Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1904 Nr. 13

Spalte:

388-390

Autor/Hrsg.:

Heussi, Karl

Titel/Untertitel:

Die Kirchengeschichtsschreibung Johann Lorenz von Mosheims 1904

Rezensent:

Krüger, Gustav

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

387

Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 13.

388

geben. Roth fieht darin ,ein furchtbares Zeugnis für
die bodenlos leichtfertige Äuffaffung religiöfer Dinge in
den Kreifen derer, in deren Hände die Sorge für das
Wohl und Wehe der Kirche gelegt war' (S. 39). Eine
Disputation zum Schutz des alten Glaubens wollte man
nur wagen unter den dem Rat unannehmbaren Bedingungen.
Allerdings wagte ein ,obfkurer Pfaffe', der Prediger
Johann Eckart zu Rain an der Donau, als Verteidiger
der alten ,zwölfbotifchen' Kirche durch öffentlichen An-
fchlag die Augsburger Prediger zu einer Disputation
herauszufordern. Es ift das jener Pfarrer zu Babenhaufen
bei Memmingen, der ca. 1521 eine Schrift gegen Luther
zum Schutz des Meßopfers veröffentlichte und fie mit
einem Brief an Luther begleitete, deffen fonderbare Ausdrucksweife
und graufiger Stil bewies, was für ein eitles
Geifteskind diefer Mann war. Vgl. Enders 3, 267. Wahr-
fcheinlich ift das Joh. Ecker von Augsburg der am 13. Mai
1487 in Heidelberg infcribiert und im Jan. 1489 Magifter
wurde (Töpke, Die Heidelberger Matrikel 1,386). Roth
nennt ihn mit Recht .einen auf fehr tiefer Stufe flehenden
Heißfporn' S. 378, für den eine öffentliche Disputation
zu viel Ehre gewefen wäre, weshalb ihm nur ein ,ftilles'
Gefpräch mit den Prädikanten angeboten wurde, was
den geräufchvollen Herrn nicht befriedigte.

Ünd Kaifer und König und die Herzoge von Bayern
mit ihrem heimtückifchen Kanzler Leonh. Eck, die jede
Gelegenheit benützten, um den ketzerifchen Nachbarn
etwas am Zeuge zu flicken? Die Augsburger Diplomatie
wußte mit allen diefen Befchützern des alten Glaubens
fich abzufinden. Der Kaifer war fern. Hier genügte
die lange Bank. König Ferdinand war ftets in Geldnöten,
die Räte des Kaifers und Königs waren für Gefchenke
empfänglich. Geduld und Geld waren die ftärkffen Waffen
gegen die Schutzmächte des alten Glaubens, bis der
Anfchluß an den Schmalkaldifchen Bund erreicht war.

Ganz befonderen Dank verdient Roth für das dreizehnte
Kapitel, in welchem er die Täufer, die Anhänger
Schwenkfelds und Seb. Franks fchildert und fehr viel
Neues bietet. Faft aufregend ift die Szene im Predigthaus
von S. Ulrich am Sonntag den 5. März 1531, wo
die beiden Täufer Kendtner und Riemer die Kanzel
beftiegen und mit ihrer hinreißenden Begeifterung tiefen
Eindruck auf das Volk machten. Opfingen an der Donau
S. 354, Anm. 92 ift nicht Offingen, fondern Opfingen bei
Ehingen (Württb.) Zu Seehofers Abgang aus Augsburg
S. 192 und 209 Anm. 84 ergibt fich aus Frechts Brief-
wechfel, daß Musculus Seehofer an Frecht empfohlen
hatte, worauf diefer fich am 27. Sept. 1534 für ihn wegen
einer Anftellung in Württemberg bei Blarer verwendete.
Allein diefer mußte vorfichtig vorgehen. Am 7. März

1535 fchreibt Frecht an Blarer, daß Butzer vorgefiern
von Arfacius fchrieb: Arsacium hic (in Augsburg) reti-
nuimus, quia et ipse non esset his locis idoneus cum
propter suam imprudentiam tum costae. Es handelt fich
um das Amt eines Lefemeiflers an einem Klofter in Württemberg
. Butzer hatte die unguten Erfahrungen mit
dem Hirfauer Lefemeifter Dietr. Reismann und feiner
Frau im Auge. Darum war er wegen Seehofer bedenklich
. Die Äußerung Butzers brachte Frecht in große Erregung
, er wollte Butzer eine förmliche Erklärung über
Seehofers Tauglichkeit abnötigen und bat Blarer, ihm j
das Amt eines Lefemeifters in S. Georgen vorzubehalten.
Diefer aber fchickte Hans Spreter auf den fchwierigen
Polten, von wo diefer aber nach fünf Wochen wieder
heimkehren mußte, ohne die Kanzel betreten zu haben.
Erft am 13. Oktober fchickte Blarer Seehofer nach
S. Georgen, von wo er aber bald nach Leonberg und

1536 nach Winnenden kam, wo er 1542 ftarb.

In den Beilagen gibt Roth auch in diefem Band
wichtige Akten. Leider konnte er fich nicht entfchließen,
die beim erden Band beklagte unpraktifche Stellung 1
der Anmerkungen aufzugeben, die noch erträglich wäre,
wenn die Ziffern größer gedruckt und die zugehörige |

Seitenzahl beigefügt wäre, wie neuerdings in den Publikationen
des Vereins für Reformationsgefchichte.

Nabern. G. Boffert.

Heussi, Dr. Karl, Die Kirchengeschichtsschreibung Johann
Lorenz von Mosheims. (Gefchichtliche Unterfuchungen,
herausgegeben von Karl Lamprecht. Viertes Heft.)
Gotha 1904, F. A. Perthes. (VI, 77 S. gr. 8.) M. 1.20

Der Verfaffer diefer Arbeit aus Lamprechtfcher Schule
bemerkt (S. 2), daß die Skizze, die Baur in feinen Epochen
' von Mosheims Kirchengefchichtsfchreibung entworfen
habe, feines Wiffens das Einzige von Belang fei,
was bisher über diefen Gegenftand gefchrieben worden
ift. Er kennt alfo Bonwetfchs Abhandlung über Johann
Lorenz von Mosheim als Kirchenhidoriker' (Fedfchrift
zur Feier des hundertfünfzigjährigen Bedehens der kön.
Gefellfchaft der Wiffenfchaften zu Göttingen, Berlin 19OI,
235—261) nicht. Andernfalls würde er fein Urteil wohl
eingefchränkt haben. Doch wird gewiß auch Bonwetfch
nach der Lektüre von Heuffis Schrift fie neben der
feinen nicht für überflüffig erklärt haben. Es id in der
Tat das erde Mal, daß dem Gegendand eine erfchöpfende,
auch in die Einzelheiten dringende Behandlung zu Teil
wird. In diefer Beziehung läßt Heuffi kaum etwas zu
wünfchen übrig. Die Hauptfache id freilich, ob feine
Beurteilung Mosheims richtig und gerecht id, und hier
möchte wenigdens ich einige Fragezeichen machen, die
einer etwas ausführlicheren Begründung bedürfen, zumal
fie ein Thema betreffen, das im Mittelpunkt des metho-
dologifchen Intereffes deht.

Der Nachdruck der Heuffifchen Arbeit liegt ganz
auf der Beantwortung der Frage, ob man Mosheim mit
Recht als den ,Vater der neueren Kirchengefchichtsfchreibung
' bezeichnen dürfe. Er verneint diefe Frage und
kommt (S. 77) zu folgendem Schluß, den ich feiner
Wichtigkeit wegen herfetze: ,Wie wir in der Einleitung
bemerkt haben, hat man im 18. Jahrhundert Mosheim den
Ehrennamen des „Vaters der neueren Kirchengefchichtsfchreibung
" gegeben. Diefe Beurteilung entdammt der
jener individualidifchen Zeit eigentümlichen Überfchätzung
der Bedeutung der Individuen. In Wirklichkeit id die
Kirchengefchichtsfchreibung des 18. Jahrhunderts nicht
das Werk Mosheims, fondern das Produkt einer ziemlich
komplizierten geidigen Gefamtentwickelung, und Mosheim
id weit mehr Repräfentant diefer neueren Kirchengefchichtsfchreibung
, als ihr „Vater". Immerhin id er der erde
Repräfentant der Kirchengefchichtsfchreibung des Aufklärungszeitalters
und ohne Frage einer der hervorragendden,
wenn nicht der hervorragendde'. Wie man fieht, handelt
es fich hier nicht um einen Streit um Worte — an und
für fich kann es mir ja gleichgültig fein, ob man in mir
den Vater oder den Repräfentanten meiner Familie fieht
—, fondern um einen grundfätzlichen Standpunkt bei der
Beurteilung der Wirkfarnkeit gefchichtebildender Faktoren.
Heuffi id ein Schüler Lamprechts, und feine Abhandlung
will die Richtigkeit der Milieutheorie für unfern Gegendand
in möglichd helle Beleuchtung fetzen. M. E. id
ihm das nicht nur nicht gelungen, fondern feine Arbeit
id ein vorzüglicher Beleg dafür, wie brüchig doch diefe
ganze Theorie id und wie wenig fie trotz hoher Redeweife
zur wirklichen Erklärung gefchichtlichenFortfchrittes
beizutragen vermag. Gleich der erde Abfchnitt, der von
Mosheims .gefchichtlicher Forfchung' handelt, zeigt das.
Da wird mit gutem Rechte dargelegt, wie M.s Werke
ohne die Arbeit der franzöfifchen, niederländifchen und
englifchen Gelehrten undenkbar find. Aber das id ja
felbdverdändlich. Welcher große Mann deht nicht auf
den Schultern feiner Vorgänger? Für jeden, der auch nur
Heuffis Ausführungen forgfaltig lieft, id offenbar, daß
das Urteil ungerecht id, mit dem der Verf. dann ab-
fchließend fagt: Mosheim habe zwar einige neue Refultate