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Ausgabe:

1904 Nr. 10

Spalte:

308-309

Autor/Hrsg.:

Fahrner, Ignaz

Titel/Untertitel:

Geschichichte der Ehescheidung im kanonischen Recht. I.Teil 1904

Rezensent:

Frantz, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung 1904. Nr. 10.

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Erklärungen längfl gefprochener Worte und uralter Begebenheiten
und immer neue Gedankenreihen darüber
herauszuentwickeln. Das hat die Theologie ja reichlich
getan, und was dabei herausgekommen ift, wiffen wir
ja' . . . ,Die Erkenntnis Gottes ift kein gewöhnliches
Wiffen und das Wort von Gott keine Wiffenfchaft in
unterem üblichen Sinne, fondern das Wort Gottes ift
etwas gewaltig Tätiges, tief in alle Verhältniffe Ein-
fchneidendes, einem Schwert vergleichbar, das Mark und
Bein durchdringt' .... ,Darum liegt die Aufgabe der
Theologie weit weniger im Reden und Erklären, als im
Tun. Die wahre Theologie dürfte wortkarg, müßte aber
tatenreich fein' (S. 91.). Wir ereifern uns, wenn Männer
wie Häckel in theologicis mitreden und Unfinn zutage
fördern. Was foll man aber fagen, wenn ein Theolog
folch' verworrene Sätze zu Papier bringt, die die ele-
mentarften Urteile und Kenntniffe vermiffen laffen! ,Der
Weg zum Vater' — ein Buch, in welchem ein Leben
Jefu in freier Form geboten wird — beginnt fofort mit
dem Satze: ,Der freundliche Lefer wolle fich und uns
die Freiheit gewähren, von keiner Theologie irgend
welcher Art etwas zu wiffen'. L. meint dies wohl zunächft
fo, daß er von allen theologifchen Sätzen über Jefus ab-
fehen wolle. Das ift gewiß zu billigen. Aber jener Satz
im allgemeinen Sinne genommen beherrfcht fein ganzes
Buch. Er belehrt uns zwei Seiten weiter, daß ,Bücher,
wie fie jetzt maffenhaft (?) auftreten, mit dem Titel: „Das
Leben Jefu", nicht unbedenklich feien, fo chriftlich fie gemeint
fein mögen. DieLebensbefchreibung Jefu als folche
hat für uns wenig Wert. Seine Gefinnung, fein Geift, die
Art feiner Entwicklung, das ift für uns bedeutfam' (S. 13).
Hat L. eines jener Bücher gelefen? Wenn ja, wie kann
er behaupten, daß darin von dem, was er als ,bedeutfam'
bezeichnet, nichts ftehe? So von aller Rückficht auf die
gelehrte Forfchung entbunden, geht er an feine Aufgabe.
Seine Quelle ift natürlich die Bibel. Von der alten
Infpirationstheorie ift L. frei geworden (vgl. Leben und
Wahrheit S. 84 und Weg zum Vater S. 4830".). Aber
dabei handhabt er die biblifche Quelle gänzlich fo, als
gäbe es keine hiftorifche Betrachtungsweife der Schrift.
Das tut er abfichtlich. ,Heute herrfcht die hiftorifch-
kritifche Bibelauffaffung vor. Unbeftritten die gründlichfte,
aber auch die langweiligfte. Hoffentlich verfinkt fie auch
bald. Sie kann einem das Bibellefen am gründlichften
verleiden' (Weg zum Vater S. 493). Alfo die gründlichfte,
d. h. doch wohl die fachlichfte, richtigfle; aber weil fie
für L. langweilig ift, wird fie zur Seite geworfen. Ift das
berechtigt? L. redet foviel von dem Wirken Gottes in
der Gefchichte — wenn nun die Wiffenfchaft mit heißem
Bemühen das gefchichtlich Wirkliche, alfo Gottes Wege
und Walten ans Licht ziehen will, ift es gewiffenhaft,
darüber mit dem Urteil: Langweilig! zur Tagesordnung
überzugehen, um dafür munter darauf los zu exegefieren
und die Uberlieferung zu deuten, als befitze man von
fich aus den Schlüffel der Wahrheit? Freilich, L. weiß
alles: er weiß, wie Jefus die Fifchnetze des Petrus gefüllt,
wie er Waffer in Wein verwandelt, wie er geheilt hat.
Nicht daß L. an diefen Wundern fefthält, mache ich ihm
zum Vorwurf, fondern die verächtliche Art, mit der er
andere, wiffenfchaftliche Erklärungsverfuche abweift, und
die Sicherheit, mit der er feine Meinung vorträgt. Wie
erklärt L. das Kanawunder? Jefu Gedanken ftanden
offenbar im Vater. In Gott aber hat die gegenwärtige
Erfcheinungsform des Stoffes keinen ewigen Beftand. Die
Erfcheinung des Stoffes ift abhängig von unferen Sinnen.
Der Stoff an fich wird unbedingt beherrfcht durch den
Geift, dem er Entftehung und Beftand verdankt. Vom
Geifte aus gefehen ift weder Waffer noch Wein, noch
irgend etwas von unabänderlicher Bedeutung. Für die
Sinne find's Stoffe, die gewiffen chemifchen Gefetzen, die
aber auch den Sinnen ihre Wefenheit verdanken, unterworfen
find. Für den Geift nicht. Für den Geift ift
etwa das augenblicklich finnlich Wahrnehmbare ein Gottesgedanke
, der fich gerade fo zum Ausdruck bringt. Aber
in Gott ift der Gedanke nicht unbeweglich, und weffen
Geift in Gott ruht, deffen Gedanken find lebendige Kräfte,
denen der Stoff gehorcht, wie er dem Vater gehorcht. .. .
Steht der Menfch unter dem Gefetz der Sinne, fo fleht
er hier vor einem unerklärbaren Wunder und Widerfinn.
Denkt und lebt er in Gott, fo fieht er die wahre Natur
des Stoffes und beherrfcht fie gottgemäß und ift nicht
gebunden an das Gefetz der Sinne, denn er ift frei in
Gott. Jefu fchweigendes Denken .... ftellte innerlich
diefen Zufammenhang mit dem Vater her und ward fich
der alles beherrfchenden Gegenwart Gottes bewußt.
Darum ward Waffer wirklicher Wein, weil der Gedanke
des Befehlenden vorgedrungen war bis zum letzten Grunde
des Seins. Auch ein Naturgefetz war nicht aufgehoben
worden, es war nur das verborgene Sein offenbart worden,
das der bloß finnlichen Erkenntnis verfchloffen ift' (Weg
zum Vater S. 183 f.). So, nun find wir belehrt und haben
zu fchweigen.

Diefe Disziplinlofigkeit, diefe theologifche Unbildung
(womit nicht gefagt ift, daß L. nicht allerlei Kenntniffe
hat), diefes ftarke Maß von Selbftfchätzung, worauf die
Schriftftellerei L.s beruht, bedauere ich um fo lebhafter,
als L. tatfächlich oft fehr gute Gedanken hat, die wert
find, ausgefprochen zu werden. Aber einem gebildeten
Lefer wird die Freude daran verleidet, am meiften aus
den eben genannten Gründen. Wie anders ift — um
einen Gegenpol gegen L. zu nennen — etwa Robertfons
I religiöfe Schriftftellerei!

Gießen. Drews.

Fahrner, Prof. Dr. Ignaz, Geschichte der Ehescheidung im
kanonischen Recht. I. Teil: Gefchichte des Unauflös-
lichkeitsprinzips und der vollkommenen Scheidung
der Ehe im kanonifchen Recht. Freiburg i. B. 1903,
Herder. (XII, 340 S. gr. 8.) M. 5.—

Nach des Verfaffers Abficht foll die vorliegende
Untcrfuchung den erften Teil einer größeren hiftorifchen

| Darfteilung des gefamten Scheidungswefens im kano-

| nifchen Recht bilden. Zur Rechtfertigung feines Unternehmens
hebt er hervor, daß trotz tüchtiger und anerkennenswerter
Arbeiten auf diefem Gebiete es doch an
einer Monographie fehle, welche den gefchichtlichen
Werdegang der vielverzweigten Rechtsfrage in ihrem
ganzen Umfang zum Gegenftand hätte. In der Tat find
wir dem Verf. für feine Unterfuchungen zu großem Danke
verpflichtet. Derfelbe entwirft mit gründlicher Genauig-

1 keit und wiffenfchaftlicher Schärfe ein Gefamtbild der

i Entwickelung des Unauflöslichkeitsprinzips, wie es bisher
in folcher umfaffenden Vollftändigkeit noch nicht

: gegeben war. Dabei trägt er in richtiger Erkenntnis,
daß die materielle und formelle Seite des Ehefcheidungs-
rechts in gegenftitiger Abhängigkeit und Wechfelwirkung
flehen, dem Ehefcheidungsverfahren Rechnung und be-
rückfichtigt demgemäß bei den einzelnen Zeitabfchnitten
zugleich den jeweiligen Stand der Gefetzgebung und
Jurisdiktion in Ehe- und Scheidungsfachen. Allerdings
vertritt Verf. den ftreng römifchen Standpunkt, der fich

I durch das ganze Werk hindurchzieht; doch nimmt er
wenigftens auf die Auffaffung der Gegner Rückficht und
läßt diefelben zu Worte kommen, wennfchon er naturgemäß
ihre Anflehten verwirft. Von diefem feinem
Standpunkte aus find auch die wiederholt fich findenden
Angriffe und Vorwürfe gegen Luther und die Reformatoren
erklärlich.

Um in großen Zügen einen kurzen Uberblick über
den reichen Inhalt des Werkes zu geben, fei Folgendes
hervorgehoben. Verf. geht davon aus, daß bei den
Trägern der antiken Kultur, den Römern, Griechen und
Juden, äußerft laxe Anfchauungen bezüglich der Feftig-

I keit des Ehebandes herrichten. Demgegenüber habe