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Ausgabe:

1904 Nr. 11

Spalte:

318-319

Autor/Hrsg.:

Wrede, William

Titel/Untertitel:

Charakter und Tendenz des Johannisevangeliums 1904

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 11.

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Gunkel, Prof. D. Hermann, Zum religionsgeschichtlichen
Verständnis des Neuen Testaments. (Forfchungen zur
Religion und Literatur des Alten und Neuen Tefta-
ments, herausgegeben von Wilhelm Bouffet und
Hermann Gunkel. I.Band. 1. Heft.) Göttingen 1903,
Vandenhoeck & Ruprecht. (VII, 96 S. gr. 8.) M. 2.—

Eine von den im Titel genannten Gelehrten herausgegebene
Folge von Abhandlungen zur biblifchen Wiffen-
fchaft läßt auf alle Fälle Bedeutendes erwarten. So begrüßen
wir denn auch gleich in dem erfterfchienenen
Heft eine in hohem Grade intereffante Leiftung, dankenswert
fchon deshalb, weil wir .Neuteftamentler' gewöhn-

Urteil bezüglich der aus dem Offen her erfolgenden In-
vafion uralten Heidentums ändert das freilich nichts.
Und fo lange es noch eine näher liegende, aus bekannten
Größen ableitbare Chriftologie des Neuen Teftamentes
gibt, halte ich es wenigflens nicht für die erfte Aufgabe
des Neuteffamentlers, diefelbe von einem ,Chriftusglauben
des Judentums' herzuleiten, von welchem ,uns fo gut wie
nichts bezeugt ift' (S. 94). Übrigens hätten die Beweismittel
für eine Herleitung der Chriftologie im Sinne
Gunkels leicht über die etwas allgemein gehaltenen Behauptungen
(S. 92) hinausgeführt werden können durch
Verwertung der Parallelen zu Joh. 10, 30 (Dieterich S. 68.
155f.), Rom. 8, u (Dieterich S. 152) u. A.

Eine weitere Bemerkung möchte ich mir zu dem

lieh zwar für griechifche, weniger aber für orientalifche j Gegenfatze erlauben, welchen der Verf. zweimal (S. 51.
Zu- und Einflüffe Empfänglichkeit an den Tag legen. 90) aufrichtet zwifchen meiner Herleitung der Vorftellung
EntfchuldDende Gründe hiefür kennt der Verf. (S. 5 f.), der Präexiftenz aus dem pfychologifchen Zwang, das un-
und ihm felbft wird niemand Recht und Befugnis ab- bedingt Wertvolle auch als das Bedingende und darum
fprechen, uns auf den ihm vertrauten Gebieten zu be- 1 weiterhin als das zeitlich Vorangehende zu faffen (.Neuteft.
lehren. Unfererfeits verliehen wir es recht wohl, wenn Theologie' I, S. 406), einerfeits und der Zurückführung
der .Altteftamentler' zwar im fynoptifchen Vorlfellungs- der jüdifchen Vorftellungsform auf vorangegangene
kreislich nochdurchausheimifch weiß, dagegen bei Befchäf- .mythologifche Wefen oder Mächte, die ihrer Art nach
tigung mit der paulinifchen und johanneifchen Literatur Präexiftenz haben', andererfeits. Damit find fich zwei
dem Gefühl erliegt, einen fremdartigen Boden zu be- Dinge wie falfch und wahr gegenübergeftellt, die nicht
treten auf dem er fich zunächft kaum zurechtzufinden I auf demfelben Niveau liegen. Wenn der Hiftoriker die
vermag (S. 85 f.). Denn ,nicht das Evangelium Jefu, wie I Genefis eines Gedankens noch um eine Station weiter

wir es vorwiegend aus den Synoptiken kennen, aber das
Urchriftentum des Paulus und des Johannes ift eine
fynkretiftifche Religion' (S. 88). In diefer rettenden Ent

zurück verfolgen kann, als bisher gefchehen, fo darf er
dies gewiß als eine Errungenfchaft bezeichnen. Aber
eigentlich erklärt ift mit folchem Zurückfchieben von

deckung finden wir uns etwa noch zufammen. Während j näheren zu immer entfernteren Feldern nichts, wenn nicht

wir Anderen aber bei der Beantwortung der Frage nach j zugleich die logifche Nötigung, der die Phantafie befruch-

der Herkunft des fraglichen Fremdkörpers an helleniftifche tende Drang, die Gewalt der religiöfen Motive und was

Einflüffe, Myfterienkult, Gnofis dachten, weilt uns Gunkel 1 fonft von mehr zeitlos in der Tiefe arbeitenden Kräften

den religiöfen Prozeß auf feinen verfchiedenen Stadien bewegt
und begleitet mit in Rechnung gezogen wird. —
Übrigens lies S. I, Z. 5 v. u. Corrodi und S. 2, Z. 17 v. u.
von Cölln.

Straßburg i. E. H. Holtzmann.

noch energifcher auf babylonifche, perfifche, ägyptifche
Kulte, orientalifche Gnofis und fpeziell auf eine aus
jenen Elementen zufammengeronnene, vorläufig noch
anonyme Religion (S. 36), alfo ein X, das vorausgefetzt
werden mülfe, um zunächft die Durchfetzung des Judentums
mit heterogenen Vorflellungen, dann aber auch des
aus diefem Synkretismus hervorgegangenen paulinifchen
und johanneifchen, weiterhin fogar auch des vulgären Wrede, Prof. D. W., Charakter und Tendenz des Johannes-
Chriftentums zu begreifen. Die Tragweite diefer Er- evangeliums. (Sammlung gemeinverftändlicher Vorträge
kenntnis ift mir feither durch das gelehrte Werk Reitzen- uncj Schriften aus dem Gebiet der Theologie und
ftein's .Poimandres' in ein übersehendes Licht getreten j Religi0nsgefchichte 37.) Tübingen 1903, J. C. B. Mohr
.Alles diefes follte den Neuteftamentler beftimmen, nicht

(IV, 71 S. gr. 8.) M. 1.25

Ein nachträglich noch etwas ausgearbeiteter Vortrag,
darin die ,Lehrfchrift in der Form des Evangeliums' (S. 5),
legenheit, meine volle Übereinltimmung mit dem Wunfche, j welche von der Kirche als Hinterlaffenfchaft des Apoftels

nur im Griechentum, fondern auch im Orient nach Berührungen
zu fuchen' (S. 89). Da folche Monitorien
mehrfach auch an mich gerichtet find, ergreife ich die Ge

die Neuteftamentler möchten künftig fich mehr im Orient
umfehen (S. 10), und desgleichen meine Dankbarkeit für
die jetzt vorliegende, klare und überfichtliche Zufammen-
ftellung einer Menge von fcharffinnigen Beobachtungen
zu bekennen, welche man bisher aus ,Schöpfung und
Chaos' und anderen Werken Gunkel's erft zufammenlefen
mußte. Man wird fich des reichhaltigen Stoffes, in deffen
fichern Befitz man dadurch geftellt wird, freuen, auch wo

Johannes angenommen und demgemäß gewertet worden
ift, aus dem myftifchen Halbdunkel, darin man fie noch
immer gern verweilen läßt, in eine helle Tagesbeleuchtung
verfetzt erfcheint, darin alle ihre fcharf umriffenen
Kanten und tendenziöfen Spitzen deutlichft in Sicht
treten zum Beweis, daß ,dies Evangelium nirgends naiv,
fondern überall abfichtlich ift' (S. 8). Zumal ,die Reden
fetzen ein chriftologifches Dogma voraus, dies predigen

man der Mahnung des vom Verf. (S. 6) angerufenen j fie und fuchen fie zu ftützen' (S. 10). Und zwar ,ift in
Buches von Dieterich über ,eine Mithrasliturgie' fich er- j Wahrheit nur einer der wirklich Redende: der Evangelift,
innert, ,daß durch Anführung von Analogien und 1 der zugleich der Autor des erften Briefes ift' (S. 13)'.
Parallelen keinerlei Abhängigkeitsverhältnis zwifchen dem J Während er aber in diefem Briefe fich gegen die Gnofis
einen und dem andern Kult auch nur präjudiziert werden j wendet, hat er im Evangelium durchweg das Judenvolk
foll' (S. 95). Und nicht minder beherzigenswert ift, was I feiner eigenen Gegenwart (oi 'lovöaloi) im Auge, ,1m
der Verf. felbft gelegentlich bemerkt: ,So lange diefe Kampfe der beiden Religionen, wie ihn unfer Evangelium
orientalifchen Zusammenhänge fo wenig geklärt find, j fpiegelt, erfcheint das Chriftentum durchaus als der an-
würde der Neuteftamentler fein eignes Intereffe verkennen, I gegriffene Teil. ... Aber der Evangelift greift doch
wenn er das Hauptgewicht feiner Forfchung auf die Frage { auch feinerfeits an: der Angriff ift eben auch eine Verlegte
, aus welcher orientalifchen Religion gewiffe neu- teidigung' (S. 57). Gefchichtlich zu verftehen ift das
teftamentliche Stücke herrühren' (S. 36). Demgemäß 1 Evangelium nur ,als eine aus dem Kampf geborene und
nehme ich dankbar die Belehrung an, daß ich in der für den Kampf gefchriebene Schrift' (S. 40) nicht ein
.Neuteft. Theologie' I, S. 476 ftatt .Indien und Perfien' j Streit aus dem Leben Jefu, fondern der Streit d'er fpätern
hätte .Babylonien' fetzen follen (S. 3, aber vgl. bei Gunkel Juden gegen das Bekenntnis der Kirche' (S 44) Was
felbft S. 53: ,wahrfcheinlich'). An dem dort formulierten | fich irgend zu Gunften diefer an ihrem Teil gewiß be-

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