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Ausgabe:

1904 Nr. 15

Spalte:

444

Autor/Hrsg.:

Goldfriedrich, Johann

Titel/Untertitel:

Die Rechtfertigung durch die Erkenntnis 1904

Rezensent:

Mayer, Emil Walter

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443

Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 15.

444

die betreffenden Abhandlungen nicht immer auf bloße
Berichterftattung und Beurteilung; fie laufen vielfach in
eine paränetifche Spitze aus und bringen die Defiderien
und Forderungen des Autors zum Ausdruck.

Der letzte Teil ift überfchrieben ,Zum religiöfen und
religionsphilofophifchen Problem'. Er fetzt fich aus vier
Auffätzen zufammen. Der erfte, der ftark an Euckens
Werke ,Der Kampf um einen geiftigen Lebensinhalt' und
,Der Wahrheitsgehalt der Religion' erinnert, geht von
der Tatfache aus, daß in der Gegenwart das religiöfe
Bedürfnis wieder ftärker zu Tage tritt, beftreitet aber,
daß es zu deffen Befriedigung mit der Darbietung überlieferter
und veralteter Formen getan fei. Vielmehr
müffe eine gründliche Erneuerung ftattfinden, die zunächft
der Religion eigene Sache fei, bei der indeffen hülfreiche
Hand geleiftet werden könne von der Philofophie. Nur
darf man von diefer nicht eine auf kosmologifchen Betrachtungen
ruhende Apologetik erwarten. Auch bloße
Verfuche, durch pfychologifche Beftimmungen ein befon-
deres Gebiet der Frömmigkeit abzugrenzen, genügen nicht.
Dagegen kann zur Neubegründung der Religion beitragen
eine ,noologifche' Betrachtungsweife. Weifen doch einer-
feits die Zufammenhänge und Gefetze des geiftigen Lebens
über diefes hinaus auf einen transempirifchen Grund, wodurch
das Verftändnis eröffnet wird für die Wahrheit
der ,umverteilen Religion'. Bekunden doch anderfeits
die Kämpfe, in die das geiftige Leben verwickelt wird, und
die Siege, die es dabei erficht, die Notwendigkeit und
Wirklichkeit eines jeweiligen Einftrömens neuer Kräfte aus
demBereich des Göttlichen, womit die,Tatfächlichkeit einer
fpezififchen Religion' bezeugt wird. Des weiteren vermag
die Philofophie auch das Verhältnis von unmittelbarem Leben
und geschichtlichem Befitz in der Sphäre des Religiöfen
zu erläutern und eine ftetige Mahnerin zur inneren Wahrhaftigkeit
zu fein. Eine zweiter Auffatz gibt eine knappe
und feine Charakteriflik des modernen Menfchen und gelangt
zu dem Refultate, daß diefen eine tiefe Unzufriedenheit
mit der gegenwärtigen Kultur zu befchleichen beginnt.
Das bedeutet eine Wendung und Bewegung zur Religion.
Umfonft proteftiert der Pofitivismus gegen deren Möglichkeit
, weil er fie mit einem ,Wiffen' von Unwißbarem
und Unerfahrbarem verwechfelt; und vergebens verkleinert
der neuefte Subjektivismus ihren Wert, indem er verkennt
, daß fie die Lebensenergie nicht herabfetzt, fondern
erhöht. Die Zukunft gehört ihr unzweifelhaft. Freilich
wird fie ihrerfeits, will fie einen wirklichen Einfluß ausüben
, den allmählichen Wandlungen der Kultur gerecht
werden und fo beifpielsweife dem in der letzteren vollzogenen
Bruch mit dem Intellektualismus ehrlich Rechnung
tragen müffen. Denn fo felbftändig Religion und
Kultur gegen einander find, fo gehören fie doch auch
wieder zufammen, und jede kann ihr eigenes Werk nur
vollenden mit Hülfe der anderen. Der nächfle Artikel
unternimmt eine außerordentlich anziehende und wertvolle
Analyfe der Perfönlichkeit und Gedankenwelt Pierre
Bayles, während der vierte fich mit Willmanns Gefchichte
des Idealismus kritifch auseinanderfetzt.

Im Anhang wird die Frage, was zur Hebung philo-
fophifcher Bildung gefchehen könne und müffe, durch eine
Antwort erledigt, der Ref. nur rückhaltlos zuftimmen
kann, auch da, wo fie von der Befchäftigung mit der
Philofophie eine Fertigung der religiöfen Überzeugung erwarten
läßt.

All die verfchiedenen Auffätze und Abhandlungen
verbindet nicht nur eine beflimmte Anfchauungsweife,
fondern auch das immer wiederkehrende Drängen auf
Kräftigung und Vertiefung des Innenlebens, fo daß das
Ganze als eine apologetifche Leiftung vornehmfter Art
bezeichnet werden darf.

Straßburg i. E. E. W. Mayer.

Goldfriedrich, Johann, Die Rechtfertigung durch die Erkenntnis
. Leipzig 1903, F. Brandftetter. (392 S. gr. 8.)

M. 4.50; geb. M. 5.50

Das Buch ift kein eigentlich wiffenfchaftliches, wenig-
ftens nicht der Form nach. Der Stil ift vielfach,'euphemiflifch
geredet,dithyrambifch. Eineeinzige,allerdingsausgefuchte,
Probe wird genügen, das zu veranfchaulichen. Auf S. 103
heißt es wörtlich: ,Ich bin —■ Es ift —; ich habe gewonnen
--Ich war. Es war. Ich hatte gewonnen.

Ich glaubte zu fein. Ich meinte gewonnen zu haben. —'
Man wird zugeben müffen, daß eine derartige Sprache
eher geeignet ift, einem ftarken aber dunklen Gefühlsdrang
als einer klaren zufammenhängenden Gedankenreihe Ausdruck
zu verleihen. Dazu kommt, daß der Verf. feine
Auffaffung der Dinge erft während des Schreibens erringt
und den Standpunkt öfter wechfelt. Auf S. 55 erklärt
er bezüglich des Voraufgehenden: ,Ich war beraufcht;
ich werde wieder nüchtern'. Auf S. 121 fagt er mit
Rückficht auf das mittlerweile Vorgetragene: ,Es kommt
mir jetzt nicht viel anders vor, als wenn ich bisher von
einem toten Spuk genarrt und nun von ihm befreit
worden wäre'. Dem entfprechend huldigt er zunächft
dem ,Naturalismus'; dann wendet er fich dem .Spiritualismus
' zu. Späterhin erkennt er, ,wie alles weft, daß
es zwei Arten der Wefung gibt, Infichwefen und Fürfich-
wefen, und beide, raumfetzendes Infichwefen und be-
ftimmtrichtendes Fürfichwefen, find eins im raumfetzend-
beftimmtrichtenden Anfichwefen'. Schließlich kennzeichnet
er feine Betrachtungsweife als ,Relationsphilofo-
phie': die Wirklichkeit löft fich ihm in einzelne ,Relations-
fyfteme' auf, während Gott das abfolute Relationsfyftem
ift. ,Aufs fittliche angewandt' lehrt diefe ,Relationsphilofo-
phie': ,wenn Du lediglich deiner Individualität, deiner
Perfönlichkeit lebft, fo begehrt Du die Sünde des Abfalls
von Gott, fo töteft Du Dich fittlich und lebft fittlich eine
Abftraktion' (S. 349). Die Beantwortung der Frage ,was
darf ich hoffen?' lehnt der Autor ab. Dagegen hält er
die Religion für vereinbar mit feiner Weltanschauung und
legt fogar ein Wort ein für die ,Kirchen der Konfeffionen'.

Straßburg i. E. E. W. Mayer.

Kirchliches Jahrbuch auf das Jahr 1904. 31. Jahrgang.
Herausgegeben von Pfr. J. Schneider. Hagen i. W.
1904, O. Rippel. (XI, 444 S. gr. 8.)

M. 5.—; geb. M. 6.—

Diefer Jahrgang ift von dem Herausgeber (Perfonal-
ftatus der evang. Kirche Deutfchlands; Neuere kirchliche
Gefetzgebung und Judikatur; Kirchliche Statiftik), Pfarrer
Gareis (Heidenmifüon), Pfarrer de le Roi (Juden und
Judenmifiion), Pfarrer Neu mann (Evangelifation und
Lage der evangel. Kirche in der ausländifchen Diafpora),
Pfarrer Bunke (Innerkirchliche Evangelifation), Pfarrer
Goetz (Vereine), Hofprediger Schneider (Innere Mif-
fion), Lic. Mumm (Kirchlich-foziale Chronik) und Pfarrer
Frick (Kirchliche Konferenzen und Kongreffe; Toten-
fchau) bearbeitet worden. Er zeichnet fich durch große
Reichhaltigkeit aus. Wo ich ihn aufgefchlagen habe, da
orientierte er zuverläffig und ausreichend. Ich wünfche
ihm die weitefte Verbreitung fowohl bei den akade-
mifchen Theologen als bei den Pfarrern; fie werden hier
nicht nur zufammen finden, was man fonft aufs müh-
famfte auffuchen muß, fondern fie werden auch reiche
Belehrung aus vielen Referaten, namentlich auch aus
dem mit dem höchften Fleiße gefammelten ftatiftifchen
Material fchöpfen können. Natürlich möchte man einem
folchen Handbuch die weiteften Grenzen gezogen fehen.
Der verdiente Pierausgeber wird fie jetzt noch weiter
ziehen können, da er dem Buche bereits einen folchen
Umfang gegeben hat, daß eine MaffenVerbreitung nicht
mehr möglich ift. Vor allem wäre die römifche Kirche