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Ausgabe:

1904 Nr. 16

Spalte:

463-464

Autor/Hrsg.:

Kügelgen, Constantin von

Titel/Untertitel:

Grundriß der Ritschlschen Dogmatik. 2., vielfach veränd. Aufl 1904

Rezensent:

Wendt, Hans Hinrich

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 16.

464

überhaupt nirgends Erwähnung gefchieht. Niemeyer
bringt die Repetitio Anhalt, als eine der Confessiones quae
sunt secundi ordinis; hat M. Bedenken, fie auch nur
hiefür gelten zu laffen oder hat er fie nur übergangen,
weil fie oft genug und in nicht fchwer zu erreichenden
Werken gedruckt ift? Nur notieren möchte ich hier
(nicht, weil ich dächte, daß M. fie nicht kännte, fondern
weil fie zeigt, daß Anhalt immerhin nicht ohne Intereffe
für die Gefchichte der Reformierten ift) die Abhandlung
von Becker, Der wefentl. Anteil Anhalts an d. Feft-
legung der Bezeichnung Reformiert' als Kirchenname in
Deutfchl., Th. Studd. u. Kritt., 1901. Unter dem Titel
,Orthodoxe Entfcheidungen einzelner Lehren' bringt M.
die Dortrechter Canones und die Helvetifche Konfenfus-
formel. Im letzten Abfchnitt, überfchrieben ,Modernes',
finden wir folgende Stücke: die Lehrartikel der pfälzi-
fchen Union von 1818, das Bekenntnis der calviniftifchen
Methodiften von 1823, die Deklaration der englifchen
Kongregationaliften von 1833, die Eingangspartien der
Konstitution der waadtländifchen Freikirche von 1847,
das Bekenntnis der Genfer Freikirche von 1848, den
Eingang der Konftitution der freien franzöfifchen Gemeinden
von 1849, das Bekenntnis der .italienifchen
evangelifchen Kirche'von 1870 (den Namen chiesa libera
Italiana hat diefe Gruppe 1891 in den eben angegebenen
geändert), die Deklaration der franzöfifchen Generalfynode
von 1872, das erfte Kapitel der Konftitution der Neuen-
burger Freikirche von 1874, das Bekenntnis der Cumber-
land Presbyterian Church von 1883, fchließlich das Bekenntnis
der amerikanifchen Kongregationaliften von
demfelben Jahre. Im Anhang hat M. auch fchon die
1902 von der Hauptgruppe der amerikanifchen Presby-
terianer (vorläufig) befchloffenen Artikel zur Revifion
der Weftminfter-Konfeffion abdrucken können. Diefe
modernen ,Bekenntniffe' find alle bemerkenswert kurz
und fchlicht. Sie geben im Verhältnis zu den früheren
manches zu denken. Viel Gewicht legt M. auf ein von
ihm felbft, mit offenbar großem Fleiße angelegtes, reichliches
Sachregifler am Schluffe des Werkes. Welchen
Dienft es tut, kann erst lange Benützung und Vergleichung
ergeben. Vorerft erfcheint es fehr dankenswert.

Göttingen. F. Kattenbufch.

Kügelgen, Lic. Conftantin von, Grundriß der Ritschlschen

Dogmatik. Zweite, vielfach veränderte Auflage von ,Die
Dogmatik Ritfchls'. Leipzig 1903, R. Wöpke. (V, 138
S. gr. 8.) M. 3.—; geb. M. 3.80

Es ift erfreulich, daß diefe verständnisvolle, klare und
gerechte Darstellung der Dogmatik A. Ritfchls (vgl. meine
Anzeige der ersten Aufl. in Jahrg. 1898 Nr. 24 der Th.
Ltztg.) eine zweite Auflage erfahren hat. Sie kann denen,
die mit R.s dogmatifchen Anfchauungen bekannt werden
möchten, gute Dienste leisten. Sie hält nicht vom eigenen
Studium der Werke R.s ab; wohl aber erleichtert fie
diefes Studium dadurch, daß fie die Grundgedanken und
leitenden Motive R.s kräftig heraushebt. Die Dispofition
der ersten Aufl. und die Ausführung im großen und
ganzen find diefelben geblieben. Aber viele Zufätze im
Texte und in den Anmerkungen zeugen dafür, daß der
Verf. im einzelnen forgfältig zu beffern gefucht hat. In
der Einleitung find die Angaben über die R. betreffende
neueste Literatur vervollständigt. Hier hätte nur die
fcharffinnige Arbeit J. Wendlands: A. Ritfehl und feine
Schüler ufw. 1899, nicht unerwähnt bleiben dürfen. Später
freilich nimmt der Verf., wenn ich nicht irre zweimal
S. 26 und 28), auf Wendland Bezug. Im weiteren Ver-
aufe der Arbeit find mir folgende Zutaten als die wichtigsten
erfchienen: Bemerkungen über R.s Unterfcheidung
des religiöfen und des wiffenfehaftlichen Erkennens (S. 24L);
über die pfychologifchen Grundgedanken R.s (S. 28); über
die verhältnismäßig starke Betonung der Innerweltlichkeit

Gottes bei R. (S. 62); über die Idee der Übertragbarkeit
der Gottheit Christi d. h. feiner geistigen Weltherrfchaft
auf Andere (S. 78f.); über das Verhältnis der Verföhnungs-
lehre R.s zu derjenigen Schleiermachers und zu der An-
felmifchen (S. 83 und 85); über R.s Stellung zur Kindertaufe
(S. 112). Abweichend von der ersten Auflage urteilt
der Verf. jetzt über R.s Stellung zur theologia naturalis
(S. 122 f.). Während er früher R.s Auffaffung in
diefem Punkte beanftandete, rechnet er es ihm jetzt zum
Verdienste an, daß er von der natürlichen Theologie
nicht viel wiffen wollte und die christliche Dogmatik fcharf
von der Religionsphilofophie fchied.

Jena. H. H. Wendt.

Kalthoff, Albert, Religiöse Weltanschauung. Reden. 1. und
2. Taufend. Leipzig 1903, E. Diederichs. (278 S. gr. 8.)

M 3.—; geb. M. 4.—

Diefe Gemeindereden, die eine neue Weltanfchauung
darbieten, wollen unter dem apologetifchen und unter
dem homiletifchen Gefichtspunkt betrachtet werden.

Verf. trägt feiner Gemeinde eine religiöfe Auffaffung
vor, die in den Rahmen des ganz umgestalteten Welt-
und Menfchenbildes hineinpaffen, ja feinen Abfchluß
darftellen foll. Diefe neue Auffaffung ift in folgendem
Satz gezeichnet (S. 34): ,Die Unendlichkeit der Welt
ift (nur) die Umrahmung des Gedankens, in die die Weltentwicklung
hineingezeichnet erfcheint, und das Gefetz
der Erhaltung der Kraft ift (nur) die ewige Belebung
alles deffen, was innerhalb diefes Rahmens, im Zufam-
menhang diefer Weltentwicklung vor fich geht'. Die
religiöfen Wahrheiten werden nun in diefen Rahmen
hineingepaßt und auf diefe Erkenntniffe der Naturwiffen-
fchaft begründet. So wird das Überfinnliche, das wir
als eine Realität fühlen, um der Unendlichkeit der ^Velt
willen nicht als eine zweite Welt über die fichtbare gelegt
, fondern in unferem Innern gefunden. Laut der
Gewiffensbeftimmung ift unfer Ziel die Unendlichkeit,
das Herz des himmlifchen Vaters. Der zweite Haupt-
begriflf, die Erhaltung der Kraft, bürgt dafür, das wir
mit all unferem Lebensinhalt unverloren find in Gott.
Der dritte, die Entwicklung, läßt uns auf einen Siegeslauf
zu immer vollkommeneren Gestaltungen des Lebens
hoffen. — Kraft der naturgefetzlichen Nötigung, uns felbft
in die Welt hineinzudichten, halten wir Gott feft, und
zwar als Liebe, wie er nach vielen Verwirrungen einem
Chriftusherzen aufgegangen ift. Läßt die Anpaffungs-
lehre auch die Verantwortlichkeit hinter dem Milieu zurücktreten
, fo verlangt fie um fo mehr die Schaffung
eines befferen Milieus als des Bodens für freie Geister.
Allem Mechanismus zum Trotz heißt uns unfer Gewiffen
vertrauen, daß die Pflicht getan werden kann, und daß
der Fluch des Gefetzes der Vererbung durch fittliche
Arbeit zu befeitigen ift, um durch fittliche Arbeit mit
allem Gefchaffenen in Gemeinfchaft zu treten. — Aus
den praktifchen Ausführungen über Kirche, Erziehung,
Ideal ufw. führe ich befonders den für K. charakter-
iftifchen Gedanken an, daß unfere chriftuslofe Zeit fich
einen neuen Christus fchaffen muß, nämlich ein Menschenbild
, in dem alle suchenden Geister die Deutung ihres
Aufwärtsftrebens wiederfinden. Die praktifch-pädagogi-
fchen Erörterungen wollen Kultus und Unterricht im
Sinn einer eigenperfönlichen und dem neuen Weltbild
angepaßten Religiosität umgestalten. Wem das Problem
.Glaube und Gefchichte' und die Verkündigung an die
moderne Zeit auf dem Herzen liegt, der kann an diefem
Buch feine Studien machen, das mit der Gefchichte
bricht und den Glauben auf die moderne Naturerkenntnis
und das Gewiffen stellt. Aber die Naturerkenntniffe
garantieren uns unfere religiöfen Werte nicht. Die Unendlichkeit
der Welt und das Herz des himmlifchen Vaters,
die Erhaltung der Energie und das ewige Leben, die