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Ausgabe:

1904 Nr. 20

Spalte:

558-559

Autor/Hrsg.:

Schürer, Emil

Titel/Untertitel:

Zur Chronologie des griechischen Sirachbuches 1904

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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 20.

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Rationalismus der Stoa und Epikurs huldigenden Römer I Anmerkungsweife find Schwallys, Söderbloms und

wollen überhaupt von dem Unterwelts- und Vergeltungs
gedanken nichts wiffen. Griechifche Vorlagen kopierend
aber haben lateinifche Dichter auch die Vorftellung des
Totengerichts herübergenommen, nur daß fie diefe dann
nach römifchcr Rechtslitte {quaesitor, Lofung, Verhör mit
Folter u. a.) ausgeftalten, während bei Lukian nach Ruhl
griechifche Gerichtspraxis zu erkennen ift. Ift nicht auch
bei Plutarch (S. 55) fchon etwas von Zeugniszwang und
Folter vorhanden?

Den Kern des griechifchen Totengerichtsgedankens,
der eng mit der pythagoreifchen Metempfychofentheorie
zufammenhängt, bildet die Vorftellung, daß jede Seele
gleich nach dem Tode vor die Totenrichter Rhadaman-
thys, Minos und Aiakos (ftatt Minos tritt auf Grund
attifch-eleufinifcher Ideen oft Triptolemos ein) geführt
wird; diefe, fchon auf Erden als die gerechteften Richter
bekannt, richten ohne Anfehen der Perfon, teils nach
dem Zeugnis, das in untrüglicher Weife der Schatten
oder auch Bett und Leuchter des Betreffenden als Mit-
wiffer der geheimften Taten (über folche hinaus erhebt
fich der Gedanke kaum) ablegen, teils nach den an der
Seele bemerkbaren öxiyuaxa, Eindrücken, die jede böfe
oder gute Tat im Seelenkörper hervorbringt und die
von den Totenrichtern mit unfehlbarer Sicherheit ab-
gelefen werden.. Einmal findet fich auch die Vorftellung,
daß eine totale Änderung des Lebenswandels die ßxiypaxa
faft bis zur Unkenntlichkeit vernarben macht, eine fchwache
Analogie des chriftlichen Gedankens vonBuße undSünden-
vergebung. Nach dem Urteil fcheiden fich die Wege in
den finfteren Strafort, den Hades im engern Sinne, und
zu den ftrahlenden Gefilden der Seligen (was oft mit der
älteren Vorftellung von den Infein der Seligen, wo Rhada-
manthys als Kampfrichter das Regiment führt, zufammen-
fließt; zuweilen werden beide Anfchauungen verbunden
und dann die Rollen auf verfchiedene Perfonen verteilt).
Diefe Scheidung ift aber nur für den kleinften Teil definitiv;
für die meiften beginnt nach Ablauf der 1000jährigen
Periode mit der Wahl eines neuen Lebenslofes und dem
Lethetrank der Lauf von neuem, bis der Kreis von

Wiedemanns Arbeiten über jüdifchen, perfifchen und
ägyptifchen Jenfeitsglauben berückfichtigt. In diefer
Richtung hätte man in einer Sammlung religionsgefchicht-
licher Verfuche und Vorarbeiten vielleicht etwas mehr
erwarten können. Eine befonders intereffante, leider
fragmentarifche Schilderung des ägyptifchen Totengerichts
hat Griffith, Stories of the high priests of Memphis
ic/oo, 45ff. (vgl. Jahrg. 1901, Nr. II, Sp. 282 d. Bl.)
publiziert.

Ein Exkurs Hellt die Zeugniffe für ein Buch des
Gerichts zufammen. Es ift überhaupt fehr dankenswert,
daß der Verf. die meiften Belegftellen in extenso gibt;
nur wäre die Benutzung bedeutend erleichtert worden,
wären diefe irgendwie numeriert oder jedenfalls durch
einen Index überfichtlich gemacht. Die Form hätte gewonnen
durch völlige Scheidung von Unterfuchung und
Beleg en in der Art, wie Ref. das Material zur Palladium-
fage in Chriftusbilder 1—25 und 1*—96* behandelt hat.

Die fleißige und anregende Arbeit würde gewiß
noch mehr Leier finden, wenn fie in deutfehem Gewände
einherginge. Müffen denn die philologifchen Differtationen
noch immer in dem alten Stil gehalten fein?

Jena. von Dobfchütz.

Zur Chronologie des griechischen Sirachbuches.

Eine für die altteftamentliche Kanonsgefchichte fehr
bedeutfame Thefe hat an einem für die Theologen etwas
verdeckten Platz Ulrich Wilcken foeben aufgeftellt.
In einer Befprechung von W. Dittenbergers Orientü
Graeci Inscriptiones Selectae I Leipzig 1903 (eines Werkes,
das — beiläufig gefagt — die Durcharbeitung durch einen
biblifchen Gräzilten geradezu herausfordert)im neueften Heft
des Archiv für Papyrusforfchung (III, 1904, Heft 2) S. 321
erklärt er die berühmte chronologifche Angabe des Si-
rach-ÜberfetzerSj er fei im 38. Jahre kxl xov Eveoyfrov
ßaßiltmq nach Ägypten gekommen, ebenfo, wie ich dies
früher (Bibelftudien S. 255fr.) getan hatte, geht aber noch
einen Schritt weiter und zieht auf Grund von infehrift-
IO Perioden vollendet ift. j liehen und Papyrusparallelen aus dem esci den Schluß,

Wir heben diefen meid überfehenen, auch von Ruhl i daß die chronologifche Angabe erd nach dem Tode des

nicht genügend hervorgehobenen Punkt darum hervor,
weil er in dem ganz individualidifch entworfenen Gerichtsbild
der Griechen, das die Entfcheidung über jeden einzelnen
gleich nach dem Tode kommen läßt, ein Gegengewicht
bildet, das etwas an das efchatologifche Gefamt-
gericht der jüdifchen Vordellung erinnert. Auch das
Spätjudentum wird ja zum Teil hellenidifch-individualidifch
und verbindet dann oft die beiden Vorftellungen von

EuergetesII. niedergefchrieben fein könne, alfo erft nach
116 vor Chriftus. Das ejti flammt aus dem Kanzleiftil
der Ptolemäer, der darin ein Mittel gefunden hatte, die
Regierungsjahre des lebenden Königs und feiner Vorgänger
deutlich zu unterfcheiden. Die Vermutung Wilckens
leuchtet mir fehr ein, und ich glaube auch, daß die
meiften der in den Bibelftudien S. 256 namhaft gemachten
LXX-Stellen von den Überfetzern auf verdorbene Regenten

einem proviforifchen Einzelgericht und dem definitiven 1 bezogen und deshalb mit jenem ioti verfehen worden find.
Weltgericht. So übernimmt das Chriftentum die Ge- Zu unterfuchen bleibt, ob auch der Kanzleiftil anderer

danken, teils beide getrennt, teils kombiniert. Da bot
die pythagoreifch-orphifche Idee eine Anknüpfung, die
fich die Gnofis auch gern zu eigen machte; für das kirchliche
Chriftentum aber war fie unbrauchbar, weil fie unlöslich
mit der Metempfychofenlehre verbunden war.

Den chriftlichen Ideen oder vielmehr der Nachwirkung
jener Ideen bei chriftlichen Platoniften und Vifionaren hat
Ruhl einen fehr kurzen Schlußabfchnitt gewidmet. Hier
fühlt er fich offenbar nicht recht zu Haufe; das zeigen

/Sforza-Gebiete diefes bei kennt. In Betracht kommen
Stellen wie die a.a.O. von mir bereits zitierteInfchrift von
der Akropolis, auch die GgA 1900 S. 460 ff., 472 f. genannten
Beifpiele, befonders aber die Infchrift aus Kios-Prusias
(Bithynien), Athenifche Mitteilungen XXIV (1899) S. 416
txovq ai'_ btl AvxoxqäxoQoq Nsgova Tgaiavov Kaißaooq
JStßaßxov FeQpavixov Aaxixov.

Korrektur-Nachtrag: In der Wiff. Beilage zur
Germania No. 33 vom II. Auguft 1904 weift Heririann

fchon die bibliographifchen Angaben. Könnten diefe ; Muller-Paderborn, ein ausgezeichneter Kenner der
überhaupt etwas genauer fein (warum fehlen überall die | Papyrustexte, darauf hin, daß die lateinifche Überfetzung
Jahreszahlen?), fo werden fie hier unrichtig: Origenes' des Sirach die Vermutung Wilckens zu begünftigen

Jeremiashomilien find von Kloftermann, nicht von Koet
fchau herausgegeben; 1885 hat Brandes, 1893 James in
Texts and studies II 3 die Visio Pauli ediert; L Visio
Tungdali. Doch wollen wir ausdrücklich anerkennen,
daß der Verf. bei den Übergängen von antiker zu chrift-
licher Ideenwelt eine vorfichtige Zurückhaltung zeigt, die
fonft oft vermißt wird. Die ßzly/iaza reizen zu einem
Vergleich mit Gal. 6 17, aber das wäre doch wohl ein
Irrweg!

fcheint: in octavo et trigesimo anno temporibus Ptolcniaei
Evergetis.

Heidelberg. Adolf Deißmann.

Wegen der Autorität Wilckens auf dem fraglichen
Gebiet bringe ich obiges gern zur Kenntnis unferer
Lefer mochte aber hinzufügen, daß fich die von ihm
ausgekrochene Vermutung m. E. bei vollftändigerer Be-
ruckfichtigung des Materiales (f. meine Gefchichte des