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Ausgabe:

1904

Spalte:

491-492

Autor/Hrsg.:

Dressler, Max

Titel/Untertitel:

Die Welt als Wille zum Selbst 1904

Rezensent:

Ritschl, Otto

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ihre enge Verbindung durch „denn" wird nun deutlich.
Paulus will lediglich die Aufforderung durch einen konkreten
Determinismus verftärken und wirkfamer geftalten.
Wollet! ruft er, und indem er die Anwefenheit des
Willens bereits vorausfetzt, führt er, den Imperativ er- i
klärend, fort: Bedenket, daß der, der den guten Entfchluß i
in euch gewirkt hat, Macht hat, auch die zur Ausführung !
erforderliche Kaufalität zu verleihen, ift er doch der Urquell
aller Kraft' (S. 377 f.).

Daß der Verf., indem er fo auf konfequent deter-
miniftifcher Grundlage eine nur in profpektivem Sinne zu
verftehende Freiheit des aktuellen Wollens als folchen I
lehrt, jede fataliftifche Mißdeutung des Determinismus
völlig ausfchließt, braucht nur für folche noch ausdrücklich
bemerkt zu werden, die weder Determination und
Fatalismus, noch Freiheit und Indeterminismus von einander
zu unterfcheiden wiffen. Doch fcheint es mir,
gerade um folchen Unklarheiten nach Möglichkeit vorzubeugen
, unumgänglich zu fein, daß man für jenen Freiheitsbegriff
den Ausdruck Indeterminismus konfequent j
nicht mehr braucht. So hätte auch der Verf. beffer
getan, auf S. 344 nicht davon zu reden, daß durch feine
determiniftifche Theorie dennoch der Indeterminismus
gerettet werde. Denn diefe contradictio in adjecto
kann nur wieder derfelben Verwirrung Vorfchub leiften,
an deren Befeitigung der Verf. übrigens mit ficherer Hand
wirkfam mitgearbeitet hat. Zum Schluß kann ich feinem
lehrreichen und Klarheit fchaffenden Buche nur den beften
Erfolg wünfchen. Hinreichend intelligente und lernbe-
fliffene Lefer werden es gewiß nicht ohne großen Nutzen
aus der Hand legen.

Bonn. O. Ritfchl.

Dressler, Max, Die Welt als Wille zum Selbst. Eine phi-
lofophifche Studie. Heidelberg 1904, C. Winter. (III,

112 S. gr. 8.) M. 3 — ;

Man fühlt Geh um zwei bis drei Menfchenalter zu-
rückverfetzt, wenn man diefes Büchlein lieft. Der Ver-
faffer, Großherzoglich badifcher Hofarzt, lebt in einer
Gedankenwelt, die in ihrer ganzen Haltung und Tendenz
an die des deutfchen identitätsphilofophifchen Idealismus
erinnert. Bekennt er fich doch auch felbft im Gegen-
fatz zu dem nur naiven Materialismus und dem fubjek-
tiven Idealismus, der eine falsche Philosophie sei, vielmehr
zu einem absoluten Idealismus als der wahren
und einzigen Philofophie. Diefe vertritt er in einer
fchwungvollen und doch ganz überwiegend abftrakt '
gehaltenen Darftellungsweife, mit einer faft propheten-
haften Sicherheit und doch mit einem Apparat von
ganz allgemeinen Begriffen, deren Abwechfelung mit I
gut gewählten Bildern fehr eigentümlich anmutet. Seine j
Methode ift nicht durch wiffenfchaftliche Frageftel-
lungen und diskurfive Argumentationen, fondern durch
beftimmte Behauptungen und fpekulative Deduktionen
chärakterifiert. Seine Sätze find zum guten Teil Definitionen
, aus denen auch alle daneben vorhandenen
Schlußfolgerungen herfließen. So tritt er für eine
moniftifche Weltanfchauung ein, indem er überall Vermittlungen
als die Etappen der Selbftentwicklung aufweift
, die zu verfolgen die Aufgabe der Philofophie
fei. In diefer vollende fich die Wahrheit, die fich auf
ihren früheren Stufen als Wiffenfchaft, fchlechte (indifche)
Myftik, Kunft und echte Myftik darftelle. Als folche
feiert der Verf. einen Pantheismus auf Grund des my-
ftifchen Allgefühls der Liebe. Dennoch fagt er einmal,
man könne nicht anthropomorphiftifch genug fein. Ift
dies fein Ernft, fo ift es immerhin auffallend, daß er die
Religion nicht auch in ihrer eigentümlichften, nämlich
der ;theiftifchen Ausprägung in den Bereich feiner Betrachtungen
hineingezogen und fich mit ihrer abgeblaßten
pantheiftifchen Auffaffung begnügt hat. Doch kann

man mit einer folchen gefchloffenen Weltanfchauung, wie
fie der Verf. vorträgt, über Einzelheiten nicht wohl
rechten. Es muß genügen, fie in ihrer unzweifelhaft edlen
und idealen Tendenz als fubjektiv gültig für die individuelle
Perfon anzuerkennen, die nun einmal in ihr ihre
Befriedigung und die ihrer Eigenart adäquate Löfung
der Rätfei des Lebens und der Welt gefunden hat.

Bonn. O. Ritfchl.

Hilgenreiner, Dr. Karl, Die kirchliche Vorcensur und das
Partikularrecht. (Vorträge und Abhandlungen, herausgegeben
von der Leo-Gefellfchaft. 17.) Wien 1901,
Mayer & Co. (39 S. gr. 8.) M. —.80

Die kleine Schrift enthält in erweiterter Form einen
vom Verfaffer anläßlich der Gedenkfeier des zehnjährigen
Beftandes der Leogefellfchaft im Juni 1901 gehaltenen
Vortrag. Anknüpfend an die von Papft Leo XIII.
durchgeführte Reform der kirchlichen Büchergefetzgebung
behandelt fie die Frage der kirchlichen Vorcenfur, der
kirchlichen Druckerlaubniß, fowohl nach gemeinem
Rechte, als auch nach Partikularrecht. Dabei geht Verf.
in Übereinftimmung mit den meiften Kommentatoren
davon aus, daß zwar die neue Indexgefetzgebung im
allgemeinen für die ganze Kirche rechtliche Wirkung
und verpflichtende Kraft hat, daß aber im befonderen
Partikulargefetze und rechtskräftige Gewohnheiten durch
diefelbe nicht aufgehoben find, vielmehr weiterhin rechtmäßig
fortbeftehen können. DasBeftreben, das beftehende
Recht nicht zu verfchärfen, fondern eher zu mildern,
habe eben dazu geführt, von einer Abrogation von
Partikulargefetzen und -gewohnheiten abzufenen. Nach
diefer Feftftellung wird zunächft eine kurze Überficht
über die gemeinrechtlichen Vorfchriften hinfichtlich der
Vorcenfur gegeben und fodann das für Deutfchland und
Ofterreich in Betracht kommende Partikularrecht
erörtert, deffen Vorfchriften in mehrfacher Hinficht
Milderungen gegenüber dem Gemeinrecht enthalten,
welche Verf. in Gemäßheit des vorhin dargelegten
Standpunktes, über deffen Berechtigung fich immerhin
ftreiten läßt, als noch zu Recht beftehend anfleht.

Kiel. Frantz.

Albrecht, Ref. Dr. Friedrich, Verbrechen und Strafen als
Ehescheidungsgrund nach evangelischem Kirchenrecht.

(Kirchenrechtliche Abhandlungen. Herausgegeben
von Ulrich Stutz. 4. Heft.) Stuttgart 1903, F. Enke.
(VI, 200 S. gr. 8.) M. 7.20

Die vorliegende Arbeit reiht fich den bisher in der
Stutzfchen Sammlung erfchienenen tüchtigen Unterfu-
chungen als durchaus gleichwertig an und legt zugleich
Zeugnis ab von dem wiffenfchaftlichen Streben des
Verfaffers. Derfelbe befchäftigt fich mit der Frage, inwieweit
die evangelifche Kirche den Scheidungsgrund:
Verbrechen und Strafen anerkennt, wobei jedoch feine
Ausführungen auf das Recht der evangelifchen Kirche
Deutfchlands fich befchränken. In eingehender gründlicher
Unterfuchung legt er die Entwicklung und Behandlung
des Scheidungsgrundes dar, wie folche feit dem
16. Jahrhundert bis zur Gegenwart fich geftalteten. Ob-
fchon die Wittenberger Reformatoren, Luther an der
Spitze, fich dagegen ausfprachen, und auch die herr-
fchende Meinung im. 16. und 17. Jahrhundert, der die
Gefetzgebung und Übung entfprach, eine Scheidung
wegen Verbrechen und Strafen für unzuläffig erklärte,
fo erfolgte doch fchließlich in manchen Fällen eine
Scheidung. Im 18. Jahrhundert aber änderte fich die
herrfchende Meinung von urfprünglicher Verwerfung
bis zur weitgehenden Anerkennung des Scheidungsgrundes
, der dann im 19. Jahrhundert zur fefteren Ausgeftal-