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Ausgabe:

1904

Spalte:

449-452

Autor/Hrsg.:

Curtiss, Samuel I.

Titel/Untertitel:

Ursemitische Religion im Volksleben des heutigen Orients 1904

Rezensent:

Bertholet, Alfred

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Harnack, Prof. in Berlin, und D. E. Schürer, Prof. in Göttingen.

Jährlich 26 Nrn. Verlag: J. C. HinrichsTche Buchhandlung, Leipzig. Jährlich 18 Mark.

Nr. J6. 6. Auguft 1904. 29. Jahrgang.

Curtiß, Urfemitifche Religion im Volksleben
des heutigen Orients (liertholet).

Zapletal, Altteftamentliches (Bertholet).
Rahlfs, Studien zu den Königsbüchern [Sep-
tuaginta-Studien I] (E. Kloftermann).

Grenfeil and Hunt, The Oxyrhynchus Papyri,
Part IV (Harnack).

Dittmar, Vetus Testamentum in Novo, z. Hälfte
(Clemen).

Supernatural Religion, populär edition (Clemen).

Weinel, Die Gleichnifle Jefu (Holtzmann).

Chiappelli, Nuove pagine sul cristianesimo
antico (Holtzmann).

Müller, Karl, Die Bekenntnisfchriften der reformierten
Kirche (Kattenbufch).

Kügelgen, Grundriß der Ritfchlfchen Dog-

matik, 2. Aufl. (Wendt).
K a 11 h o f f, ReligiöfeWeltanfchauung(Niebergall).
Stör ring, Moralphilofophifche Streitfragen,

t. Teil: Die Entftehung des fittlichen Be-

wußtfeins (Ritfehl).
Schoen, Das evangelifche Kirchenrecht in

Preußen, 1. Bd. (Baffermann).

Curtiss, Samuel Ives, Ursemitische Religion im Volksleben I obachtung des modernen Lebens, wie ich fte 1901 plan-
des heutigen Orients. Forfchungen und Funde aus mäßig vornahm, kann hier allein ausfchlaggebend fein'.

Syrien und Palältina. Deutfche Ausgabe. Mit 57 Abbildungen
und 2 Karten. Nebft einem Vorwort von
Wolf Wilhelm Grafen Baudiffin. Leipzig 1903,
J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. (XXX, 378 S. gr. 8.)

M. 9.—; geb. M. 10.—

Dank fo vielen glänzenden Ausgrabungen und Entzifferungen
ift es in den letzten Jahrzehnten in zunehmendem
Maße gelungen, die Steine von alter Zeit zu
uns reden zu laffen. Curtiss' Buch zeigt, daß von ihr auch
Menfchen noch zu uns reden können, wenn man es nur
verfleht, fie zum Reden zu bringen! Der Verfaffer fcheint
gerade diefe Gabe in hohem Grade zu befitzen (er hat
über feine Gefpräche fogar zahlenmäßige Statiftik geführt,
vgl. S. 33), und verbunden mit einer feltenen Energie
und einer ebenfo mutigen als unermüdlichen Wanderluft
(vgl. die Skizze feiner Reifen S. 4—30) hat fie ihn befähigt
, ein Werk zuftande zu bringen, das fich an Wert
wohl mit Entdeckung diefer oder jener Trümmerftätte
meffen kann; eröffnet es uns doch einen reichen Schatz
von Material, das zum guten Teil den Vorzug hat, gänzlich
neu zu fein. Es fei daher von vornherein Curtiss'
Buch dem gründlichen Studium eines jeden, der fich um
die Erforfchung femitifcher und fpeziell atl. Religion
bemüht, aufs angelegentlichfte empfohlen.

Das will nun nicht befagen, daß alles, was es enthält
, Anfpruch auf ungeteilte Anerkennung erheben
dürfte. In gewiffer Hinficht wäre fogar etwas weniger
vielleicht etwas mehr gewefen: Der Verf. begnügt fich
nämlich nicht mit der reinen Mitteilung feines Materiales,
er agnosziert es gleich und meint über feinen Urfprung
völlig im Klaren zu fein: was weder chriftlich noch iflamifch
ift, erhält ohne weiteres das Prädikat ,urfemitifch'. Ich
zweifle nicht im minderten, daß damit in vielen, fehr
vielen Fällen das Richtige getroffen wird. Aber der
Verf. fchießt m. E. weit über das Ziel hinaus, wenn er
diefen Grundfatz zum Prinzip erhebt. Zu was für bedenklichen
Schlüffen ihn das führt, dafür nur folgendes
Beifpiel. Er fagt (S. 246): ,Es ift bezeichnend, daß es
ein Moslem war, der mir diefe Vorftellung als feinen
Glaubensgenoffen geläufig fchilderte, obwohl die Idee
des ftellvertretenden Blutes der Theologie des Iflam
widerftreitet. Alfo muß (von mir gefperrt!) hier ein ur-
femitifcher Brauch erhalten fein'. — Bleiben wir überhaupt
bei der Opfervorftellung ftehen, fo mutet uns
einige Seiten weiter (254) eine andere Behauptung wieder
feltfam genug an: ,Die Angaben der alten Literatur,
auf Grund deren die Kritiker fchließen, daß das Mahl
bei dem Opfer die Hauptfache war, bilden für einen
ftringenten Schluß eine zu fchmale Unterlage. Die Be-

Als wäre es das felbftverftändlichfte Ding der Welt, jene
Angaben einfach nach diefer Beobachtung zu interpretieren
! Dazu gibt dem Verf. auch die Analogie aus andern
Religionsgebieten kein Recht. Noch neuerdings
hat z. B. Chantepie de la Sauffaye mit großem Nachdruck
davor gewarnt, in allen neueren deutfehen Volksbräuchen
Altheidnifches fehen zu wollen. Indeffen C.
wird dagegen einwenden, daß die Orientalen im Fefthal-
ten überkommener religiöfer Bräuche und Anfchauungen
ganz befonders zähe gewefen feien. Allerdings; aber
felbft wenn fie unter Bedingungen lebten, die ihrer Ab-
fchließung möglich!! günftig waren, ja wenn fogar direkte
Zufammenhänge gewiffer Volkselemente angenommen
werden dürften (vgl. S. 159), wer wollte ohne genaue
hiftorifche Detailforfchung (fofern fie überhaupt möglich
wäre) zu entfeheiden wagen, ob nicht doch fekundäre,
z. T. fremde Faktoren im einzelnen Fall auf die gegenwärtige
fpezififche Ausgeftaltung religiöfer Bräuche und
Anfchauungen, z. B. gerade betr. Stellvertretung im
Opfer (vgl. S. 259), von beftimmendem Einfluß gewefen
feien? Aber der Verf. hat für fie alle nur das Eine Wort
,urfemitifch' bereit.

Übrigens was verbindet er mit ,urfemitifch' für eine
Vorftellung? Eine ganz überrafchende Unklarheit verrät
der in Sperrfchrift gedruckte Satz (S. 253): ,Demnach
haben wir es bei den Blutbräuchen u. dgl. mit einer ur-
fprünglichen, auf die Zeit Ezechiels, der älteften Penta-
teuchdokumente und auf babylonifche Bräuche zurückgehenden
Sitte zu tun.' Wie kann Ezechiels Zeit mit
der Zeit der älteften Pentateuchdokumente in einem Atemzuge
genannt werden, und eine auf jene zurückgehende Sitte
eine urfprüngliche heißen? Ganz zufällig ift dies freilich
vielleicht nicht; denn mit allem Nachdruck fucht C. gegen
R. Smith nachzuweifen, daß es bei dem von ihm beobachteten
,urfemitifchen' Opfer nicht auf das Mahl, fondern
auf das Blutvergießen, fpeziell das ,Hervorbrechen-
laffen des Blutes'(vgl. z. B. S.255) ankomme. Nun tritt aber
innerhalb der atl. Literatur die größere Wertfehätzung
der Blutmanipulation gerade bei den fpäteren Autoren
wie Hefekiel hervor, in deren Anfchauung fich fchon
ein gutes Stück theologifcher Reflexion geltend macht.
Soll ich hinzufügen, daß mir C.s eigene Ausführungen
zu Gunften feiner Meinung keineswegs einwandfrei er-
fcheinen? Er muß fchon felber zugeben, daß hie und da
das Mahl mehr betont werde, als die Tierfchlachtung,
das gemeinfame Effen mehr als das ftellvertretende
Blut (S. 251). Nachdem er aber im Kapitel über das
Ausföhnungsopfer Sätze gefchrieben hat wie die folgenden
: ,Durch Teilnahme am Opfermahle werden beide
Parteien Brüder' (S
Befiegelung des

(S. 246) oder ,Man ißt gemeinfam zur
Friedens' (S. 250, vgl. auch 196 A.1),

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