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Ausgabe:

1904 Nr. 15

Spalte:

435-436

Autor/Hrsg.:

Calmes, P. Th.

Titel/Untertitel:

L‘évangile selon Saint Jean 1904

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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435

Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 15.

436

Calmes, P. Th., L'evangile selon Saint Jean. Traduction

critique, introduction et commentaire. (Etudes bi-

bliques.) Paris 1904, V. Lecoffre. (XVII, 485 p. gr. 8.
avec 1 tableau.)

Verfehen mit dem Imprimatur des Dominikaners
Lepidi als Palatii Apostolici Magister liegt hier eine
breit angelegte Auslegung des vierten Evangeliums vor,
welche die katholifche Kritik und Exegefe ebenfo im-
pofant vertritt, wie von den gleichzeitig erfchienenen
Kommentaren von Godet und Loify der eine den traditionell
-orthodoxen Proteftantismus, der andere die jeder
Kette ledige freie wiffenfchaftliche Forfchung. In ihrer
Anlage weifen alle drei Werke verwandte Züge auf. Der
eigentlichen Auslegung geht eine fehr ausführliche, Überlieferung
und Bezeugung, Fragen nach Gefchichtlichkeit,
Verfaffer, Zeit ufw. behandelnde Einleitung voran; der
zu erklärende Text zerfällt in meift gleich begrenzte
Abfchnitte.

Das aus Vorlefungen im Seminar zu Rouen und in

neifchen Farbe der Chriftusreden. Selbft bezüglich des
hohepriefierlichen Gebets will unfer Ausleger fich dem
Eindruck nicht verfchließen, ,daß wir hier dogmatifch
bedingte Gedankenreihen vor uns haben, zu welchen
man den Schlüffel mehr im Geift des Evangeliften, als
in der eigenften Sprache Jefu fuchen muß'. Nur aus des
Johannes Feder, nicht aus Jefu Munde, kommt ficher
z. B. das Wort 17, 3. Selbft Jefu Reden vor Pilatus erinnern
an den Prolog. Und beim ungenähten Rock fo-
wie beim Waffer und Blut flehen wir wieder ,im vollen
Symbolismus'. Man kann ganze Seiten lefen und dabei
glauben, ein Werk der modernen Theologie vor fich zu
haben, zumal da der Verf. fich auch gewöhnlich mehr
mit den proteftantifchen Exegeten der Gegenwart als
mit der patriftifchen oder fcholaftifchen Auslegung be-
fchäftigt. Aber freilich gegen die letzten Refultate kann
auch das heilige Offizium nichts einzuwenden haben.
Charakteriftifch für den katholifchen Charakter ift die Behandlung
der Perikope von der Ehebrecherin, die er als
ein von Johannes herrührendes Blatt rekognosziert, das

der Ecole biblique zu Jerufalem hervorgegangene Werk urfprünglich keine fefte Stellung im Evangelium gehabt
des Pere Calmes ftellt ohne Frage eine gelehrte Leiftung habe. So aber nur, nachdem eine Unterfuchung über
dar, die alle Beachtung verdient. Und zwar fchon be- J den Sinn des Tridentiner Dekretes, welches die kano-
züglich der textkritifchen Unterlage. Eine an die Spitze i nifchen Bücher cum omnibus suis partibus unangreifbar
geftellte Tafel läßt die in Betracht kommenden Haupt- macht, feflgeftellt hat, daß dasfelbe fich zwar auch auf
zeugen, Codices wie (fyrifche, ägyptifche und altlatei- die in Frage flehende Perikope beziehe, ohne jedoch
nifche) Überfetzungen, mit Einem Blick überfchauen und den Ort, da fie flehe, beflimmen zu wollen,
macht.zugleich ihre Lücken bemerklich. Der Auslegung Straßburg i. E. H. Holtzmann.

hegt der Nefllefche lext zu Grunde, was den Verf. nicht 1
abhält, von Fall zu Fall zu entfcheiden. Von der Vul-
gata ift nur gelegentlich und feiten die Rede. Die Einleitung
beginnt verheißungsvoll mit dem Bekenntnis, daß
man, von den Synoptikern herkommend, im Joh. eine
neue Welt betritt. Denn diefes Evangelium ift ,eine
Lehrfchrift', ,wefentlich lehrhaft, theologifch und felbft

Bruchstücke zur Kenntnis der Lübecker Erstdrucke von 1464
bis 1524 nebfl Rückblicken in die fpätere Zeit. Lübeck
1903, W. Gläfer. (XXXVII, 244, 8, 49 u. 18 S. 8.)

Wie aus der Einleitung hervorgeht, gehen diefe
metaphyfifch'; ,ein Traktat, darin der Verfaffer feine j ,Bruchftücke' ,aus der Einfiedelei eines erblindeten Greifes'
theologifchen und myftifchen Ideen darfteilt'; fein Chriftus ! in die Welt hinaus, der Verleger felbft, wie S. 8 der
gehandelt abftrakte Fragen der Metaphyfik'. ,Wenn ; zweiten Abhandlung kund tut, ift der Verf. Er hat an
eine polemifche Tendenz anzunehmen ift, fo geht die- der Lübecker Stadtbibliothek, aus deren Gefchichte von
felbe gegen die Juden'. ,Literarifcher Kunflgriff' ift es, | den primitivflen Anfängen bis zu dem Auffchwung unter
wenn fich der Evangelift der Doppelform des Symbolis- Prof. Mantels und Dr. Ernlt Üeecke und der Folgezeit er
mus und der Allegorie oder auch mehrdeutiger Ausdrücke j mancherlei Intereffantes zu erzählen weiß, eine Anftellung
bedient. Nur folgt daraus keineswegs, daß fein ganzer j gehabt und gibt nun unter Benutzung Deeckefcher Ma-
Inhalt in Allegorie oder Symbol aufgeht. Der in Palä- j nufkripte, alter Aufzeichnungen und der gedruckten Lite-
ftina fich auskennende Exeget nimmt alle geographifchen ratur allerlei Beiträge nicht nur zu den Lübecker Erft-
Notizen ernfthaft. Auch gibt es für ihn rein gefchicht- drucken, fondern zur Lübecker Buchdruckergefchichte
liehe Wunderberichte wie 4, 43—54; daneben freilich i überhaupt. Daß der Verf. fich redliche Mühe gegeben hat
auch folche, deren Erzählungsgehalt dem Lehrzweck und ein ftark vernachläffigtes Gebiet mutvoll, und viel-
wenigftens untergeordnet erfcheint in 5, 1—15. 9, 1—41. fach erfolgreich, angefchnitten hat, wird man gerne zu-

11, 1—54. Aber felbft zu 2, 1—12 überwindet ein refo- : geben, auch felbftverftändlich der Schwierigkeit der Arbiter
Wunderglaube fchließlich die von den fymbolifchen beit infolge der Erblindung Rechnung tragen, aber u. E.
Zügen hervorgerufenen Bedenken. Weniger widerftands- [ wäre es doch wohl möglich gewefen, vor dem Druck
fähig erweift fich gegenüber den Inftanzen der Kritik j die Arbeit in Gemeinfamkeit mit einem Fachmanne zu
des Verf.s Theologie bezüglich der chronologifchen Be- 1 redigieren. Dann hätte aus dem Buche etwas ganz
denken. Er hat ein Auge für die Vorwegnahme der 1 anderes werden können, dann wären Wiederholungen
Lehre von der Euchariftie 6,41 — 58 und für die Zufam- I unterblieben, Abfchweifungen und Seitenblicke, fpeziell
mengehörigkeit der durch zweimonatliche Zwifchenzeit ! auf die aktuelle politifche Lage, die mit der Sache gar
getrennten Reden 10, 1—18. 26—28. Die ganze Stelle j nichts zu tun haben, fortgefallen, und in ftraffer Dis-

12, 12—50 macht nur dann keine Schwierigkeiten, wenn pofition aus den 3 verfchiedenen, ihrerfeits wieder in
man fich fagt, daß dem Evangeliften an der richtigen j mehrere Auffätze zerfallenden Abhandlungen, die z. T.
Aufeinanderfolge der Gedanken mehr gelegen ift, als an dasfelbe lagen oder von denen die eine, früher ver-
der chronologifchen Reihenfolge der Tatfachen. Gleich- j faßte, durch die andere, später verfaßte, antiquiert wird,
wohl beteiligt er fich im letzt angedeuteten Intereffe ; ein einheitliches Buch geworden. Jetzt hat man oft
an den bekannten Verfuchen einer Ümftellung der Verfe j den Eindruck — ja, man fieht fich mitunter unwill-
18, 19—24. Deutlichft gibt er auch zu erkennen, daß ; kürlich zu einer Art Quellenfcheidung veranlaßt —, daß
für ihn Perfonen des Evangeliums, wie Nikodemus, die Verf. zu verfchiedenen Zeiten niedergefchriebene (er
Samariterin, Thomas faft mehr noch Typen, als Indi- | fchreibt mit der Blindenfchreibmafchine) Notizen hat an
viduen vorftellen. Aufmerkfamkeit und Anerkennung 1 einander reihen laffen. Bei diefem Aneinandereihen ift
verdient vor allem der offene Sinn des katholifchen Ge- j Manches geradezu unverftändlich, wenigftens habe ich
lehrten für eine Tatfache, gegen die fich ein auf die pro- I mich z.B. vergeblich bemüht, folgenden Satz zu verftehen:
teftantifche Dogmatik eingefchworener Ausleger wie ,15 Bl. Kalender, dann ein Gebet, das jefus die bug ge-
Godet jederzeit ablehnend verhalten hat. Kein Zweifel lehrt ua diefer druck wiederholt mit geringen abänderungen
kann nämlich beliehen hinfichtlich der durchaus johan- das von dee durch Gho 85 gedr. geb., doch fehlen in