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Ausgabe:

1904 Nr. 18

Spalte:

519-521

Autor/Hrsg.:

Schumacher, Bruno

Titel/Untertitel:

Niederländische Ansiedelungen im Herzogtum Preussen zur Zeit Herzog Albrechts (1525-1568) 1904

Rezensent:

Bossert, Gustav

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519 Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 18. 520

wohl vereinigen läßt; wir erfahren, wie St. Jago in Portugal
damals ganz befonders von Engländern befucht
wird, die aber deswegen doch auch ihre heimlichen Wallfahrtsorte
, ganz befonders Walfingham, nicht vernach-
läffigen. — Am meinen fällt die außerordentlich geringe
Bedeutung auf, die F. den Lollarden beilegt Vornehme
Perfonen gehörten nicht mehr zu ihnen, den Geiftlichen
hatte die Verfolgung feit 1401 ein Ende gemacht; fo
find nur Laien geringen Standes geblieben, die z. T.
ihre fehr fonderbaren Anflehten vertreten, wie z. B. einer
in London vorkommt, der Sabbatift in ftrengfter Form
war und dazu auch den Genuß des Schweinefleifches
verboten wiffen wollte. So viel wird ja nun richtig fein,
daß die Lollarden auf die Richtungen des englifchen
Lebens wie fie in den fpäteren Zeiten des 15. Jahrh.
an den Tag traten, keinen wefentlichen Einfluß geübt
haben. Im übrigen fcheint F. aber doch die ganze Partei
mit einer gewiffen Voreingenommenheit zu betrachten,
wenn er die wefentliche Eigentümlichkeit derfelben in
ihrer frömmelnden Redeweife (cant), in ihrer Abneigung
gegen kirchliche Kunft u. dgl. fleht. Wenn er in dem-
felben Zufammenhange auch ihren Biblizismus nennt,
fo charäkterifiert fie diefer fchon in einer ganz anderen
Weife. Und wenn er ferner meint, ,daß fie irgendwie
Regeln für ihr Leben und ihr moralifches Verhalten auf-
geftellt hätten, daß fie bei ihren Glaubensgenoffen auf
einen fo oder fo frommen Lebenswandel gefehen hätten,
davon findet fleh keine Spur' (S. 50), fo vergißt er, daß
dies keine Punkte find, über die man Ketzer anzuklagen
pflegte. Daß fie aus der großen Öffentlichkeit zurückgedrängt
waren, ift gewiß, wie viel fie aber im Verborgenen
gewirkt haben, ift damit noch keineswegs ent-
fchieden. — Von Intereffe find die Äußerungen des
Verfaffers über Reginald Peacock, den eigentümlich ra-
tionaliftifchen Gegner der Lollarden, der feine Anflehten
mit Abfetzung und Einkerkerung büßte. Den Anhang
bildet ein zum erften Male vollftändig veröffentlichtes,
fehr intereffantes Stück, der Entwurf einer Eröffnungspredigt
vor der Konvokation, die kurz nach dem Tode
Eduards IV. zufammentrat.

Berlin. S. M. Deutfch.

Schumacher, Dr. Bruno, Niederländische Ansiedelungen im
Herzogtum Preussen zur Zeit Herzog Albrechts (1525—
1568). (Publikation des Vereins für die Gefchichte
von Oft- und Weftpreußen.) Leipzig 1903, Duncker
& Humblot. (XII, 203 S. m. 2 färb. Karten.)

M. 4.80

Die Arbeit Schumachers verdankt ihre Entftehung
einer Anregung Benraths. Über die Beziehungen des
neuen Herzogs Albrecht von Preußen zu Holland, über
die Anfledlung von Niederländern in den feit dem Reuterkrieg
1519 menfehenarm gewordenen Teilen des Herzogtums
und die holländifche Hofpartei hatte fchon Hart-
knoch 1684, Cofack 1861 und Tfchackert in feinem
wertvollen Ürkundenbuch 1890 neben andern gehandelt,
aber eine genauere Darftellung der fämtlichen hollän-
difchen Kolonifationsverfuche, der Veranlaffung und Vermittlung
, wie der Methode der Anfledelung fehlte. Sie
hat Bruno Schumacher auf Grund eines fehr reichhaltigen
Aktenmaterials unternommen, das Tfchackert teilweife
noch unbekannt geblieben war. Dabei war er in der
Lage, auch die Einwanderung der Holländer in und um
Danzig und in Elbing zu berückfichtigen und eine Arbeit
zu geben, die nicht nur für die Profangefchichte,
befonders für die Wirtfchaftsgefchichte von Wert ift,
fondern auch für die Kirchengefchichte. Nach diefer
Weife hin kommt Schumachers Arbeit für die Theol.
Litztg. in Betracht.

Sie wirft in erfter Linie ein helles Licht auf den
Charakter Albrechts als Regenten, der fein durch die Kriege

zerrüttetes Herzogtum eifrig zu heben beftrebt ift und das
befonders durch den ,Reuterkrieg' verwüfttte Gebiet wieder
befiedelt. Zu diefem Zweck nimmt er Deutfche, Niederländer
, Schotten, Böhmen und Polen auf, ein buntfehek-
kiges Volk, deffen Lebensweife, Befchäftigung und religiöfe
Stellung fehr verfchieden war. Die Niederländer kommen,
um dem fchweren Druck zu entgehen, den die Religionspolitik
Karls V. auf feine Erblande ausübt. Alte Handelsbeziehungen
zwifchen Preußen und den Niederlanden
weifen die Flüchtigen nach dem einfügen Deutfchordens-
land. Für die Niederlande bedeutet diefe Zeit einen
ftarken Aderlaß. Anfangs fliehen nur die Häupter,
feit der Mitte der 1520 er Jahre aber ftrömen bald
größere bald kleinere Haufen nach Preußen. Schon 1530
fchätzt Butzer ihre Zahl in dem Brief an Ambr. Blarer
14. Aug. auf 4000. Gewiß hat Schumacher recht, wenn
er fagt: ,Nicht um heimatlofen Glaubensflüchtlingen eine
Stätte zu geben, fondern um den Wohlftand des Landes
zu heben und feine Einkünfte zu flehern, trieb Herzog
Albrecht feine Kolonifation' S. 17. Dafür fpricht, daß
er die Auswanderer durch große Verfprechungen in
fein Land zog und die Aufgenommenen zu weiteren
Anwerbungen anhielt. Zu beachten ift, daß es die nördliche
Gegend der Niederlande, das heutige Holland, ift,
aus der die Anfiedler größtenteils kommen. Aber mit
dem Jahre isöoift diefer Kolonifationsverfuchabgefchloffen.
Die Angefiedelten zogen ab oder gingen in der deutfehen
und polnifchen Bevölkerung auf.

Die Gründe für den Niedergang der niederländifchen
Anfiedlungen liegen vorzugsweife in ihrer Stellung zu
den religiöfen Fragen, die Herzog Albrecht und feiner
Regierung erft allmählich klar wurde. Albrecht felbft
nahm urfprünglich gegenüber den Lehrunterfchieden der
Holländer eine fehr milde Stellung ein. Er wollte die
Gewiffen fchonen und niemand zum Glauben drängen, und
auch den Wiedertäufern Duldung zuteil werden laffen,
wenn fie nur ihre Kinder taufen laffen und keinen Aufruhr
machen. " Die holländifche Hofpartei hatte großen
Einfluß auf ihn. Jene Holländer, Felix Regius gen. Poly-
phemus mit feiner Frau, Wilh. Gnapheus und Dr. Joh.
Pryfeus waren klug genug, mit ihren Sondermeinungen
gegenüber dem landeskirchlichen Bekenntnis zurückzuhalten
. Aber bei ihren Landsleuten trat der Spiritualismus
deutlich hervor; in der Abendmahlslehre ftanden fie
auf dem Boden von Com. Hoen und dann Zwingiis.
Etwas fpäter waren die holländifchen Glaubensflüchtlinge
alle Täufer. Aber mit Recht leugnet Schumacher
einerfeits den Zufammenhang der erften Einwanderer mit
der heutigen reformierten d. h. calvinifchen Kirche und
anderfeits den Zufammenhang der preußifchen Täufer mit
den Mennoniten, wenngleich Menno 1549 einen Brief an
die Chriften in Preußen fchrieb.

Es ift nicht überrafchend, daß Speratus als Bifchof
von Pomefanien fich 1534 mit einer leider bis jetzt nicht
wieder gefundenen Schrift gegen die Niederländer wandte,
worauf fie mit einer ebenfalls verfchwundenen Gegen-
fchrift antworteten. Ganz natürlich ift, daß die Kolo-
niften bei den Kirchenvifitationen nicht als richtige Glieder
der Landeskirche erfunden wurden. Hatte fchon der
Münfterfche Skandal gegenüber den Täufern in Preußen
wie anderwärts das Mißtrauen wachgerufen, war der
Tod Friedrichs von Heydeck 1536 und Chr. Entfelders,
des einfügen Täuferhauptes in Mähren, Ausfeheiden aus
dem herzoglichen Rat c. 1547 für die Täufer ein fchwerer
Verlud, fo wirkten auch Hetzereien wie die des Domkaplans
Georg Reich, der Neid der Gewerbe auf die ge-
fchickten niederländifchen Arbeiter und die Unmöglichkeit
der Koloniften auf dem Land, ihren Verpflichtungen
nachzukommen, zusammen, um den Flüchtigen die Gunft
des Herzogs und feiner Regierung zu entziehen. Mit 1543
beginnen die Landesverweifungen für die Wiedertäufer.

Schumacher fchildert auch die kirchenrechtliche
Stellung der Koloniften, die urfprünglich ihren Schulzen