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Ausgabe:

1904 Nr. 11

Spalte:

320-322

Autor/Hrsg.:

Bischoff, Erich

Titel/Untertitel:

Die Kabbalah. Einführung in die jüdische Mystik und Geheimwissenschaft 1904

Rezensent:

Bacher, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 11.

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rechtigten Auffaffung fagen läßt, fteht kaum irgendwo
anders fo vollftändig beifammen. Allfeitig, aber dennoch
vielleicht einfeitig? Wendet fich das Evangelium doch
fo gut wie der Brief nicht an Gegner, fondern an die
chriftliche Gemeinfchaft (S. 66 f.). Und wenn der Brief
diefe vor Doketen und Antinomiften warnt, fo fehlt es j
doch auch im Evangelium nicht ganz an Anhaltspunkten
für eine feit Irenaus konftante kirchliche Überlieferung,
welche gleichfalls auf antihäretifche Tendenz weift. Durchweg
erledigt kann ich diefe Frage durch die in gebotener
Kürze gehaltenen Bemerkungen, die ihr hier (S. 58f.,
vgl. jedoch S. 30) gewidmet werden, nicht halten, verhalte
mich aber dafür um fo zuftimmender zu der Art,
wie die nebenfächliche Polemik gegen die Johannes-
jüngerfchaft in den Hauptzweck des Evangeliums hereingezogen
und ihm untergeordnet wird (S. 6of.). Überhaupt
darf man die kleine Schrift zu den inhaltreichften
und gewichtigften Beiträgen rechnen, welche die letzten 1
Jahre zur Löfung der johanneifchen Frage geliefert haben.
Zumal ,die ganz eigentümliche Unanfchaulichkeit, die in
der Zeichnung der gefchichtlichen Vorgänge hervortritt'
(S. 17, vgl. S. 22. 62) ift kaum jemals in fo evidenter
Weife dargetan worden. Und gleich treffend ift Alles,
was wir hier über die johanneifchen Wunder (S. 5 f. 45 f.),
über die Mißverftändniffe (S. 15f. 22. 25. 33f.), über die
Einförmigkeit der Ereigniffe (S. 15. 31) und wiederholungsreiche
Monotonie der Reden (S. 12 f. 26 f.) lefen, und fo
viel Anderes, was zwar meift auch fonft fchon gefagt
wurde, aber kaum irgendwo gleich bündig und überzeugend
. Hauptfache bleibt immer die ruhig und ficher
durchgeführte Methode des gefchulten Hiftorikers. ,Das
Evangelium hört auf, eine zeitlofe Meditation zu fein und
wird zu einer Schrift, die in einer beftimmten Gegenwart
beftimmte Verhältniffe ins Auge faßt und beftimmte
Zwecke verfolgt' (S. 67).

Straßburg i. E. H. Holtzmann.

Horn, Konfift.-Affeff. P. Lic. Karl, Abfassungszeit, Geschichtlichkeit
und Zweck von Evang. Joh. Kap. 21. Ein

Beitrag zur johanneifchen Frage. Leipzig 1904,
A. Deichert'fche Verlagsbuchh. Nachf. (XII, 199 S.
gr. 8.) M. 4.-

Aus der Einleitung (S. 1—18) und dem Schluß
(S. 196—199) erfahren wir, daß das fragliche Kapitel
nicht fowohl einen Anhang, der auch fehlen könnte, als
vielmehr einen Nachtrag bedeute, der aber doch nicht
von der Hand des apoftolifchen Verfaffers felbft herrührt,
wie fich fpäter zeigt. Vielmehr überließ der Apoftel die
Niederfchrift diefer ergänzenden Erzählung feiner Umgebung
, auf deren Rechnung überdies der Zufatz der
beiden letzten Verfe kommt (S. 75 f. 197). Da nun aber
diefer Zufatz noch zu Lebzeiten des Lieblingsjüngers
gefchrieben ift (wegen 6 [laQTVQmv), kommt der 1. Teil
(S. 19—81) um fo mehr zu einem gleichen Refultat auch
bezüglich des ganzen Kapitels. Dann fleht natürlich die
im 2. Teil (S. 82—167) behandelte Gefchichtlichkeit der
Erzählung ganz auf der Höhe der Augenzeugenfchaft, |
und als der im 3. Teil (S. 172—195) erörterte Zweck des
Nachtrags ftellt fich die dem alternden Johannes fchwer
auf das Gewiffen fallende Notwendigkeit heraus, einer
übertriebenen Verehrung feiner Perfon entgegenzutreten
(S. 73L 79. 185. 198). Darum fetze er dem irrigen Gerücht
21, 23 nicht bloß das häv, fondern hauptfächlich
auch das fievsiv tcog %QTO(tai entgegen, ohne etwas darüber
zu fagen, ob das hier gemeinte Kommen (nach S.
72 könnte z. B. an die Zerftörung Jerufalems gedacht
gewefen fein) ein Sterben des Johannes ausfchlitße
(S. 27); denn er befcheide fich dabei, die rechte Deutung
des Herrnwortes von der Erfüllung zu erwarten (S. 73.193).

Um zu diefem Refultat zu gelangen, hat der Verf.
eine Bibliothek einfchlägiger Werke benutzt, deren Titel |

8 Seiten füllen, und die Ausführung zeigt, daß diefe Ge-
lehrfamkeit nicht bloß Prunkapparat ift. Demgemäß dürfte
was er beibringt gegen Wendts Unterfcheidung von
öfj/isla und sgya (S. 10—16), gegen die von Lipfius angenommene
Zugehörigkeit der Sage vom Grabes-
fchlummer des Johannes zu den Leucius-Akten (S. 36 bis
50), gegen die Hypothefe Rohrbachs von einem im
Petrusevangelium zum Vorfchein kommenden Markusfchluß
(S. 130—156) immerhin Anlaß zu einer erneuten Prüfung
der bezüglichen Unterfuchungen bieten. Von geringerem
Belang ift die Polemik gegen H. v. Schuberts Nachweis
der Vorftellung einer Himmelfahrt am Ofterfonntag (S.
HO—117) und vor Allem gegen die von Lücke und zahlreichen
Nachfolgern vertretene Auffaffung des ganzen
Kapitels (S. 35. 501. 58 f ufw.). Das Befte, was er dagegen
vorzubringen weiß, beläuft fich auf den Nachweis,
daß die gegen die Gefchichtlichkeit geltend gemachte
Unanfchaulichkeit der Erzählung mit gleichem Recht auf
das ganze Evangelium ausgedehnt werden könnte
(S. 82T.). Im Übrigen find die Beweisführungen des
Verf. überall da befonders fadenfcheinig, wo er dabei
einfach von den Vorausfetzungen feines theologifchen
Standpunktes Gebrauch macht (z. B. S. 32h 50t. 54L
60), der auch die Möglichkeit von Wundern in fich befaßt
, die rein zu fymbolifchen Zwecken gefchehen (S. 187.
192), überhaupt unbedenklich zu übernatürlichen Hilfs-
konltruktionen greift, wo keine gefchichtliche Bedingtheit
erkennbar wird, und beifpielsweife auch mit Eventualitäten
rechnet, die nur im Gefolge einer verklärten Leiblichkeit
zu erwarten find (S. 158). Kein Wunder, wenn bei folcher
Kunft der Auslegung manch ,feiner Zug' (S. 165) ans
Licht tritt, wie z. B. daß dem Chriftentum des Petrus
vor dem Zufammentreffen mit dem Herrn am See ,nicht
feiten noch der kirchliche Gemeinfinn fehlte', weshalb er
bei dem Herrn nur einen kühlen Empfang findet, ,was
man bisher zu überfehen pflegte' (S. 88). Derartiges wird
noch mancherlei finden wer folcher an Hengftenberg's
Manier erinnernden Schriftauslegung Gefchmack abzugewinnen
vermag.

Straßburg i. E. H. Holtzmann.

Bischoff, Dr. Erich, Die Kabbalah. Einführung in die
jüdifche Myftik und Geheimwiffenfchaft. Mit 25 Abbildungen
. Leipzig 1903, Th. Grieben's Verl. (VIII,
126 S. 8.) M. 2.—

Es gibt kaum ein Wiffensgebiet, welches für die
katechetifche Form der Darfteilung fo wenig geeignet
wäre, wie die Kabbalah. Tatfächlich war es ein äußerlicher
Anlaß, dem der Verfaffer die Anregung zur Wahl
diefer Form verdankte: feine Bearbeitung von Olcotts
buddhiftifchem Katechismus (S. VI). Aber die gewählte
Form war maßgebend für den Inhalt feines Büchleins.
In dem Hauptteile desfelben (S. 45—108) ftellt er in den
Paragraphen 93—205 ,die Lehre der Kabbalah' dar, obgleich
von einer einheitlichen Lehre der K. nicht ge-
fprochen werden kann; denn was der Verfaffer felbft auf
die an die Spitze diefes Teiles geftellte Frage: ,Kann
man denn von einer Lehre der Kabbalah reden trotz
der Verfchiedenartigkeit der einzelnen Entwicklungsftufen,
Richtungen und Anflehten?' zu antworten weiß, ift durchaus
nicht befriedigend. Was der Verfaffer die Lehre der
Kabbalah nennt, ift eine eklektifche Zufammenfaffung
kabbaliftifcher Lehrmeinungen, die verfchiedenen Quellen
entnommen find. Aber wenn man einmal fich mit der
bizarren Form des Katechismus ausgeföhnt hat und von
dem in der erwähnten P'rage aufgeworfenen Einwände
abfieht, kann man dem Verfaffer die Anerkennung nicht
verfagen, daß es ihm gelungen ift, die hervorftechendften
Lehren der jüdifchen Myftik in klarer und knapper Form
wiederzugeben. Er teilt feinen Stoff in drei Gruppen:
1. Metaphyfik der Kabbalah: Lehre vom Abfoluten und