Durchführung
des Befchluffes vom 25. Mai 1436: de providendo
circa gesta tarn in sessionibus publicis, quam congregationi-
bus generalibus acta et habita recolligenda et in bono
dictamine redigenda. Haller bringt mehrfach (Bd. 2, IX,
X, XVII) und mit Recht feine Zweifel an dem Vorhandenfein
eines offiziellen Exemplars (gegen Bd. 1, 11) zum
Ausdruck; die Überlieferung von Brunets Manuale fpricht
jedenfalls nicht dafür.

Der Inhalt diefes Manuale und unferer Bände wird
danach zu bezeichnen fein als ein halb offizielles, unter
Aufficht des Konzils, aber in perfönlicher Verantwortung,
nach der Notariatspraxis, aber unverkennbar fchon im
Diarienftil geführtes Protokoll. Es ift überliefert nur in
der Reinfchrift eines Gehilfen des Brunet oder gar in
weiteren Ableitungen, fo daß auch, abgefehen von der
Zeit, in der Brunet ficher abwefend war, nicht durchaus
feftfteht, wer die Aufzeichnungen in oder zu den einzelnen
Sitzungen gemacht hat. Zweifelhaft bleibt auch,
ob die der Reinfchrift zugrunde liegende Redaktion
fchon in den Sitzungen selbft oder wenigftens tageweis
gleichzeitig gefchrieben wurde. Es ift deswegen die
kritifche Frage, ob diefe Protokolle auch nur für das
Tatfächliche allen andern Quellen ftets vorgezogen werden
müffen, nicht fchlechthin zu bejahen. Daß fie in der
erften Linie flehen, ift felbftverftändlich, und der Dank
foll dem Herausgeber auch zum Schluß nicht fehlen.

Göttingen. Brandi.

Zeitschrift der Gesellschaft für niedersächsische Kirchenge*
schichte, unter Mitwirkung von Prof. D. Paul Tfchackert
und Lic. Ferd. Cohrs herausgegeben von Sup. D. Karl
Kayfer. Siebter Jahrgang. Braunfehweig 1903, A.
Limbach. (III, 314 S. gr. 8.) M. 5.—

Inhalt: I. Kayfer, K.: Abriß der hannover-braunfehweigifchen
Kirchengefchichte. p'ortfetzung 1122 bis 1235. — H. Urkunden:
1. Urkunde Bifchof Joh. v. Verden vom 12. Juni 1455 betreffend Vereinigung
von Holtorf und Kauern, mitgeteilt von P. Hiibbe. — 2.
Zwei Briefe von Antonius Corvinus (1535 und 1541), mitgeteilt von O.
Clemen. — 3. Elifabeth, Herzogin von Braunfchweig-I.üneburg, an
Propft Ifengard von Barfinghaufen 1548, mitgeteilt von P. Kühnhold.
— III. Analekten: Ein Streitlied der Hildesheimer Proteftanten von
1542 bezw. 1543. Veröffentlicht von C. Borchling. — IV. Mis-
cellen: 1. Handwerkerbriefe aus der Zeit der Reformation, mitgeteilt
von Prof. Dr. Hölfcher. — 2. Rede des Superintendenten Vasmer in
Münder bei der Huldigung der Geiftlichen 1810, mitgeteilt von P.
prim. Warnecke.

Mit großer Freude hat Ref. den hebten Jahrgang der
wertvollen Zeitfchrift für niederfächfifche Kirchengefchichte
begrüßt. Denn er bietet die Fortfetzung der hannover-
braunfehweigifchen Kirchengefchichte von 1122—1235 von
K. Kayfer, die mit ihrem fchönen Aufbau und ihrem
reichen Inhalt den Lefer erfreut. Es ift erftaunlich, wie
reich die Quellen diefer Gefchichte fließen, und wie fein
Kayfer diefelben zu würdigen und zu benützen weiß.
Auch hier zeigt fich, wie der Sieg der Kirche über die
weltliche Macht ihr nicht zur Förderung wurde. Jetzt
fucht das Papfttum die deutfehe Kirche zu regieren. Immer
wieder erfcheinen Legaten, die in das Leben der Diözefen
eingreifen; der Papft ordnet Generalkirchenvifitationen an
und untergräbt mit feinen Eingriffen die Autorität der
Bifchöfe. Die Art, wie von Rom aus die niederdeutfehe
Kirche geleitet wird, ift eine unfichere, von Zufälligkeiten
und augenblicklichen Eindrücken abhängige, ftoßweife und
vielfach verletzende. Sehr intereffant weiß Kayfer die
Folgen der Erhebung der Städte für das kirchliche Leben
darzuftellen. Als gewaltige Perfönlichkeit fteht Heinrich
der Löwe auch in feiner Bedeutung für die Kirche da.
Wie beiläufig macht Kayfer in einer Anmerkung S. 119
bei der Übertragung der Erzbifchoffitzes von Hamburg
nach Bremen die wichtige Bemerkung: ,Wie in der ganzen
Entwicklung der mittelalterlichen Kirche fiegte auch hier
die ftaatliche Tendenz über die kirchliche'. Mit liebevoller
Sorgfalt hat der Verf. von fämtlichen Bifchöfen der neun
für Sachfen in Betracht kommenden Diözefen kurz aber
fcharf Lebensbilder gezeichnet. Sehr hübfeh ift die Gefchichte
des Kuhhirten von Dutzem, der mit feiner