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Ausgabe:

1904 Nr. 11

Spalte:

337-340

Autor/Hrsg.:

Wielandt, Rudolf

Titel/Untertitel:

Herders Theorie von der Religion und den religiösen Vorstellungen 1904

Rezensent:

Stephan, Horst

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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 11.

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Leider fehlt ein Regifter; es wäre fehr nützlich in einer
Darfteilung, die fo viele Einzelheiten vereinigt.

Hoffentlich erweitert Fl. feine Studien, um uns eine
eingehende Arbeit über die Verbeitung des Sektenwefens
im mittelalterlichen Deutfchland zu geben.

Halle a. S. G. F ick er.

Goebel, Pfr. Louis, Herder und Schleiermachers Reden über

die Religion. Ein Beitrag zur Entwickelungsgefchichte
der neueren Theologie. Gotha 1904, F. A. Perthes.
(IV, 103 S. gr. 8.) M. 1.60

Wielandt, Stadtvik. Lic. Rudolf, Herders Theorie von der
Religion und den religiösen Vorstellungen. Eine Studie
zum 18. Dez. 1903, Herders hundertjährigem Todestag
. Berlin 1904, C. A. Schwetfchke & Sohn. (VI,
127 S. gr. 8.) M. 3.—

Das Herderjubiläum hat an feinem Teile dazu beigetragen
, das ftark in den Hintergrund getretene Intereffe
für Herder neuzubeleben. Ihm verdanken wir namentlich
auch die beiden Schriften von Göbel und Wielandt.

Göbel ift amerikanifcher Pfarrer; er möchte be-
weifen, dal.! im Dollarlande nicht alle wiffenfehaftlichen
Beftrebungen gefchwunden und daß die geißigen Bande
zwifchen Amerika und Deutfchland nicht leere Phrafe
find. Er iß — ein feltener Fall in unterer Zeit — von
einer in der Familientradition begründeten Vertrautheit
mit Herder ausgegangen, hat dann die Reden Schleiermachers
kennen gelernt und in ihnen die Verwandtfchaft
mit Herder empfunden. Daraus ergab fich von felbß
das Ziel feines Buches: nämlich darzutun, daß der Hauptinhalt
der Reden bereits bei dem älteren Helden der
Theologie zu finden iß. So übernimmt er die Dispofition
der Reden — mit Weglaffung der einleitenden 1. Rede
— und ßellt innerhalb diefes Rahmens neben die Äußerungen
Schleiermachers die jeweiligen parallelen Sätze
Herders. Grundlegend iß der erße Abfchnitt über das
Wefen der Religion, der 2. Rede Schleiermachers ent-
fprechend. Hier wird bei beiden Männern die Löfung
der Religion von Metaphyfik und Moral betont: Religion
iß Sache des Gemüts, iß Anfchauung und Gefühl der
Gottheit; bei beiden folgt daraus eine religiöfe Um-
deutung von Begriffen wie Wunder, Offenbarung, Eingebung
, Gnadenwirkungen, Glaube. Der 2. Abfchnitt,
über die Bildung zur Religion, zeigt fie als Meißer einer
Erziehung, die mit rein geißigen Mitteln die religiöfe Anlage
des Menfchen von jugendlicher Wunderbegierde zu
voller Durchdringung aller Seelenkräfte entwickelt. Nach
einer andern Richtung leitet das Kapitel ,Uber das Gefellige
in der Religion oder über Prießertum und Kirche'.
Herder wie Schleiermacher heben das vergeffene allgemeine
Prießertum auf den Schild, fie zeigen die Bedeutung
des Gefelligkeitstriebes auch für das religiöfe Leben, fie
erblicken in der Verbindung von Staat und Kirche eine
wichtige Urfache für den traurigen Zußand der gegenwärtigen
Kirchen, fie fordern eine rein religiöfe Gemein-
fchaft. Endlich der 4. Abfchnitt ,Über die Religionen'
fuhrt zunächß die Ausfprüche Herders an unferm Geiße
vorüber, die den religiöfen Charakter der heidnifchen
Religionen zu würdigen fuchen, und weiß einige Faden
auf, die von da aus bei Herder durch das Judentum zum
Chrißentum leiten, d. h. zur Religion Chrißi, zur reinflen
Humanität. Auch bei Schleiermacher enthalten alle

Religionen etwas von dem t**^™^6*^*}^** j W^'HÄdej flatt der legten Gründe :i^eit7^äS

zum wenigßen feine Gefichtspunkte auf fich wirken laffen.
Freilich ohne Kritik werden fie feine Schrift nicht hinnehmen
dürfen. Denn fie iß nicht nur durch Druckfehler
und flüchtige Zitate entßellt, fondern es fragt fich fogar,
ob der Verfaffer methodifch richtig verfährt.. Wenn er
neben die Hauptfätze der Reden ähnliche Äußerungen
ßellt, die aus dem ganzen riefigen Schrifttum Herders
zufammengefucht find, fo beweiß er eben nur, daß folche
Gedanken bei diefem hie und da vorkommen. Wer
bürgt dafür, daß fie eine wichtige oder leitende Rolle
bei ihm fpielen? Nur dann aber hat der Vergleich eine
größere hißorifchc Bedeutung. Schon in der Zufammen-
faffung der Herderfchen Schriften zu einem Bilde liegt
eine Gefahr, und G. iß ihr mindeßens bei einem Punkte
erlegen, bei dem Verhältnis von Religion und Moral.
Auf Bückeburger Stellen geßützt, behauptet er die Löfung
der Religion auch von der Moral; mit Recht, aber es
galt hinzuzufügen, daß die Weimarer Zeit eine Wandlung
zeigt. G. projiziert die fpätere moralifierende Anfchauung
Herders in ungenügender Weife auf diefelbe Leinwand,
indem er neben jene Behauptung von der Selbßändig-
keit der Religion die andere ßellt: .Allein Herder will
dabei keine Religion ohne Moral im Sinne der Romantiker
' (S. 15). Gerade bei einem Vergleich mit den Reden
iß doppelte Vorficht nötig. Denn fie erfchienen 1799,
während Herders Schriften fich etwa auf die Jahre 1766
bis 1803 verteilen. Diefelbe hlntwicklung, die zu den
Reden führte, hat auch auf die geißige Entfaltung Herders
felbß gewirkt. Seine fpäteren Schriften ßehen parallel
zu den Reden, während die früheren, zumal die Bückeburger
, eine zeitliche Vorßufe dazu bilden. Jene geben
eine zeitgefchichtliche Beleuchtung, diefe zeigen die theologifche
Entwicklung von einem Menfchenalter zum
andern. Das find Gefichtspunkte, die fich fchwer in einer
Abhandlung vereinigen laffen. G. hätte bei feinem Thema
vielleicht am beßen getan, fleh auf die Bückeburger Zeit
oder gar auf eine beßimmte Schrift (z. B. die Provinzial-
blatter von 1773; zu befchranken. — Ref. iß in der Kritik
weiter gegangen, als er angefichts des vorliegenden
Büchleins wollte. Tatfächlich bedeutet es faß einen
1. Verfuch in der Richtung feines Gegenßands. Was es
mit inniger Liebe zu feinen Helden und mit reicher Be-
lefenheit leißet, verdient darum trotz aller kritifchen Einwendungen
befonderen Dank.

Wielandt hat fleh ein engeres Thema gewählt und
es deflo eingehender behandelt. Auch er faßt alle
Schriften Herders zufammen, ßellt aber zugleich die
Wandlungen feiner Anfchauung dar. Zunächß fchildert
er (7—52) »d'e Vorausfetzungen der Herderfchen Religionstheorie
', die in feinem Charakter und feiner Pfycho-
logie zu fuchen find. Als Hauptzüge werden genannt:
Kunß der Nachempfindung, rhetorifche Fähigkeit, viel-
feitige Reflexionskraft, freilich gepaart mit Furcht vor
fcharfen Begriffen und vor feßen Normen. Nur in Bückeburg
gelangt er zu ßarker religiöfer Konzentration; fonß
iß er, verglichen mit Hamann und Lavater, keine rein
religiös begabte Natur, hat aber auf den Grenzgebieten
zwifchen Religion und allgemeinem Geißesieben einen
deßo größeren chrißlichen Einfluß geübt. In der Pfycho-
logie brach er vorzüglich durch dreierlei Bahn: er betont
die Einheit des feelifchen Lebens, den Zufammenhang
des Pfychifchen mit dem Phyflfchen, das Gebiet des Unbewußten
und Inßinktiven. Im Anfchluß daran wird die
Sprachphilofophie und Erkenntnistheorie befprochen; von
wirklicher Erkenntnistheorie läßt fich freilich kaum reden,

doch reizen ihn weder Heidentum noch Judentum zur liehe Wahrheit' fucht. Es folgt der Hauptteil der nach
näheren Unterfuchung, fondern das Chrißentum iß für | kurzem Hinweis auf Quellen u. Methode erß die Theori

ihn ,die Religion'. — Göbel umkleidet dies Gerippe mit
einer Fülle von Zitaten. Er unterfucht nicht, fondern er
ßellt zufammen. Wer nicht zu felbfländigen Studien
weiter fchreiten will, wird darum bei ihm reichen Stoff

von der Religion, dann die von den religiöTen^Vo'rßcil'l-
ungen wiedergiebt (53-114). Die Religion gehört zur
Sphäre des felbßoewußten Gefühls, fie iß ein unmittel-
rlln " f" "nd Innewerden des Göttlichen, fie fleht

zu eigner Urteilsbildung finden. Spezialißen aber follten felbßändig neben der Philofophie, in Bückeburg auch