Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1904 Nr. 14

Spalte:

405-406

Autor/Hrsg.:

Loisy, Alfred

Titel/Untertitel:

Le quatrième évangile 1904

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

405 Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 14. 406

fonderheit des beiderfeitigen Volkstypus zu rechnen.
Im übrigen wird man aber dem Verf. für feine forg-
fältige, hie und da wohl etwas gezwungene Exegefe des
babylonifchen Gefetzes und für feine eingehende Ver-
gleichung zwifchen diefem und dem ifraelit. Recht dankbar
fein.

Leonberg. p- Volz-

Loisy, Alfred, Le quatrieme evangile. Paris 1903, P. Picard.
(960 p. gr. 8.) Fr- *5-~

Es bedurfte keineswegs erft der Reklame, welche
das heilige Uffizium in Rom durch fein Verdammungsurteil
diefem Werke widmete, um ihm einen Ehrenplatz
in der Gefchichte der Kirche und der Theologie, fpeziell
der biblifchen Wiffenfchaften zu fichern. Wohl niemals
hat ein von Haus aus katholifcher und in einem höhern
Sinn auch trotz der Exkommunikation (?) katholifch gebliebener
Theologe, rein wiffenfchaftlichen Motiven folgend
, einen folchen Höhegrad unbefangenen Urteils und
vollftändiger Emanzipation von allen Feffeln der Tradition
erreicht. Und dabei entzweit er fich keineswegs etwa
grundfätzlich und von vornherein mit den überkommenen
katholifchen Exegeten. Vielmehr berückfichtigt
er vorzugswe ife, und mit gutem Recht, den feiner Zeit
in mancher Beziehung voraneilenden Maldonatus, unter
den Neueren Schanz und zuweilen auch Knabenbauer.
Von proteftantifchen Theologen erfcheinen nicht feiten
H. Ewald, Godet, Meyer, B. Weiß, Schürer, Baldens-
perger, E. A. Abbott, Jean Reville, Grill, Jülicher, Oskar
Holtzmann. Mit des Unterzeichneten Kommentar, fo-
wie mit den Lehrbüchern zur neuteft. Einleitung und
Theologie befindet er fich in beftändiger Auseinander-
fetzung, und Referent freut fich aufrichtig der in weitaus
überwiegendem Maße ftattfindenden Ubereinftimmung.
Nur beifpielsweife fei auf die zur Sakramentenlehre überleitende
Auffaffung der beiden Myfterien Taufe und
Herrnmahl hingewiefen (S. 113 —116. 312—315. 457—464.
888 f.). Auf weiteres Detail kann an diefem Orte nicht
eingegangen werden.

Als Ganzes genommen bedeutet das große Werk
einen dauernden Meilenflein auf der Bahn, die Baur,
Strauß, Hilgenfeld, Keim und Schölten gebrochen haben.
Die Schärfe und Konfequenz des Denkens hebt fich be-
fonders von Renans fchwankenden und fchillernden
Stimmungsurteilen (S. 45 f- 87 f), überhaupt von allen
taftenden Vermittelungsverfuchen vorteilhaft ab. Er geht
in der Ablehnung jedweder Auffaffung der johanneifchen
Erzählung unter dem Gefichtspunkt eines Beitrags zum
Bilde des gefchichtlichen Jefus fo weit, als nur irgend
einer der oben genannten Theologen ihm vorangegangen
ift, weiter vielleicht, als ihm unfere heutige kritifche
Theologie ohne Vorbehalte folgen dürfte. Alles, was
ausfieht wie Gefchichte, ift Parabel, Allegorie, Symbol,
,Zeichen', Offenbarung himmlifcher Wahrheit. Der ganze
Kommentar liefert eine unentwegte Durchführung diefer
in der Einleitung (S. 76t.) aufgeftellten Thefe, läßt angezeigten
Ortes auch Doppelfinn zu und kennt hiftorifche
Figuren nur als Typen. Der Frage, was etwa noch
hiflorifch an der Sache fei, fleht der Exeget faft gleichgültig
gegenüber. Keinerlei johanneifche Tradition' ift
hier zu entdecken, wohl aber durchweg Verwendung und
Umformung der fynoptifchen Stoffe für die Zwecke einer
neuen, myftifchen Theologie, die von einem, zunächft für
kleinere, gleichgeftimmte Kreife fchreibenden, helleni-
ftifchen Diafporajuden vertreten und vorgetragen wird.
Ihm ,war die Allegorie zur gewohnheitsmäßigen Form
der Reflexion geworden' (S. 284), und feine Ziele liegen
in der eigenen Gegenwart. Zeitgenoffen des zwifchen
IOO und 125 arbeitenden, jedoch dem terminus a quo

vorzugsweife die apologetifch-polemifche Tendenz des
Werkes (S. 56). Nur nebenfächliche Bedeutung hat die
Auseinanderfetzung mit der Jüngerfchaft des Täufers
(S. 94. 335. 631). Überhaupt darf man mit dem Schlüffel
der Tendenz nicht allenthalben operieren bei der Erklärung
eines Werks, darin ,verfchiedenartige Elemente
fich mifchen: verfchönerte und umgewandelte Erinnerungen
an die fynoptifche Tradition, religionsphilo-
fophifche, aber dem chriftlichen Geift angepaßte Theorien,
innere Erlebniffe und Vifionen des Glaubens, apolo-
getifche und polemifche Interefien der Zeit' (S. 136).

Straßburg i. E. H. Holtzmann.

Plummer, A., Ilnd Epistle to the Corinthians. Cambridge
1904, Univerfity Press. 8. 1 s. 6 p.

Den Hauptbeftandteil diefes Büchleins bildet eine
felbftändige Uberfetzung neblt einer eingehenden und,
foweit ich nachgeprüft habe, zutreffenden Erklärung des
Briefs. Vorangeht eine Fernleitung, aus der befonders
die beiden Abfchnitte über Ort und Zeit, Veranlaffung
und Zweck, fowie Integrität des Briefs hervorzuheben
find. PI. vertritt hier diejenige Auffaffung, die ich an
diefer Stelle zuletzt in Jg. 1900 Sp. 703 ff. dargelegt habe.
Ich kann ihm alfo auch mit Bezug darauf zuftimmen
— abgefehen von der Behauptung, daß Titus den erften

Korintherhrief überbracht habe und 11,6, u_7,1 an der

rechten Stelle flehe. Übrigens bringt PI. hier die ver-
fchiedenen darüber aufgeftellten Theorien durch einander;
ich felbft z. B. habe den Abfchnitt immer aus dem vor-
kanonifchen Brief abgeleitet. Sonft finde ich noch die
Zurückweifung der verfchiedenen Verfuche, die Diskrepanzen
zwifchen II, 1—9 und 10—13 zu erklären, befonders
glücklich, ebenfo wie die (wohl an Kennedy fich
anfchließende) Hypothefe, daß nur der erfte Korinther-
brief forgfältig aufgehoben ward, daher der vorkanonifche
ganz und die fpäteren beiden z. T. verloren gingen.
Von den fehr verfchiedenartigen Exkurfen am Schluß
ift der erfte über das perfönliche Ausfehen des Paulus
ungenügend; was in Wahrheit darüber zu fagen ift,
findet man am beften bei Weis-Liebersdorf, Chriftup-
und Apoftelbilder 1902. Noch weniger gehört vielleicht
der Abfchnitt über die visio Pauli hierher; an demjenigen
über den ,Pfahl im Fleifch' ift befonders der Überblick
über frühere Erklärungen wertvoll. PI. zeigt auch, daß
man Alfred d. Gr. kaum als Epileptiker bezeichnen kann;
fein Schlußurteil lautet: it seems wise, either to adopt epi-
lepsy as the best hypothesis, or eise to admit that the
evidence is not sufficient to allow us to identify the tna-
lady or maladies. Die letzte Unterfuchung endlich betrifft
die paulinifche Rhetorik, führt aber nicht über
J. Weiß hinaus. Den deutfehen Lefer befchleicht bei
der Durchficht des ganzen Büchleins immer wieder ein
Gefühl des Neides, daß man in England — und unfer

Unternehmen ift keineswegs das einzige in feiner Art_

für Schüler und Studenten, die kein griechifch verliehen,
doch folche Kommentare zur Bibel fchreiben und mit
Ausficht auf Abfatz drucken laffen kann. In Deutfch-
land find wir davon immer noch weit entfernt.

Bonn. Carl Clemen.

Holl, Prof. D. Karl, Amphilochius von lkonium in seinem Verhältnis
zu den grossen Kappadoziern. Dargeftellt. Tübingen
1904, J. C. B. Mohr. (VII, 266 S. Lex. 8.) M. 6.—

Die neuefte Monographie von Holl bietet mehr als
ihr Titel verheißt. Nach diefem wird jeder, der Holls
frühere Arbeiten kennt, eine Unterfuchung über die
dogmengefchichtliche Pofition des Freundes der drei großen
Kappadozier erwarten, grundgelehrt, bis in die Kleinig-
wohl näher flehenden, Verfaffers find es, die der Jeius 1 keiten hinein zuverläffig und im Urteil befonnen Aber

des Evangeliums anredet, alfo in erfter Linie die da- 1 die dogmengefchichtliche Unterfuchung kann hier erft den
malige Synagoge. In diefer Richtung alfo geht noch | zweiten Teil bilden, vorher galt es den Stoff dafür aus