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Ausgabe: | 1904 Nr. 11 |
Spalte: | 340 |
Autor/Hrsg.: | Würz, F. |
Titel/Untertitel: | Die mohammedanische Gefahr in Westafrika 1904 |
Rezensent: | Wurm, Paul |
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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 11.
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neben der Moral. Sie wird angeregt durch die Eindrücke
der Außenwelt, die im Gottesgedanken Einheit und Harmonie
erhalten. Daher ift fie doch mit der Philofophie
verwandt, ebenfo wie auf der andern Seite auch die ganze
Moral keimhaft in ihr befchloffen liegt. Zu voller
Klarheit ift Herders Religionsbegriff leider nicht gereift;
neben dem Mangel einer ftraffen Entwicklungsidee wurde
das die Urfache, daß er trotz mancher religionsgefchicht-
lichen Einficht keine wirkliche Religionsgefchichte fchuf.
Das religiöfe Bewußtfein findet feinen Ausdruck in der
poetifchen Sprache, in Bildern, fteht aber dabei unter
den Gefetzen des allgemeinen Geifteslebens; es wird beeinflußt
durch nationale Denkart, Sprache, Sitte, durch
Übertragungen von einem Volk zum andern, durch allmähliche
Abflachung der Begriffe. Daraus ergibt fleh
die Forderung, zu den urfprünglichen Formen der
religiöfen Sprache zurückzukehren, ihren Geift der Gegenwart
in eignen Formen darzubieten, kurz ,den alten
Judaismus zu germanifieren'; praktifch kommt Herder freilich
nur zu einer Reflektierenden populär-theologifchen
Um- und Ausdeutung der biblifchen Begriffe in unferer
Sprache'. Hier fchließt fleh Herders Anficht über
Dogmen und Dogmatik an. Er unterfcheidet aufs fchärffte
zwifchen Religion und Lehrmeinung. Er kämpft wider
jede Demonftrationsfucht, befonders wider Kant, deffen
Frage nach der Wahrheit der Religion ihm unverftänd-
lich bleibt. Er meidet jede klare Formulierung, er läßt
am liebften Bild und Sache in ungetrennter Einheit; denn
er will keine Dogmatik mit pofitivem Erkenntniswert,
fondern nur eine religionsgefchichtliche Erklärung der
biblifchen VorftellungenundihreUmformungin dieSprache
der Gegenwart. Dabei fchwankt er ftets zwifchen ratio-
naliftifcher Liebe zu bloßen von der Gefchichte abftra-
hierten Ideen und einem ,realiftifch-intuitiven Bedürfnis'
nach wirklichen Tatfachen; wo diefes fiegt, da vergewaltigt
Phantafie und Gemüt nur allzuleicht die Gefchichte.
Den Schluß bildet eine hiftorifche Überficht (115—127),
die von feinen Vorgängern bis zu feinem Schüler De Wette
und feinem glücklicheren Fortfetzer Schleiermacher führt
und in einen Panegyrikus mündet: alle Religionsgefchichte
und Religionspfychologie der Gegenwart lag bereits in
feiner Idee, er ift ,bedeutend moderner als Schleiermacher
'.
Eine Fülle von Stoff! Sie wäre auf dem kleinen
Raum verwirrend, wenn nicht gewiffe Grundzüge immer
aufs neue zur Darftellung kämen und ein flüffiger Stil (nur
feiten durch unedle Wendungen geftört, z. B. S. 46 ,er
macht es ebenfo', S. 120 ,er konnte Kant nicht leiden')
den Lefer vorwärts trüge. Schon das Thema der von
Tröltfch angeregten und befruchteten Arbeit ift verdienft-
lich; und die Unterfuchung gräbt fo tief, daß fie fleh zweifellos
in der Kirchengefchichte Geltung verfchaffen wird.
Gegen die Grundgedanken läßt fleh kaum Erhebliches
einwenden. Nur einige Bemerkungen kann Ref. nicht
unterdrücken. W. hat zwar beffer als Göbel beachtet,
daß die über 37 Jahre verftreuten Äußerungen Herders
fleh nicht ohne weiteres in ein Bild zufammenfügen;
vielleicht aber wäre feine Darftellung noch fruchtbarer
und plaftifcher geworden, wenn er die Wandlungen aus dem
Leben Herders und der Gefchichte feiner Zeit begründet
hätte. Ferner fteht Herder in der Pfychologie weder fo
,ganz und gar auf Leibniz' Schultern', noch ift er fo bahnbrechend
, wie W. anzunehmen fcheint; wirklich neu ift
wohl nur feine Anwendung der ftarken pfychologifchen
Zeitftrömung auf das hiftorifche und religiöfe Gebiet.
Bei der Religionstheorie felbft würde Ref. den Einheitstrieb
weit weniger betonen. Und weshalb wird fie ohne
nähere Begründung paffiv oder naturaliftifch genannt?
Sollte hier das Urteil A. Ritfchls über Schleiermacher
nachklingen? Vielleicht hätte eine genaue Erörterung
der Stellung, die Herder der Religion im individuellen
und gefchichtlichen Geiftesleben zuweift, den Verfaffer
vor diefer Einfeitigkeit behütet. Was endlich das Verhältnis
zu Schleiermacher betrifft, fo läßt fleh feine Kenntnis
Herderfcher Schriften nicht nur vermuten, fondern
beweifen. Kennt W. nicht, um nur einen ganz ficheren
Punkt zu erwähnen, die Rezenfion Schleiermachers über
Spaldings Selbftbiographie (Briefe IV 612), die von genauer
und verftändnisvoller Lektüre der Provinzialblätter
zeugt ? Der panegyrifche Schluß wäre beffer weggeblieben;
man kann Herder auch auf dem theologifchen Gebiete
fehr hoch fchätzen, ohne deshalb feine Bedeutung für
Gegenwart und Zukunft über die Schleiermachers zu ftellen.
Leipzig. H. Stephan.
Basler Missionsstudien.
Bechler, Miff.-Sekr. Th., Unabhängigkeitsbewegungen der
Farbigen in Südafrika. (18. Heft.) Bafel 1903, Miffions-
buchhandlung. (40 S. 8.) M. —.40
Mi es eher, Pfr. E., Missionszeit, Missionsmethode, Missionsgeist
. (19. Heft.) Ebd. 1904. (34 S. 8.) M. —.40
Riggenbach, Prof. Lic. Eduard, Die religiöse und sittliche
Erziehung heidenchristlicher Gemeinden nach den Korinther-
briefen. (20. Heft.) Ebd. 1904. (20 S. 8.) M. —.40
Würz, Miff.-Sekr. F., Die mohammedanische Gefahr in Westafrika
. (21. Heft.) Ebd. 1904. (26 S. 8.) M. —.40
Es ift gewiß ein zeitgemäßes Unternehmen, wenn
die Basler Mifflonsbuchhandlung angefangen hat, wertvolle
Auffätze miffionstheoretifchen, gefchichtlichen oder
ethnographifchen Inhalts in zwanglofen kleinen Heften
erfcheinen zu laffen unter dem Titel: Basler Miffions-
ftudien. Andere Miflionsgefellfchaften find dem Beifpiel
gefolgt. Denn in unferer mit Blättern überfchwemmten
Zeit bleibt manche hervorragende Abhandlung in einer
Zeitfchrift von vielen unbeachtet. — In Heft 18 erhalten
wir eine treffliche Überficht über die Entftehung und
den Fortgang der fogenannten äthiopifchen Kirche in
Südafrika, welche in Zufammenhang fteht mit der Unabhängigkeitsbewegung
der Farbigen, — einer Bewegung,
die felbft nach dem Urteil der Cape Times den Engländern
noch einen fchwereren Kampf bereiten kann als
der Burenkrieg (S. 3). Welche Maßregeln von den in
Südafrika arbeitenden Miffionsgefellfchaften ergriffen
werden müffen, um ihre Gemeinden diefer Bewegung
gegenüber zufammenzuhalten, wird in kurzen Zügen be-
fprochen. — Heft 19 u. 20 enthalten Vorträge bei einem
Miffionskurs in Bafel. In Heft 19 gibt der Präfident der
Basler Miffionsgefellfchaft, Pfr. Miefcher, in kleinem
Rahmen, mit großer Umficht alle neuere Literatur be-
rückfichtigend und aus der Praxis fchöpfend, einen gründlichen
Einblick in einige Probleme der Miffionswiffenfchaft.
Prof. Ed. Riggenbach (Heft 20) betrachtet die Korinther-
briefe in origineller und anfprechender Weife als Vorbild
für die Erziehung heidenchriftlicher Gemeinden, und
feine Arbeit darf wohl den Abhandlungen Haupts über
die Korintherbriefe in den Deutfch-evangelifchen Blättern
als Behandlung diefer Briefe nach einem einzelnen Ge-
fichtspunkte würdig zur Seite gehellt werden. — Heft 21
ftellt auf Grund von gründlichen Quellenftudien die
mohammedanifche Gefahr in Weftafrika vor Augen, die
namentlich unfere Kolonialpolitiker nicht unterfchätzen
follten, da der Islam die europäifche Herrfchaft ebenfo
vernichten möchte wie die chriftliche Miffion. Wir werden
daran erinnert, daß die europäifche Chriftenheit alles
aufbieten follte, um die evangelifche Predigt möglichft
bald ins Innere zu tragen, ehe die Völker eine Beute des
Islam und dadurch gegen Chriftentum und Europäer fana-
tifiert werden.
Calw. P. Wurm.