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Ausgabe:

1904 Nr. 14

Spalte:

404-405

Autor/Hrsg.:

Müller, H.

Titel/Untertitel:

Die Gesetze Hammurabis und die mosaische Gesetzgebung 1904

Rezensent:

Volz, Paul

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4°3 Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 14. 404

gefprochen hat, mit befonderer Liebe, Ausführlichkeit Müller, Hofr. Prof. Dr. H., Die Gesetze Hammurabis und

die mosaische Gesetzgebung. X. Jahresber. der ifraeli-
tifch-theologifchen Lehranltalt in Wien für das Schuljahr
1902/1903. Wien 1903, Verlag der ifraelitifch-
theolog. Lehranftalt. (244 S. gr. 8.)

Verf. gibt zunächft den Text des Kodex Hammu-
rabi in Umfchrift, hebräifcher und deutfcher Überfetzung
in drei nebeneinanderflehenden Kolumnen, fodann eine
Erläuterung und vergleichende Analyfe der einzelnen
Gefetze und eine Zufammenfaffung der allgemeinen Er-
gebniffe. Im Unterfchied von anderen Arbeiten über
die Beziehung zwifchen dem K. H. und dem ifraelit. Gefetzbetont
er vor allem die formale Ähnlichkeit zwifchen
den beiden Gefetzgebungen, in der Reihenfolge der Ge-
fetzesgruppen und im Aufbau der einzelnen Gefetzes-
abfehnitte; außerdem richtet er fein Augenmerk auf die
Verwandtschaft zwifchen dem K. H. und dem römifchen
Zwölftafelgefetz. Das Refultat feiner Unterfuchung läßt
fich in folgende Sätze zufammenfaffen: zwifchem dem
K. H. und dem ifraelit. Gefetz (fpeziell dem Bundesbuch
) befteht eine weitgehende Ubereinftimmung, fowohl
in materialer wie in formaler Hinficht; andererseits kann
das ifraelit. Gefetz nicht direkt auf den K. H. zurückgehen
, denn es enthält einige in materialer Hinficht einfachere
Beftimmungen und in formaler Hinficht zuweilen
eine einfachere natürlichere Reihenfolge innerhalb eines
Gefetzesabfchnittes als der K. H. Daher muß die
Exiftenz eines (babylonifchen? oder femitifchen ?) Ur-
gefetzes angenommen werden, von dem fowohl der K. H.
als das ifraelit. Recht ausging. Diefes Urgefetz war,
formell betrachtet, klar geordnet, inhaltlich find in dem-
felben noch Rede der gefchlechterrechtlichen Periode
vorhanden gewefen; im K. H. ift die klare Ordnung jetzt

und Anfchaulichkeit behandelt; fie ift in der Tat auch
das befte Beifpiel, um die viel verfchlungene Entwicklung
einer Volksreligion deutlich zu machen. Freilich
merken wir gerade bei den Volksreligionen immer wieder,
wie fchwierig es ift, den immenfen Stoff der Religions-
gefchichte zu ordnen und völlig zu verarbeiten; es fcheint
zuweilen nicht möglich zu fein, die Leitmotive einer
Volksreligion und die inneren Triebkräfte ihrer Weiterentwicklung
bezw. die Urfachen ihres Abfterbens anzugeben
. Manchmal, wie z. B. bei der ifraelitifchen Religion
, befchreibt der Verf. daher nur die Hauptmerkmale
der einzelnen Epochen in gefchichtlicher Reihenfolge.
Es liegt ihm am Herzen, mitteilt der Religionsgefchichte
die Hypothefe der Schule Wellhaufens zu beftreiten; ift
indes nicht die indifche Religion vielmehr ein analoges
Beifpiel für die zunehmende Verkleinerung der rituellen
Gebote, fo daß man gerade durch die vergleichende
Religionsgefchichte veranlaßt wird, den Abfchluß, die
Kodifikation (nicht die Schaffung) des Prieftergefetzes
erft der nachexilifchen Zeit zuzuweifen? Die Perfön-
lichkeit des Zarathuftra wird mit warmer Begeifterung
befchrieben, und die Ähnlichkeit der perfifchen und der
jüdifchen Religion, fofern beide fich in den Polen der
Gefetzesgerechtigkeit und des ,Meffianismus' bewegen,
tritt in der Schilderung deutlich zu tage. Bei der griechischen
Religion vermiffe ich den Hinweis auf die Bedeutung
der Jio/Liq für die Geftalt und Entwicklung der
Volksreligion und die nähere Berückfichtigung der orphi-
fchen Myfterien. Daß auch die zivilifierten Religionen
fich von einer urfprünglichen religiöfen und ethifchen
Höhe abwärts bewegen, wird an der indifchen und der
perfifchen Religion befonders klar gezeigt; immerhin
find die prinzipiellen Ausführungen des Verf. über den

urfprünglichen Monotheismus, aus dem der Dämonen- 1 durch allerlei Zufätze geftört und die Aufeinanderfolge
dienft und der Polytheismus wie andererfeits der Heno- vielfach nach der bloßen Ideenaffoziation geftaltet. Das
theismus hervorgegangen feien,nicht immer zwingend,denn ! ifraelit. Bundesbuch dagegen hat die Reihenfolge des
der antike .Monotheismus' ift eine etwas verfchwommene TJrgefetzes meid beibehalten, dagegen in materialer Hin-
Sache, und nicht alle zitierten Ausfprüche beweifen für j ficht zum Zweck der Milderung manches geändert,
einen wirklichen, religiös empfundenen Glauben an den Diefes femitifche Urgefetz war den Patriarchen bekannt,
Einen Gott. Im Kapitel .Univerfalreligionen' behandelt wje auch die Rechtsanfchauungen der Patriarchenge-
Verf. endlich den Buddhismus, den Islam und das ; fchichte mit demfelben übereinftimmen. Abraham brachte
Chriltentum, die alle drei die Welt für fich haben wollen, , es aus Mefopotamien nach Kanaan mit und es wurde
wenn auch das Chriftentum die einzige geoffenbarte . als ein zufammenhängendes Syftem in beftimmter Faf-
wirkliche Univerfalreligion fei. Der Buddhismus ift fehr fur)g und Gruppierung, mündlich oder fchriftlich, bis
anfprechend nach feinen anfänglichen Grundzügen und auf Mofe fortüberliefert; Mofe hat es reformiert und

nach feiner gefchichtlichen Ausbreitung dargeftellt; Mu-
hammed wird wohl etwas zu hart beurteilt, wenn man
in ihm den von Anfang an bewußten Betrüger fieht; das
Chriftentum bekommt naturgemäß nur ein ganz knappes
Wort hinfichtlich feiner religionsgefchichtlichen Stellung.

Wenn man vielleicht auch manchmal eine noch
fchärfere Heraushebung der Charaktermerkmale der einzelnen
Religionen oder Religionsepochen wünfehen

z. B. die Überrefte der gefchlechterrechtlichen Periode
befeitigt, er kannte aber daneben auch den K. H. und
hat zuweilen gegen ihn proteftiert. Die Autorfchaft
Mofes für das ifraelit. Gefetz wird durch den Hammurabi-
kodex bewiefen. Daß endlich das römifche Zwölftafelgefetz
fich mit dem K. H. und dem ifraelit. Recht berührt
, wird tabellarifch dargeftellt; auch diefes römifche
Gefetz geht nach dem Verf. in letzter Linie auf das bemöchte
, wenn man auch nicht in allem den ftreng bibel- j fpr0chene femitifche Urgefetz zurück,
gläubigen und konfervativen Standpunkt des Verf. zu jn der Betonung des formalen Momentes liegt etwas

teilen vermag, fo legt man doch diefe kurzgefaßte Religionsgefchichte
mit aufrichtigem Dank und vielfacher
Bereicherung aus der Hand. Denn der kundige Verf.
führt in alle die vielen Bezirke diefes ungeheueren Gebietes
, ohne etwas Beachtenswertes zu vergeffen, und
durch den lebendigen Eifer, mit dem er ichreibt, verfleht
er es, einen tiefen Eindruck von dem überreichen
Leben und Weben zu geben, das in diefem Zentrum
der menfehlichen Gefchichte fich kundtut.

Leonberg. P. Volz.

Richtiges, und der Verf. zeigt manchmal recht glücklich,
wie die jetzt oft fchwer verfländliche Anordnung im
K. H. oder im Bundesbuch durch die Vergleichung der
beiden Gefetzgebungen begreiflicher gemacht werden
kann. Und. während die materiale Ähnlichkeit häufig
durch die Ähnlichkeit der Situation oder durch die ge-
meinmenfchliche Veranlagung erklärt werden kann,
Rheinen diefe formalen Ähnlichkeiten mit größerer Beweiskraft
auf eine wirkliche Abhängigkeit zu deuten.
Indes hat der Verf. den Wert diefes formalen Momentes
doch wohl übertrieben, und man hat nicht feiten den
Eindruck, einem künftlichen Erklärungsprinzip gegen-
überzuftehen. Auch ift es mir zweifelhaft, ob zur Erklärung
der Ähnlichkeit und der Verfchiedenheit zwifchen
K. H. und Bundesbuch ein völlig fyftematifiertes Urgefetz
notwendig ift, und ob es nicht genügt, mit der Ge-
meinfamkeit des femitifchen Charakters und der Be-