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Ausgabe:

1904 Nr. 12

Spalte:

353-354

Autor/Hrsg.:

Preiswerk, H.

Titel/Untertitel:

Der Sprachenwechsel im Buche Daniel 1904

Rezensent:

Meinhold, Johannes

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353

Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 12.

354

wird, den Sinn diefes etwas eigentümlichen Satzes richtig
zu erraten, teile ich auch deffen Überfetzung mit: ,die
Opferung des Feftopfers des Paffah darf, was die Rinder
anbelangt, nicht über Nacht dauern'. Das ift der Spinnwebfaden
, an den F. feine neue Theorie anhängt, nachdem
er den feften Strick, an dem die alte hing, zer-
fchnitten hat, zum Glück aber nicht in Wirklichkeit.

Halle a. S. C. Steuernagel.

Preiswerk, Gymn.-Rekt. H., V. D. M., Der Sprachenwechsel
im Buche Daniel. Diff. Bern 1902. (IV, 120 S. gr. 8.)

Diefe Inauguraldiffertation zerfällt in drei Teile:
Der erfte zeigt, was die Auslegung des Buches Daniel
bis heute über das Problem des Sprachwechfels bietet.
Man hat von Spinoza an von der Sprachverfchiedenheit
auf verfchiedene Quellen innerhalb der Schrift gefchloffen,
oder hat angenommen, das die Weltreiche Betreffende
fei in der Weltfprache, das für Juda Wichtige von Anfang
hebräifch gefchrieben, während wieder andere das für das
jüdifche Volk der Maccabäerzeit Beftimmte in der (ara-
mäifchen) Umgangsfprache, das für die Gelehrten in der
(hebräifchen) Gelehrtenfprache verfaßt meinten. Neuerdings
nimmt man zur Erklärung Mißgefchicke der Handfchrif-
ten, nicht vollendete Überfetzung von einer in die andere
Sprache zu Hilfe (S. 6—41). Die fehr eingehende und
fleißige Unterfuchung in Teil II (S. 42—116) ergiebt das
Refultat, daß K. 2—6 nicht Überfetzung aus dem Hebräifchen
bieten, fondern von Anfang aramäifch gefchrieben
wurden. Auch die Behauptung Riedlers (Das Buch
Daniel, textkritifche Unterfuchung, 1899), daß die
griechifche Überfetzung (LXX) einen hebräifchen Text
vorausfetzt, läßt fleh als irrig erweifen. Anders fleht
es mit Kap. 7. Die fchon von dem Referenten ausge-
fprochene Meinung, daß das Aramäifch von K. 7 fleh
bedeutfam von dem im 2—6 unterfcheide, wird von
Preiswerk bis ins Einzelne hinein verfolgt und gründlich
bewiefen. Zugleich aber führt ihn die Tatfache, daß
eine Überfetzung ins Hebräifche, die bei K. 2 fo große
Schwierigkeiten bietet, hier außerordentlich leicht zu
machen ift, weiter die Bemerkung, daß das Kapitel an
Hebraismen fehr reich ift (im Gegenfatz zu 2—6), ja
daß das im Aramäifchen geradezu unerklärliche ittj^jj
T?^? ein direktes Hineinragen eines hebräifchen Ausdruckes
ins Armaäifche aufweift, zu der Behauptung,
daß Kap. 7 urfprünglich hebräifch gefchrieben war.

Bezüglich des Hebräifchen zeigt die Unterfuchung,
daß das an Aramaismen recht reiche Kap. 1 urfprünglich
aramäifch gefchrieben fein mag, wie denn eine Überfetzung
in das Aramäifche fleh fehr leicht und glatt anfertigen
läßt. Anders fleht es mit K. 8—12, wie fchon
der Verfuch einer kaum gut herzuftellenden Überfetzung
z. B. von K. 8 zeigt (8,1—10 und Kap. 1 bietet der Verfaffer
auch aramäifch). Sie find von Anfang an hebräifch
gefchrieben worden.

Als Refultat ergibt fleh dem Verfaffer (Teil III), daß
,das Buch Daniel zur Zeit des Antiochus Epiphanes auf
Grund zweier Traditionen abgefaßt worden ift, mit be-
fonderer Rückficht auf die zu jener Zeit herrfchenden
Verhältniffe'. Die eine diefer Traditionen, welche Erinnerungen
an Erlebniffe in der babylonifchen Gefangen-
fchaft enthielt, hatte fleh im Volke fortgepflanzt und
war darum mit dem Wechsel der Sprache deffelben ins
Aramäifche übergegangen. Sie hat den Stoff zu 1—7
abgegeben.

Die andere Tradition flammt aus Fragen und Antworten
, die man ftellte und zu beantworten fuchte, wenn
man das Gefchick Ifraels und feine Stellung in der Welt
mit den prophetifchen Zukunftsbildern verglich. Diefe fleh
in kleinem Kreife bildende und allmählich erweiternde
Tradition wurde als etwas Geheimnisvolles, Hohes in der
heiligen, der Gelehrtenfprache geliefert. Aus ihr kommt
der Stoff von 8—12.

Der Verfaffer des Danielbuches hat diefe beiden
Traditionen zu der uns vorliegenden Schrift vereinigt,
wobei er übrigens die erfte mehr in ihrer Selbftändigkeit
belaffen hat, als die zweite. Hier, namentlich in K. 11,
hat er den Stoff frei verwendet und aus Eigenem bereichert
.

Damit glaubt Pr. das Problem des Sprachwechfels
gelöft zu haben.

Man hat Urfache, den Verfaffer zu feiner nach Methode
wie Inhalt gleich lobenswerten Schrift zu beglück-
wainfehen. Ich freue mich perfönlich, daß meine früher
aufgeftellten Behauptungen hier zum Teil erwünfehte Be-
ftätigung empfangen. Denn zwifchen der Anfleht, daß
K. 2—6 felbftändige im Volk umlaufende Erzählungen
feien, die der Verfaffer unverändert in fein Werk aufnahm
, und der, daß er eine diefen Erzählungen entfprech-
ende Überlieferung im Volk zwar zu feinen Zwecken bearbeitete
, aber doch in verhältnismäßiger Selbftändigkeit
beließ, ift kein gar fo großer Unterfchied, zumal wenn
man dazu nimmt, daß (S. 72) die LXX darauf führt, daß
,die Volkstraditionen, die in Kap. 2—6 verarbeitet find,
auch in felbftändiger, von der Verarbeitung in Daniel
verfchiedener Geftalt vorhanden waren'. Und ob nun
ein Verfaffer 2 Traditionsquellen benutzt und zufammen-
geleitet hat, oder ob er einen ihm gebotenen Stoff zum
Ausgange von Spekulationen gemacht hat, wie fie natürlich
in den frommen Kreifen damals umgingen, ver-
fchlägt auch nicht viel.

Am bedenklichften erfcheint mir die Stellung Preiswerks
zu K. 7. Dies Kapitel fleht fachlich wie formell
in der Mitte zwifchen 2—6. 8—12. Es als Abfchnitt der
Volkstradition oder Volkserzählungen anzufprechen, geht
kaum an, da es in gleicher Weife Spekulationen bietet
wie 8—12, ja diefe vielleicht nur eine weitere Ausführung
der K. 7 gebotenen Gedanken bieten. Anderfeits wieder
ftellt fleh das Gefleht von den 4 Tieren zu dem von dem
Monarchienbilde (K. 2). Von diefer Reihe aber fcheidet
es fich inhaltlich (es bietet keine Erzählung), fprachlich
(ein anderes Aramäifch), chronologifch (es greift über
Darius K. 6 in die Zeit des Belfchasar zurück) durchaus
ab. Da ift m. E. noch immer die einfachfte Auskunft,
daß zunächft 2—6, wahrfcheinlich mit einer aramäifchen
Einleitung, die fich zum Teil oder auch ganz mit unferem
Kap. 1 deckte, umlief (ob fchon feit langer oder kurzer
Zeit, tut hier nichts zur Sache), daß dann jemand aus
den Kreifen der apokalyptifch Geflammten Kap. 7 aramäifch
verfaßte, wobei er fich von K. 2 anregen ließ.
Diefe Stücke wurden dann, fei es von einem Dritten, fei
es von dem Verfaffer von K. 7 zufammengearbeitet und
zwar fo, daß K. 1 hebräifch überfetzt, K. 8—12 gleich
hebräifch gefchrieben wurde. Das fcheint mir doch einfacher
als die Anficht von Preiswerk, daß der Überfetzer
von dem urfprünglich hebräifch gefchriebenen K. 7 bei
K. 8 erlahmte. Wenn Kap. 7 fo reich ift an Hebraismen,
fleh fo leicht ins Hebräifche übertragen ließ, erklärt fleh
das am Ende noch beffer fo, daß der Verfaffer die in prophetifchen
Kreifen umgehenden Gedanken, die in Anlehnung
an die Prophetenfchriften hebräifch formuliert waren und
wurden, in einem fliegenden Blatt in größere Kreife
werfen wollte, wobei er an Erzählungen des Stils von
K. 2 anknüpfte. Daß dann termini technici der hebräi-
ifchen Apokalyptik mitunterfloffen, das Ganze mehr
hebräifch gedacht und empfunden war, als aramäifch,
wäre nicht verwunderlich. — Im übrigen wird manPreiswerk
recht geben, wenn er fagt, daß man hier über mehr
oder weniger wahrfcheinliche Vermutungen nicht hinauskommt
.

Bonn. Meinhold.