Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1904 Nr. 10

Spalte:

304-305

Autor/Hrsg.:

Dörries, Bernhard

Titel/Untertitel:

Die Botschaft der Freude. Ein Jahrgang Evangelien-Predigten 1904

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

3°3

Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 10.

304

rifche Überficht der Hauptpunkte der hiftorifchen,
prophetifchen oder poetifchen Lektion. Diefen leitenden
Grundgedanken find ausführende, erklärende oder begründende
Anmerkungen beigegeben. In der Regel teilt
dann der Verf. einen aus dem betreffenden Werk entlehnten,
befonders charakteriftifchen Bibelabfchnitt nach der trefflichen
Überfetzung von Segond mit. Die kurzen Fragen,
die den Schluß jeder Unterrichtsftunde bilden, haben
zum Zweck, noch einmal die wefentlichen Gefichtspunkte
zu vergegenwärtigen und dem Gedächtnis des Schülers
einzuprägen.

In der Verwertung der religionsgefchichtlichen Er-
gebniffe der gegenwärtigen Forfchung ift K. fehr maßvoll
und zurückhaltend. Er zieht nur diejenigen Daten heran,
die wohl als geficherte Refultate bezeichnet werden
dürfen. Was den didaktifchen und pädagogifchen Wert
des Büchleins betrifft, fo wird die Erfahrung und der
Gebrauch darüber entfcheiden, inwiefern der Verf. das ihm
vorfchwebende Ideal verwirklicht hat. Freilich kommt
in diefer Beziehung auch lehr viel auf die Perfönlichkeit
des Lehrers an, der den hier gegebenen Winken folgen
wird. Denn an eine fklavifche Abhängigkeit von feinem
Leitfaden hat K. felbft nicht gedacht. Er möchte, daß
die Kinder in einem zweijährigen Kurfus mit dem alten
Teftament bekannt gemacht werden: das fcheint ihm das
Minimum der auf diefen Gegenftand zu verwendenden
Zeit. Im erften Jahr müßte der Gefamtftoff in elementarerer
Form, überfichtlich und lebendig, mitgeteilt werden; hie-
bei wäre befonders von den Bibelfprüchen und den
längeren Texten Gebrauch zu machen. Im folgenden
Jahre müßte derfelbe Gegenftand, nur eingehender und ausführlich
, behandelt werden, wobei dann vornehmlich die
Anmerkungen zu voller Geltung kommen könnten. Ob
diefer Doppelkurfus fo empfehlenswert ift, als der Verf.
es anzunehmen fcheint, mag bezweifelt werden: wird
das Intereffe das zweitemal noch frifch und lebendig
fein? Ift nicht anderfeits zu befürchten, daß manche
Abfchnitte über das Verftändnis der erften Lefer hinausgehen
, deren Alter der Verf. fich offenbar noch fehr wenig
vorgerückt denkt, da er ihnen einen noch in Ausficht
geftellten Elementarkurfus beftimmf.

Einzelbemerkungen könnte man felbftverftändlich in
Menge aufführen. Ift eine einzige Stunde für die Jofeph-
gefchichte nicht zu knapp bemeffen? Der Betrachtung
Arnos' follen drei Stunden, dem Studium des Jefajas fünf,
dem Jeremias drei gewidmet werden. Daß Hofea gar
nicht in Betracht kommt, ift religionsgefchichtlich nicht
zu rechtfertigen; die Schwierigkeiten, die fich pädagogifch
der Behandlung des Stoffs zu widerfetzen fcheinen, find
gewiß nicht unüberwindlich. — Der erfte Schöpfungsbericht
findet in der 37. Stunde als erftes Stück des
Priefterkodex unter den traditions religieuses des Juifs
an retour de l'exil feinen Platz: es ließe fich darüber
ftreiten, ob dann nicht auch andere Überlieferungen
mitzuteilen wären. Daß unter den aus dem alten Tefta-
mente entlehnten Abfchnitten Jefajas 53 keine Aufnahme
gefunden hat, muß befremden und kann wohl nicht gebilligt
werden.

Es hieße indeffen den wefentlichen Fortfehritt verkennen
, den diefe Schrift darfteilt, wenn man fich durch
vereinzelte Ausftellungen dazu verleiten ließe, den Hauptzweck
und den Grundcharakter diefer ,Histoire sainte'
aus den Augen zu verlieren. Der Verfuch des Ver-
faffers, eine Frucht ernfter Studien und reifften Nachdenkens
, hat fich zwar noch durch die Erfahrung zu bewähren
, er ift aber bereits jetzt mit aufrichtigem Dank
zu begrüßen als erfter Schritt auf einem Weg, den wir
nicht nur in dem Religionsunterricht unferer Kinder,
fondern auch bei der Erziehung und Unterweifung unferer
Gemeinden einzufchlagen haben. Durch die Klarheit,
mit welcher K. die dem Proteftantismus geftellte Aufgabe
erkannt hat, durch die Tapferkeit, mit welcher er an die
Löfung derfelben herangetreten ift, hat er fich um Kirche

; und Schule, um Religion und Wiffenfchaft ein bleibendes
Verdienft erworben.

Straßburg i. E. P. Lobftein.

Dörries, Paft. Bernhard, Die Botschaft der Freude. Ein

Jahrgang Evangelien - Predigten. Göttingen 1903,
Vandenhoeck & Ruprecht. (VI, 538 S. gr. 8.)

M. 5.20; geb. M. 6.—

Nach 7 Jahren hat der Verf. auf fein erftes Predigtwerk
: ,Das Evangelium der Armen' (vgl. Th. Lt. Ztg.
1897 Sp. 57f.) das zweite unter dem bezeichnenden Titel:
,Die Botfchaft der Freude' folgen laffen. Bezeichnend, —
weil die Freude am Evangelium, infonderheit die bewundernde
und erhebende Freude an der Perfon Jefu der
Grundton aller Predigten ift. Den Glauben Jefu, die unbedingte
Gewißheit und Kühnheit feines Glaubens, feine
| weltüberwindende, das Leben Gottes offenbarende Liebe,
j den Siegeszug feines Geiftes durch die Gefchichte, das
| Walten und Wirken feines Geiftes auch unter einem ihn
j felbft verkennenden Gefchlecht den Hörern vor Augen zu
[ malen, hat der Prediger als feine Aufgabe erfaßt, zu
I deren Erfüllung er feine reichen Gaben und feine ganze
Perfönlichkeit einfetzt. Es liegt ihm an, den Herrn nahe
und deutlich erkennbar an feine Hörer heranzurücken,
ihnen Jefus zu zeigen als Erlöfer und Heiland für ihre
Gegenwart, ihre Nöte, Kämpfe, Sorgen wie für Sicherung
ihrer fittlichen Perfönlichkeit und ihres häuslichen und
öffentlichen Wohles. ,Ich pflege mir die Gefchichten des
I Evangeliums gern fo zu denken, daß fie ihre unmittelbare
Geltung auch für unfere Gegenwart, für die Nöte und
j Bedürfniffe unferes Lebens behalten', heißt es S. 379.

Aber auch feine Hörer rückt er dem Herrn näher; er
I zeigt ihnen, daß fie das Befte, was fie haben, was jedes
redlichen Menfchen Freude und Gegenftand feiner Ach-
J tung ift, Jefu verdanken, daß fein Geift es ift, der im
,unbewußten Chriftentum', um mit R. Rothe zu reden,
die nicht erkannte und doch wirkliche Triebkraft bildet.
Der Prediger will dem Gedanken wehren und derStimmung
entgegenarbeiten, als ob die Hörer, die aus irgendwelchen
Gründen intellektuell mit der herrfchenden Form kirchlichen
Chriftentums zerfallen find, nun auch fich faktifch
von Chriftus losgefagt hätten; das alte Anima naturaliter
christiana wird hier ergänzt durch die Betonung der Tatfache
, daß fie Kinder des 20. chriftlichen Jahrhunderts
find und unter den Segnungen einer neunzehn Jahrhunderte
umfaffenden Wirkfamkeit Chrifti in ihrem äußern
und innern Leben flehen. Der Satz: ,ihr könnt nicht
groß genug von euch denken', wird oft dem Sinne nach
wiederholt, ftets in einem Zufammenhange, der jede Verlockung
zur Selbftüberhebung ausfchließt. Unter dem
trefflich gewählten Text Pred. 711: ,Sprich nicht: was
ift's, daß die vorigen Tage beffer waren denn diefe? denn
du fragft folches nicht weislich' wird in der Neujahrspredigt
,die gute alte Zeit' der Gegenwart gegenüber-
geftellt, die laudatio temporis acti wird als unberechtigt
erwiefen und vertrauensvoller Lebensmut zur Erfüllung
der Aufgaben der Gegenwart den Herzen eingeflößt.

Auf die Sache kommt es dem Verf. ausfchlitßlich
an. Von der richtigen Erwägungaus, daß unfere Schätzung
j Chrifti nicht von der vorangehenden Schätzung der hl.
I Schrift abhängig fei, fondern umgekehrt: unfere Schätzung
| der hl. Schrift abhängig von unferer Schätzung Chrifti,
wahrfcheinlich auch unter Berückfichtigung feiner der
Schriftkenntnis und der Schriftverehrung fehr entfremdeten
Gemeinde läßt der Verf. die Exegefe des Textes außerordentlich
ftark zurücktreten, um nur ein einzelnes Wort
(z. B. v. 33 aus dem Text Luc. 21 25-30), oder eine allgemeine
Vorfrage (z. B. über die Möglichkeit und Tat-
fächlichkeit der Wunder in der 60. Predigt), oder einen
dogmatifchen Anftoß (z. B. ,der Jungfrauenfohn' in der
I 25. Predigt, über Luc. 1 26-38), oder aus einer Reihe von