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Ausgabe:

1904 Nr. 13

Spalte:

383

Autor/Hrsg.:

Grimm, Eduard

Titel/Untertitel:

Die Ethik Jesu 1904

Rezensent:

Weiß, Johannes

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383

Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 13.

384

im Unrecht fei, da das Gefetz doch überall von Efra und
Nehemia als rnofaifch bezeichnet und als etwas Altbekanntes
vorausgefetzt werde. Die monotheiflifche Tonart
des Cyrusediktes erklärt er fo, daß der in Babylon
weilende Daniel den König auf die Cyrusweisfagungen
in Jef. 4off. aufmerkfam gemacht und an der Abfaffung
des Edikts felbft Anteil gehabt habe. In 46ff. fieht
Verf. einen Brief der Samaritaner an Cyrus, der hier als
Beifpiel für ihre fpäteren Schreiben an Xerxes und Arta-
xerxes wörtlich wiedergegeben fei. Die Lifte in Es. 2,
Neh. 7 und griech. Efra 5 hält er für identifch und fucht
ihre Abweichungen dadurch zu erklären, daß manche
Juden ihren Entfchluß bezüglich der Rückkehr änderten,
manche unterwegs umkamen und dgl.

Die Einleitung zum Eftherkommentar fpricht über
die kanonifche Geltung des Buches und behauptet den
gefchichtlichen Charakter der Erzählung. Das Buch fei
im Morgenland noch während des Beftandes des Perfer-
reiches nach Aufzeichnungen des Mardochäus verfaßt
worden, mit dem Zweck, als Lefebuch am Purimfeft zu
dienen. Der jetzige maforetifche Text fei wohl nur ein
Auszug aus einem älteren umfangreicheren hebräifchen
Text, der der LXX vorlag. Mit den neueren Kundgebungen
über die mythologische Wurzel der Eftherlegende
fetzt fich Verf. nicht auseinander, obwohl diefe Wurzel
doch eigentlich faft offen am Tag liegt; ebenfo vermißt
man ein näheres Eingehen auf den Sinn des Purimfeftes.
Würde Verf. folches religionsgefchichtliches Material noch
aufnehmen, fo könnte er feine angenehm zu lefenden
Anmerkungen mit Fleifch und Blut füllen.

Leonberg. P. Volz.

Grimm, Eduard, Die Ethik Jesu. Hamburg 1903, Grefe &
Tiedemann. (V, 293 S. gr. 8.) M. 4.— ; geb. M. 6.—

Aus Vorträgen für gebildete Hörer ilt dies Buch ent-
ftanden und an gebildete Laien wendet fich auch dies
Buch. Soweit ich urteilen kann, entfpricht es in hohem
Maße dem Zweck, die Aufmerkfamkeit des mit moderner
Kultur Gefättigten auf die Gedankenwelt des Chriften-
tums zu lenken, fie in Beziehung zu fetzen zu ethifchen
Zeitfragen und ernfle Entfchlüffe zu wecken. Der Ver-
faffer verfügt über eine ausgezeichnete Darftellungsgabe,
feine Sprache ift faft immer edel und dem hohen Gegen-
ftand angemeffen; das wiffenfchaftliche Fundament ift
breit und feit. Überall verrät er dem Fachgenoffen das
eigene Studium und die Kenntnis der Literatur, und
doch drängt fich nirgends eine gezierte Gelehrfamkeit
hervor. Alfo ein .apologetifches' Buch befter Art.
Keine bloß hiflorifche Darfteilung der Ethik Jefu von
Nazareth, fondern eine Unter Eichung der Frage, was die
Ethik Jefu auf unfere heutigen Fragen antwortet und inwieweit
fie es nicht tut. Im ganzen kann der Referent
auch den Urteilen des Verfaffers zuftimmen. Abweichungen
hervorzuheben, hat wenig Zweck, da der
Verf. überall mit Bewußtfein feinen Weg gegangen ift
und feine Ausführungen wohl erwogen und begründet
hat. Einige Einzelheiten: Für einen recht glücklichen
Ausgangspunkt halte ich es, wenn er ,die Wahrheitsliebe
als Vorausfetzung alles fittlichen Strebens' voranftellt.
Nicht richtig ift es, bei der Auslegung von Matth. 544h
das ,damit ihr werdet Söhne eures Vaters im Himmel'
fo zu preffen, als ob das ytvnö&e eine allmähliche Entwicklung
befchreiben wolle. Grammatifch und fprach-
gefchichtlich ift das yiyveö&ca hier nicht anders zu beurteilen
, als ob tivai daftünde. Es heißt hier: dann
werdet ihr wirklich Söhne Gottes fein. Zu Matth. 531t.
ift zu bemerken, daß Jefus nicht nur den Fortbeftand der
Ehe nach der Scheidung anerkennt, fondern daß ihm
der Mann auch für das fittliche Schickfal der Entlaffenen
verantwortlich bleibt. Mit befonderer Zuftimmung habe ich
den Abfchnitt über das Meffiasbewußtfein Jefu gelefen.
Marburg. _ Johannes Weiß.

] Minucii Felicis, M., Octavius. Recensuit et praefatus
est Herrn. Boenig. Leipzig 1903, B. G. Teubner.
(XXXI, 116 p. 8.) M. 1.60; geb. M. 2.-

Nach dem ftark emendierten, mit großer Souveränität
hergerichteten Texte von Baehrens (1886) bietet Teub-
ners Verlag in der ,Bibliotheca> eine neue Ausgabe des
Minucius, die nach viel beffern und haltbarem Grund-
fätzen eingerichtet ift, als die vorangegangene. Sein Verfahren
charakterifiert Boenig felber alfo: numquam quid-
quatn in textu commutavi, ut colorem quendam Tu/Hanum
proferrem, numquam si quid elegantius ab auctore dici

I posse judicabar neque ullam aliam causam quidquam
corrigendi admisi, nisi si quid a dictione latina, non Cice-
roniana, sed ejus aetatis, qua Minucius Ociavium suum
perscripsit, plane abhorret, vel si sententia sive mutationem
sive trajectionem sive supplementum sive exstinctionem alten
/us modo litterae modo syllabae modo vocabuli unius vel
p/urium postulat, ficherlich ein gefundes, der fchlechten
Handfchrift gegenüber fehr maßvolles Verfahren.

Die Prolegomena find rein philologifch. Zu den
literarkritifchen Problemen des Octavius hat fich B. fchon
an anderer Stelle geäußert (vgl. Marcus Minucius Felix
ufw. Königsberg Ofterprogr. 1897). Wir erhalten eine

j Befchreibung der Handfchrift und eine Zufammenftellung
der in ihr zahlreichen Fehler, nach Gruppen geordnet,

i die das Verwandte zufammenftellen. Der Text felber

I ift fo angelegt, daß im kritifchen Apparat mit Recht jede
Lesart der Handfchrift, auch der offenbarfte Fehler, er-

| fcheint. An den fehr zahlreichen Stellen, wo von ihr
abgewichen wird, gibt B. an, wer Urheber der betreffenden
Emendation, Athetefe, Konjektur ift, doch freilich
dann nicht, wenn das Verfehen der Handfchrift auf den
erften Blick zurechtgerückt werden kann und die betreffende
Emendation längft in die Tradition des gedruckten
Textes gedrungen ift. Verbefferungsvorfchläge,
die keine Berückfichtigung fanden, werden nur fpärlich
mitgeteilt, wenn fie nämlich durch große Namen gedeckt
find.

Der Text weift, wie natürlich, der handfehriftlichen
Überlieferung gegenüber viele Verbefferungen auf, und
zwar zahlreich auch folche, die tiefer und umfänglicher
find, als einfache Wort- und Buchftabenverbefferungen.
Aber das prinzipielle Recht zu weiter gehenden Eingriffen
ift bei der böfen Überlieferung felbftverftändlich vorhanden
, wenn auch natürlich ftellenweife fehr gefragt
werden muß, ob die Änderungen wirklich nötig waren
und ob fie das Richtige trafen.

B.s eigene Arbeit am Text geht aber über vorfichtige
Auswahl fchon gemachter Konjekturen hinaus. An einer
Reihe von Stellen finden fich eigene Emendationen, die
meiften von ihnen find recht gut, fo 44 ut öxtipecoq (ipsius
der Parisiensis) sectae hämo- 54 at aeque (itaque P; Dombart
atqui); 71 et sie melius enarrare (errare P); 72
memoriam: eos (memoria jam eosP); 115 magno sine labore
jam docui (magis nec laboro jam docui P); 184perscrutans
aspicias (nur perspicias P); 20 3 similiter ac mir acuta
(similiter ac vero erga P); 254 postea omnibus (postremis
P); licentiam potestates (licentiae potestatis).

Die Brauchbarkeit der Ausgabe wird erhöht einmal
durch Angabe der Parallelftellen unter dem Text, in
zwei Abteilungen, deren eine die Stellen älterer Schrift-
fteller aufzählt, von denen Minucius abhängig ift, während
die andere Parallelen aus fpäteren Autoren bringt, die
ihrerfeits licher oder wahrscheinlich den Octavius benützen
, ferner durch drei Indices, einen kurzen index der
im Octavius zitierten scriptores, einen index nominum et
rerum und einen index verborum rerumque grammati-
carum notabilium.

Einzelne Verfehen, befonders bei den in allen Teilen
des Buches vorkommenden Zählzahlen fielen mir auf.

Marburg i. H. Rudolf Knopf.