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Ausgabe:

1904 Nr. 15

Spalte:

442-443

Autor/Hrsg.:

Eucken, Rudolf

Titel/Untertitel:

Gesammelte Aufsätze zur Philosophie und Lebensanschauung 1904

Rezensent:

Mayer, Emil Walter

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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 15.

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Befonders wertvoll find, wie überhaupt die hiftorifchen
Ausführungen, fo fpeziell die Erörterungen über das
Wefen der Mythologie. Im Anfchluß an Andrew Lang
wird hier gezeigt, daß der primitive Menfch wirklich,
nicht bloß figürlich, fo dachte, auch wenn J. zugleich
M. Müller zugibt, daß manche Züge aus Mißverftändnis
einzelner Ausdrücke fich erklären. Andere kamen durch
die Art der Feftfeiern herein, die fie felbft erft hervorgerufen
, und durch diefe Verbindung hielten fich nun
die Mythen auch dann noch, als man eigentlich nicht
mehr fo urteilte. J. ftellt daher mit ihnen die Riten zu-
fammen, in denen auch uralte Anfchauungen fortwirken,
warnt aber zugleich vor Übertreibungen, wie fie gerade
jetzt bei Folkloriften nicht feiten vorkommen.

Aus dem nächften Kapitel über Religion und Pfycho-
logie hebe ich nur die Mitteilungen über Anwendung
der experimentellen Methode auf Probleme der religiöfen
Pfychologie hervor. In derfelben Sammlung, der unfer
Buch angehört, ift auch (unter dem Titel: the Psychology
of Religion) eine folche Unterfuchung der Bekehrung
durch Prof. Starbuck erfchienen, in der flatiflifch feftgeftellt
wird, in welchem Alter, unter welcher Umgebung, bei
welchem Temperament am leichterten eine folche ftatt-
findet. J. weift aber zugleich und mit Recht auf die
Grenzen diefer Methode hin und meint, man folle darüber
die alte nicht vergeffen. Ihre vollkommenfte Anwendung
findet er bei Ed. von Hartmann, den de la
Grafferie in feiner Psychologie des Religions für den Kultus
ergänze.

Unter der Übeifchrift: Religion and history handelt
J. vielmehr von dem Verhältnis der Religion zum
Staate, das allmählich ein immer loferes geworden fei.
Das Ziel der Entwicklung fieht er in Amerika erreicht;
ob die völlige Trennung von Kirche und Staat wirklich
das richtige fei, kann hier natürlich nicht unterfucht
werden.

Endlich: Religion und Kultur — auch ihr Verhältnis

auch in Nordamerika an einigen Univerfitäten folche
Lehrftühle beftehen. J. fchildert wiederum eingehend,
wie er fich das ganze Studium denkt und weift die Bedenken
, die dagegen geäußert werden, zutreffend ab.

Das letzte Kapitel endlich befchreibt das Mufeum
als ein Hilfsmittel zum Studium der Religionsgefchichte,
zunächfi das Musee Guimet in Paris, dann ein ideales
Mufeum, wie er es fich denkt. Ein doppelter Anhang
gibt noch das Vorlefungsverzeichnis der Sektion für Re-
ligionswiffenfchaft in der ecole des hautes Hudes im Winter-
femefter 1899—1900 und die Einrichtung des Musee
Guimet; dann folgt eine reichhaltige Bibliographie und
den Schluß bildet ein fehr eingehendes Regifler. So ift
auch von diefer Seite her dafür geforgt, das Buch zu
einem außerordentlich brauchbaren zu machen.

Bonn. Carl Clemen.

Eucken, Rudolf, Gesammelte Aufsätze zur Philosophie und
Lebensanschauung. Leipzig 1903, Dürr'fche Buchhandlung
. (IV, 242 S. gr. 8.) M. 4.20

Das intereffante Buch bietet eine Anzahl Auffätze
und Vorträge dar, von denen die meiften bereits gedruckt
vorlagen, jedoch in verfchiedenen Zeitfchriften zerftreut,
fo daß fie fchwer zugänglich waren. Nur eine Feftrede
zur Jahrhundertfeier erfcheint hier zum erften Mal. Auch
hat die Abhandlung ,Was follte zur Hebung philofophifcher
Bildung gefchehen'? eine völlig neue Geftalt angenommen.
Drei gefonderte Teile laffen fich unterfcheiden.
Voran fleht ein folcher, der nach Angabe des Verf.
Allgemeines ,zur Moral und Lebensanfchauung' enthält.
Und zwar wendet fich der erfte Auffatz gegen die modernen
Subjektivifte n und ,Bekrittlet der Sittlichkeit, um
an den Beifpielen Piatos, der Stoiker, der älteften Chriften,
Luthers, Kants zu zeigen, daß die Moral den Menfchen
nicht bloß zum Herdentier und Sklaven der Gefellfchaft
mache, fondern ihn innerlich zu befreien und zu erheben
war anfangs das der engfiten Zufammengehörigkeit, und , vermöge. Eine zweite Abhandlung befpricht die fittlichen

wenn es jetzt vielfach ein gefpanntes ift, fo gilt das doch ! Triebkräfte der Gegen wart. In Betracht kommen da nament-
nicht überall und kann auch da, wo es gilt, nicht immer J lieh die fteigende Sozialifierung einerfeits, die zunehmende

fo bleiben. U'hile we cannot aeeept the conclusion that
if religion is to maintain her place in modern life, she
must again assume the guidance of thought, it is certainly
not visionary to look forward to a time — not too for
distant — when religion and science will once more be
in that perfect aecord which characterised religion in its
cciyliest stetges.

Der drttte Teil behandelt praktifche Fragen und zunächfi
: die allgemeine Stimmung beim Studium der Religionsgefchichte
. Diefelbe muß die der Sympathie fein,
ohne deshalb zu dem zu führen, was man in Frankreich
Renanismus nennt.

Weiterhin kann keine Religion anders als aus den
Quellen verftanden werden, d. h. bei Religionen ohne
Literatur durch Anfchauung (wenn auch nur bei Aus-
ftellungen fremder Völkerfchaften, wie vor elf Jahren in
Chicago) oder wenigftens Studium von Reifewerken, fo-
wie daneben der untern Bevölkerungskiaffen und des
kindlichen Alters, bei Religionen mit Literatur durch
Lektüre diefer.

Der Antrieb dazu, fo führt J. fort, muß von den
Colleges und Univerfitäten kommen — auch fchon von
jenen, die im wefentlichen doch unfern Obergymnafien
entfprechen. Man wird indes feine eingehenden Vor-
fchläge für diefe nicht nur in Deutfchland, fondern wohl

Individualifierung anderfeits; beiden aber lieht fchroff
entgegen die ,Mechanifierung des Lebens' als das unvermeidliche
Ergebnis der heutigen Arbeitsweife. Das Bedürfnis
, derartige Widerfprüche auszugleichen, treibt unwillkürlich
zur Vertiefung und nötigt einen Halt zu fuchen
in dem letzten geiftigenGrunde desLebens, den es mehr und
mehr feiner Bedeutung nach herauszuheben gilt. In einem
dritten Artikel wird ausgeführt, daß zwei entgegengefetzte
Beftrebungen die moderne Menfchheit bewegen: einmal
das Verlangen des Subjekts, das Objekt zu bemeiftern,
und dann wieder feine Tendenz, fich von dem letzteren be-
ftimmen zu laffen. Mit andern Worten, es rivalifieren das
Ideal der ,Freiheit' und das der .Wahrheit'. Eine Verhöhnung
der Antipoden muß unter allen Umftänden erftrebt
werden; aber die einfehlägigen Verfuche der Renaiffance,
der Aufklärung, des Neuhumanismus reichen nicht aus. Es
folgt die Feftrede zum Anbruch des neuen Jahrhunderts,
die das abgelaufene kennzeichnet und in der Forderung
gipfelt, neben der intenfiver gewordenen Welttätigkeit
die Innerlichkeit des Lebens und Schaffens feftzuhalten
und über die Flucht der Zeiten fich zu erheben zu einer
ewigen Ordnung. Ein fünfter Auffatz plaidiert für das
Exiftenzrecht kleinerer Nationen.

Der fich anfchließende Teil trägt ebenfalls den Obertitel
,Zur Moral und Lebensanfchauung', bezieht fich aber

auch in Amerika vielfach mit Kopffchütteln aufnehmen; fpeziell auf Perfönlichkeiten. Die einzelnen Themata die
was er von unfern Gymnafien verlangt, wird ja von ihnen ( behandelt werden, find folgende: Ariftoteles' Urteil über
im Grunde fchon gekittet. Dagegen gibt es an den deut- ; die Menfchen; Goethe und die Philofophie- Fichte und
fchen und englifchen Univerfitäten noch keine Profeffuren die Aufgaben unferer Zeit; Friedrich Fröbel'als ein Vorfür
Religionsgefchichte, während in Holland feit 1876 kämpfer innerer Kultur; zur Erinnerung an Immanuel
(ebenfo wie übrigens in Skandinavien) an jeder Hoch- Hermann Fichte; Runebergs Lebensanfchauung- Moritz
fchule eine folche exiftiert, Paris feit 1885 eine Sektion Seebeck, ein Lebensbild aus dem 19 Jahrhundert- zur
für Religionsgefchichte mit zwanzig Profeffuren hat und Erinnerung an Karl Steffenfen. Doch befchränken fich