Recherche – Detailansicht
Ausgabe: | 1904 Nr. 17 |
Spalte: | 480-483 |
Autor/Hrsg.: | Boer, T. J. de |
Titel/Untertitel: | The history of philosophy in Islam 1904 |
Rezensent: | Hartmann, Martin |
Ansicht Scan: | |
Download Scan: |
479
Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 17.
480
lieh felbft gefleht (S. 55 Anm.; vgl. S. 78 Anm.) — gar
keine Satisfaktionstheorien find, nach einander vorgeführt
, dann dogmatifch verteidigt und bereinigt und mit
wenigen, ziemlich inhaltlofen Bemerkungen über ihren
Wert begleitet werden. Das kurze Referat über Anfelms
Gedanken, das folgt, ift von den wiffenfchaftlichen Frage-
ftellungen der Gegenwart unbeeinflußt; was über die
katholifche Entwicklung nach Anfelm getagt wird, ift
unergiebig, und die Referate über die proteftantifche
Kritik find verfländnislos (der Nerv der Ritfchlfchen
Kritik z. B. wird gar nicht erkannt). — Daß der zweite
Teil, der nach dem Titel den ,Vorausfetzungen' der
Satisfaktionstheorie Anfelms gewidmet fein foll, nicht
mehr gefchichtliches Verftändnis verrät, als der erfte,
wird niemanden überrafchen. Doch bleibt er noch hinter
den befcheidenen Erwartungen zurück, die der Lefer feft-
zuhalten gewagt hat. Verfaffer begrenzt fich die Aufgabe
felbft fehr unzweckmäßig — dogmatifchem, nicht
gefchichtlichem Intereffe gemäß —, wenn er nur ,die
von dem hl. Anfelm felbft in Cur deus homo—S. 130
fleht die horrible Abkürzung ,die B. B. C. D. h'l — auf-
geftellten Vorausfetzungen' behandelt. Von den drei
Paragraphen diefes Teiles (Die Abficht des Verfaffers
der duo libri etc.; Die metaphyfifch-dialektifche Grundlage
; Die dogmatifchen Vorausfetzungen) bietet m. E. nur
der erfte einiges Beachtenswerte (gegen die Thefe, daß
Anfelm gegen die Ungläubigen habe fchreiben wollen);
Bekanntes und Erörterungen von Minutien findet man
in den beiden andern.
Intereffant ift das Buch nur deshalb, weil es die genuin
katholifche Stellung zu der JForfchung' der Väter
deutlich erkennen läßt und für die Naivetät ,wiffenfchaft-
licher* katholifcher Dogmatik mehr als ein bezeichnendes
Beifpiel gibt. Ich zitiere nur einige Sätze aus den
.Erläuterungen und Klarftellungen zu den patriftifchen
Theorien': ,Unter der Vorausfetzung des wahren Gottesbegriffs
. . . und unter der Vorausfetzung einer wahren,
göttlichen, hiftorifch der Sünde entgegengefetzten Genugtuung
wird die Satisfaktion a priori höchft wahrfchein-
lich nicht nur die Momente der Aufhebung der Sünde
an fich abftrakt und fpezififch betrachtet in fich tragen,
fondern auch diejenigen der Aufhebung diefer be-
ftimmten Sünde, wie fie in concreto {seil. Gen. 3) ge-
fchehen ift......Kommt dann noch hinzu, daß die
Offenbarung ganz ausdrücklich diefes Momentes (nämlich
des Sieges Chrifti über den Teufel) Erwähnung tut . . .,
dann ift notwendig in die Spekulation über die Satisfaktion
das Problem über das Verhältnis derfelben zu
Satan hineingetragen und die wiffenfehaftliche Beleuchtung
desfelben in ihrer Berechtigung feftgeftellt. Es fleht
dann fett, daß, wie die ethifche Untat der Sünde innerlich
mit dem Teufel zufammen hing, fo auch die entgegengefetzte
ethifche Genugtuungstat irgend eine —
nicht nur rein äußere — Beziehung zu Satan haben
wird . .. Damit find auch die Grundgedanken der diesbezüglichen
Väterlehre approbiert und damit ift die
prinzipielle Berechtigung der zuerft eigentümlich erfchei-
nenden Spekulation falviert, ohne daß freilich die einzelnen
Hypothefen in ihrem Umfange verifiziert erfchei-
nen' (S. 61). Schön find hier die .wiffenfchaftlichen'
Fremdwörter. Weshalb Verf. S. 67, was Jgnatins Mart.
lehrt', nur nach Hieronymus feftftellt, ift nicht verfiänd-
lich. Sagt der Text des Ignatius felbft das Gewünfchte
nicht fo deutlich — und fo ift's (vgl. Zahn, Ignatius,
S. 76 Anm. 1 und Harnack, Altchriftl. Litt. I, 81) —,
fo war von dem ungenauen Referat des fpätern erft recht
abzufehen.
Halle a. S. Loofs.
| Boer, Dr. T. J. de, The history of philosophy in Islam.
Translated (with the sanetion of the author) by
Edward R. Jones B. D. London 1903, Luzac & Co.
(XIII, 216 p. gr. 8.) 7 sh. 6 p.
Von den acht Kapiteln befchäftigt fich das erfte ein-
I leitend mit den Ländern, in denen islamifche Philofophie
| getrieben wurde, und den Grundlagen, auf welche fich
[ die philofophifchen Bemühungen der Muslims aufbauen:
Orientalifche Weisheit und Griechifche Wiffenfchaft. —
Kap. 2 behandelt das Hervortreten philofophifcher Tendenzen
in dem Betrieb der Sprachwiffenfchaft, der theo-
| logifchen Disziplinen (Pflichtenlehre und Glaubenslehre)
j und von Literatur und Gefchichte. — Kap. 3. 4. 5 geben
j die Entwicklung der Philofophie im örtlichen Islam: 1) die
Schule, die fich vorwiegend mit der Natur befchäftigt,
! benimmt durch Pythagoras-Platon, Stoiker und fpäte
1 Aftrologen und Alchemiften, und in deren Kreis auch
der Bund der ,treuen Brüder' (ichwan assafa) gehört;
j 2) die neuplatonifchen Ariftoteliker (Kindi, Faräbi, Ibn
Maskawaih, Ibn Slnä, Ibn Alhaitam); 3) die Verfumpfung
und Übergang in die Myftik (Ghazäll und die Kompen-
dienfehreiber). — Kap. 6 zeigt die Philofophie im weltlichen
Islam (Anfänge, Ibn Bägga, Ibn Tofail, Ibn Rosd)
und Kap. 7 wirft einen Blick auf die fpäte Nachblüte
j philofophifchen Denkens in dem Magribiner Ibn Chal-
dün, fowie auf die islamifchen Elemente in der chrift-
J liehen Philofophie des Mittelalters (Scholaftik).
Der Stoff wird von dem Verfaffer vollkommen be-
herrfcht und ift mit bewundernswerter Gefchicklichkeit
und Geftaltungskraft dargeftellt. Bei Entwicklung der
Lehrfyfteme treten die fpringenden Punkte klar und
fcharf hervor. Die Überfetzung des deutfehen Originals
(Gefchichte der Philofophie im Islam, Stuttgart,
Fr. Frommanns Verlag [E. Hauff], 1901) lieft fich gut,
1 doch fehlen nicht Mißverftändniffe (IV, 5, 2: ,tkat sage
had best understood hoiv lo knit sense-pereeption into a
1 coherent whole with rational hnowledge1 als Wiedergabe
von: ,er hatte es am bellen verftanden, die finnliche
Wahrnehmung einheitlich zu vernünftiger Erkenntnis zu
verknüpfen'. Pünige Fehler find berichtigt: fo ift die befremdliche
Stempelung des Oberfchulmeifters Imäm
Alharamain zu einem ,sufifchen Lehrer' (V, 1, 2) ausgemerzt
, das wunderliche: ,[Ibn Chaldün] hat meiftens nur
in kleinen Städten gelebt und Kairo aus der Ferne bewundert
' (VII, I, 5 Anm.) gemildert, wenn auch die
fchiefe Vorftellung von diefem Manne, der fchon als
Jüngling an den Höfen von Marokko und Granada
glänzte, geblieben ift. Bei dem Intereffe, das der Gegen-
ftand hat, geht Referent näher auf das Buch ein, deffen
Verdienft er freilich in Anderm fieht, als die Beurteiler
der deutfehen Ausgabe. Für die Neubearbeitung des
nützlichen Handbuches bittet er dringend um literarifche
Nachweife, deren Hinzufügung den Verfaffer veranlaffen
wird, Einzelnes forgfältiger und korrekter darzuftellen,
wie z. B. ein Blick in de Slanes ,Prolegomencs' ihn über
Ibn Chaldün belehrt hätte.
Über Sympathien ift nicht zu ftreiten. Die Sympathie
de B.s haben die islamifchen Pfeudophilofophen.
Es entgeht ihm nicht, daß fie folches Gefühl nicht verdienen
, ja, daß man ernftlich an der Berechtigung feiner
Arbeit zweifeln kann mit Hinblick auf die Minderwertigkeit
diefes Literaturkreifes. Er verteidigt fich I, 3, 15:
,Von einer muslimifchen Philofophie ift eigentlich kaum
zu reden. Aber es hat im Islam viele Männer gegeben,
die nicht davon laffen konnten, zu philofophieren [fo].
Durch die griechifchen Falten hindurch zeigt fich doch
die Form ihrer eigenen Glieder. Es ift leicht, von der
hohen Warte irgend einer Schulphilofophie auf jene
Männer herabzublicken. Beffer aber wird es für uns fein,
fie kennen und in ihrer hiftorifchen Bedingtheit begreifen
zu lernen'. Diefe Verteidigung fchärft die Waffen der
Anklage, welcher de B. auch fonft Rüftzeug liefert. So