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Ausgabe:

1904 Nr. 12

Spalte:

359-361

Autor/Hrsg.:

Fischer, E.

Titel/Untertitel:

Zur Geschichte der evangelischen Beichte. II 1904

Rezensent:

Cohrs, Ferdinand

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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 12.

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angezogen'. Welche unerhörte Gemeinheit, wenn nur
daran etwas wahres wäre! ,Die fränkifche Reichskirche
hat ihre koftbare Selbftändigkeit verloren und ift in die
allgemeine römifche Kirche eingegliedert worden'. Aber
zunächfl wurde durch Karl Rom in die fränkifche Reichskirche
eingegliedert. S. 2: ,Die Kaiferkrönung 800 eine
welthiftorifche Komödie', aber eine Komödie, die derPapft
brauchte, um feiner Gegner fich zu entledigen, vgl. Sackur
in Sybels hilf. Ztfchr. 1901. S. 8: Der Kanon Hadrians I.
wird als echt behandelt: er ift eine Fälfchung der kaifer-
lichen Partei, desgleichen der Kanon Leos VIII. S. 10: Das
Papftwahldekret von 1059 ift nicht in erfter Linie gegen
das Kaifertum, fondern gegen den römifchen Adel gerichtet
. S. 12: ,Schon frühe bemächtigte fich der Kaifer
der Wahl der Bifchöfe und ernannte fie felbft'. Wann?
Die Ernennung der Bifchöfe ift ftets von den deutfchen
Königen geübt worden. S. 13: DieDoppelkrone Nikolaus' II.
ift eine längft widerlegte Papftfabel. S. 17: Das Wormfer
Konkordat ift nicht zu Worms abgefchloffen worden.
S. 18: Jedenfalls fleht foviel feft, daß Kaifer Lothar fich
loyal auf den Boden des Konkordates geftellt, aber auch
in keiner Weife den königlichen Rechten vergeben hat'.
Hauck hat Kirchengefchichte Deutfchlands 4, S. 117 fr. das
Gegenteil bewiefen. S. 24: Der dictatus papae ift nicht
von Gregor VII. verfaßt, fondern von dem Kardinal Deus-
dedit. S. 28: ,Gregor VII. hat die Sachfen zum Aufftande
gehetzt, die Reichsfürften zum Abfalle veranlaßt'. Beweis
? ufw. ufw. Diefe Irrtümer wären noch zu ertragen,
wenn der Verfaffer fein Buch anders angelegt hätte. Er
handelt nach einem .Rückblick' zunächfl über die Papft-
wahlen von den Urzeiten bis auf Gregor X., dann über
Bifchofswahlen bis zur Zeit Clemens' V. Hierauf wird Gregor
VII. der Text gelefen. Dann mar/chieren feine Parteigänger
und Widerfacherauf, aber in welcher Folge: Johann
von Salisbury, Petrus Craffus, Wenrich von Trier, Mane-
gold, Beno, Bonizo, Walram von Naumburg — diefer ift
natürlich der Verfaffer von de unitate ecclesiae conservanda
—, Hugo von Fleury. Darnach wieder ein ander Bild,
die Reichsfürften — frei nach Ficker. Im nächften §
erfcheinen aber ganz plötzlich Heinrich VI. Philipp
von Schwaben und Otto IV. Wir denken, wir find nun
endlich beim Thema? Mit nichten! Wir müffen noch
die ganze Publiziftik des 13. und der erften Hälfte des
14. Jahrhunderts genießen, über Jordan von Osnabrück,
Dante, den unvermeidlichen Marfilius und Johann von Gent
(Jandun!), Ocken und felbft Lupoid von Bebenburg, fowie
über die Proteftationen Ludwigs des Bayern uns belehren
laflen, ehe wir auf S. 125 zu dem großen Kampfe Friedrichs
II. gelangen, über den wir freilich Neues gar nicht
erfahren.

Der Verfaffer diefes Buches ift offenbar ein warmer
Patriot. Er hat auch viel gelefen und ftudiert. Aber Erudition
ohne Methode ift nichts wert und Patriotismus ohne
hiftorifchen Sinn richtet in der Hiftorie nur Unheil an. Ich
habe aus dem ganzen Buche nichts gelernt und bin überzeugt
, daß jedermann daraus nur lernen kann, wie man
Gefchichte nicht fchreiben darf.

Bonn. H. Böhmer.

Fischer, Sem.-Oberlehr. Paft. E., Zur Geschichte der evangelischen
Beichte. II. Niedergang und Neubelebung
des Beichtinftituts in Wittenberg in den Anfängen
der Reformation. (Studien zur Gefchichte der
Theologie und der Kirche, herausgegeben von
N. Bonwetfch und R. Seeberg. Neunter Band. Heft
4-) Leipzig 1903, Dieterich. (VI, 252 S. gr. 8.) M.4.50

Im 1. Bande feiner Unterfuchungen zur Gefchichte
der evangelifchen Beichte (vgl. Theol. Lit.-Zeitung 1902
Nr. 21 Sp. 571 ff.) hatte der Herr Verfaffer neben einer
Darlegung der römifchen Beichtpraxis bei Beginn der
Reformation vor allem eine Überficht über Luthers j

Stellung zur Beichte in den Anfängen feiner Wirkfam-
keit — etwa bis Oftern 1520 — gegeben. Hier fetzt
alfo der vorliegende 2. Band ein und führt dann die
Entwickelung weiter durch das Eingreifen Karlftadts hindurch
bis zur Neubelebung des Beichtinftituts durch
Luther, die Fifcher — mit Recht — in der Formula missae
(Ende 1523) bis zu einem prinzipiellen Abfchluß gebracht
fieht.

Die intereffantefte Phafe fchildert das erfte Kapitel
diefes Bandes, die Zeit von Oftern 1520 bis zum Wartburgaufenthalt
. Luther hat das Unhaltbare der römifchen
Beichtforderungen klar erkannt — die Schrift ,Von der
Beicht, ob die der Papft Macht habe zu gebieten' führt
zu dem Schlußergebnis, daß der Papft gar keine Befugnis
hat, die heimliche Beichte einzufetzen oder zu fordern

— und doch kann er fich nicht entfchließen, die vollen
Konfequenzen diefer Erkenntnis zu ziehen. Statt durch
Abfchaffung der Beichte dem Falfchen ein radikales Ende
zu machen, hofft er immer, von innen heraus von felbft
das Rechte zu erreichen. Deshalb begnügt er fich vorläufig
mit einem Kompromiß. Dankbar — fo lehrt er

— foll jeder Chrift des Beichtinftituts fich bedienen, ob
es auch nur eine kirchliche Einrichtung ift; nur foll dabei
kein Zwang ausgeübt und kein bis ins einzelne
gehendes Beichtbekenntnis gefordert werden; auch darf
das Beichtehören nicht allein als Sache der Geiftlichen
betrachtet werden, die Beichte vor Laien muß ausdrücklich
geftattet fein, und ein Priefter, der Beichte hört, ift
dann eben auch nichts anderes, als ein chriftlicher Bruder.
Der wahre Wert der Beichte aber liegt in der rechten
inneren Herzensftellung; wo diefe nicht ift, da hilft alles
Beichten nichts, da ift es Sünde und foll nur ja unter-
laffen werden.

Karlftadt war es dann, der den Schritt tat, den
Luther noch immer hatte vermeiden wollen; er fchaffte

— in der Konfequenz feiner Bemühungen um eine evan-
gelifche Abendmahlsfeier, die durch die Beichte gehindert
würde — die Beichte ab. Dielen Darlegungen ift das
zweite Kapitel unferes Buches gewidmet. Vorbereitend
bringt es wertvolle Unterfuchungen darüber, welche
Stellung in Luthers Abwefenheit die führenden Theologen
Wittenbergs zur Beichte eingenommen, und wie allerlei
Auslaffungen über die Beichte von außen her die Wittenberger
Stimmung beeinflußt haben. Dabei kommen —
was Fifcher fchon im 1. Bande angekündigt hatte — die
intereffanten Beichtbücher zu Worte, die eine bedeutfame
Stellung in der Flugfchriftenliteratur der Reformationszeit
einnehmen. Außer den bekannteren von Jak. Strauß
werden uns auch Heinrich Kettenbachs, Sylvius Egranus',
Hans' von Tannenfeld, Kasp. Güttels und Eberleins von
Günzburg Äußerungen über die Beichte vorgeführt. So
dankenswert auch die Darbietungen find, die in den umfangreichen
Anmerkungen am Schluß des Buches z. T.
noch weiter ausgeführt werden, fie können doch nur
einen oberflächlichen Eindruck von der markigen Schreibweife
der genannten Männer hervorrufen. Vielleicht
entfchließt fich der Herr Verfaffer — foweit fie dort
nicht fchon fo wie fo in Ausficht genommen find, — alle
die Beichte berührenden Flugfchriften in einem Sammelbande
der Niemeyerfchen Neudrucke herauszugeben; das
würde einewertvolleErgänzung feinesBuches fein. Aber auch
des Oekolampadius ,Quod non sit onerosa Christianis con-
fessio, Paradoxon1 hätte einen Neudruck verdient, zumal
mir— wenn auch Hagenbachs mißverftändliche Äußerung
(Joh. Oekolampad S. 18 Anm. 2), nach der es fcheint,
als fei Oekolampadius Luther gegenüber durchaus original,
der Berichtigung bedarf und längft berichtigt worden ift
(Plitt, Einleitung in die Augustanal S. 260; Weim. Ausgabe
VIII S. 131) — Oekolampadius' Schrift auf Luthers
fpätere Äußerungen doch nicht ganz ohne Einfluß geblieben
zu fein fcheint. Jedenfalls hat Luther wohl die
drei Arten der Beichte, die er fchon in den berühmten
acht Sermonen nach feiner Rückkehr von der Wartburg