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Ausgabe:

1904 Nr. 10

Spalte:

298-299

Autor/Hrsg.:

Laemmer, Hugo

Titel/Untertitel:

De Caesaris Baronii literarum commercio diatriba 1904

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 10.

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koft nicht bemeffen gewefen zu fein, der Kaftellan von
Woerden berechnet für Wendelmut Claesdochter pro Tag
3 Stüber — ob da nicht noch Manches in die eigene
Tafche gefloffen ift? Nicht minder intereffant ift die
Rechnungsablage des berühmten Inquifitors Franz van
der Hulft über feine zweijährige Wirkfamkeit November
1521 bis 1523 (S. 261 ff.). Er hat insgefamt zu fordern
2293 Pfund 6s. 3d. und hat auf kaiferlichen Befehl hin
auch den Betrag empfangen. Es find unter den Einzel-
poften auch Summen für den bekannten Löwener Pro-
feffor Jac. Latomus und Plochftraten in Köln. Uns Deut-
fche intereffiert wohl befonders der Porten: ä Henry van
den Brauche cepier des prisons dudit Bntxelles pour /es
despens de bouchc des trois augustins, dont /es dein furent
executez par le feit, et de leurs confesseurs, XXVs. öd.
Demfelben pour /es despens du moine augustin non execute
et condempne a pain et eau du Premier jour de juillet 1523
au premier de mars enssuyvant, a ladevant d'un pattart
par jour 12 Pfd. 4s. (S. 265 vgl. 266 die Notiz über die
Inventaraufnahme von Cornelius Hoen). Es fei gleich
hier bemerkt, daß über diefen dritten Antwerpener Augu-
rtiner, Lambert Thoren, vielleicht in einem Rechnungsauszug
vom 15. Sept. 1528 eine Notiz fich findet, nach
welcher er erft damals, ohne gebeichtet zu haben, hingerichtet
worden wäre (bei Fr. S. 360). Sicher ift allerdings
die Deutung des fambrechte den augustyii auf
Lambert Thoren nicht, aber, wie Fr. fehr umfichtig erläutert
, durchaus möglich.

Was die Ausbreitung der Ketzerei betrifft, fo find
ihre Hauptfitze die Klöfter (vgl. S. 89, 120, 243 u. ö.),
Beginenhöfe (vgl. S. 8, 11, 41, 45, 69, 151) und auch wohl

ketzerifcheLiederbücher werden wiederholt befchlagnahmt
(vgl. S. 148, 155 u. ö., Hoop-Sch. 397).

Unter den Strafen der Ketzerei begegnen außer der
Hinrichtung Durchbohrung der Zunge, am Pranger flehen,
Aufheften eines Kelches mit Hoftie vorne und hinten auf
dem Kleid, Bußfahrt nach Wilsnack u. a. (vgl. S. 154, 176
u. ö.). Grundlage der Verurteilung find zumeift die Lektüre
ketzerifcher Bücher, Verachtung der Hoftie, Schmähung
der Maria und der übrigen Heiligen. An derber Polemik
hat es dabei nicht gefehlt: Ghy acht God als een fluyt-
maker, coopmanneken oft appeldwaes, als ghy die heyligen
begheert voer een Christofel oft voersprake, fagt ein Angeklagter
(S. 53). Der Amfterdamer Rat fchreitet aber
auch gegen falfche Denunzianten ein (S. 32 und 227); fehe
ich recht, fo find diefe beiden Fälle fingulär und erklären
fich aus der zweifelhaften Stellung des Rates gegenüber
den kaiferlichen Wünfchen (f. darüber Hoop-Scheffer 542,
Fr. 219h vgl. 192, wofelbft Beziehungen zwifchen Amfter-
dam und Deutfchland erwähnt find). Intereffant ift die
Notiz über das Verbot der Tyndalfchen englifchen Bibel-
überfetzung in Antwerpen, wofelbft Hans van Roermonde
fie druckte (Fr. S. 184ff).

Deutlich machen fich fchon die Anfänge des Täufer-
tums bemerkbar, David Joris und die Loiften (vgl. S. 81 ff.,
107, u6ff., 349, die betr. Urkunden find aber fchon von
Frederichs bez. Nippold mitgeteilt); auch in dem Men-
nonitenftammfitz Witmarfum regt es fich (S. 304). Fehlgegriffen
aber hat Fr. mit feiner Deutung der Vaudoiserie
in verfchiedenen Urkunden (S. 178, 182h, 213, 217, 249,
252, 255). Das find keine Waldenfer, wie Fr. meint, fondern
Hexen. Wie Hänfen in feinen ,Quellen und Unter-

das Fraterhaus zu Duisburg (vgl. S. 89, 166, 248, 335); fuchungen zur Gefchichte des Hexenwahns'nachwies, wer

von dort gehen die Boten aus, teils neue Conventikel
ftiftend, teils alte ftärkend. Dann trägt der kaufmännifche
Verkehr zur Verbreitung bei, als Kaufmann vermummt
zieht wohl der Ketzer einher (vgl. S. 339). Diefer Verkehr
unterhält auch die Verbindungen mit dem Ausland;

den in den Ländern franzöfifcher Zunge feit dem 15. Jahrh.
die Zauberer und Hexen als Vaudois, Vaudoises bezeichnet
(a. a. O. S. 408fr.). Nun find die von Fr. auf Waldenfer
gedeuteten Urkunden fämtlich franzöfifch, mitunter

(z. B. S. 213) flehen sortiere et vaudoise zufammen, und

fehen (S. 58), daß das Band mit Nürnberg noch ge- i von einer diefer angeblichen Waldenferinnen heißt es: que
knüpft ift, Cornelis Wouters war in Goslar (S. 198, 224fr.). plusieurs avoient este malades, perdut leurs enffans et
Und wie einft zu Dürers Zeit find auch jetzt noch die 1 bestes par eile (S. 213) — alfo zweifellos eine Hexe und

Malerkreife für die Reformation empfänglich (f. die in
tereffanten Mitteilungen S. 233!. vgl. 238). Die Formen
der Evangeliumsverkündigung find abgefehen von der
privaten mündlichen Befprechung die Predigt auf der
Kanzel — daher das Verbot bei offenen Türen zu predigen
—, Anfchläge von Zetteln an die Beichtftühle (vgl.
S. 105) und der Büchervertrieb. Von Lutherfchen Schriften
werden genannt: Vom Greuel der Stillmeffe (t'Gru-
wel ofte stilte der misse ofte canon misse vgl. S. 162),
welche Schrift 1526 in den Niederlanden bekannt wurde,
de captivitate babylonica (S. 47); feine Vaterunferauslegung
ift wohl gemeint unter liet Pater noster mitter gloesen
(S. 72), und auf fein Konto kommt die Ausbreitung der
Duytsche theologie und het Nye Testament mitter gloesen
(S. 72). Und ob nicht unter den zekere bouexkens van
Sinte Pouwels epistelen geprent by Doen Pietersz auch
Lutherfche Schriften flecken? Oder unter den Sermones
testamenti novit (S. 47). Von Melanchthon werden genannt
: Annotationes in evangelium Johannis, eiusdem in
evangelium Mathei cum scoliis non ineruditis et in epis-
tolam Pauli ad Galatas commentarius (S. 162). Ohne
nähere Beftimmung werden noch erwähnt Bücher von
Pomeranus (Bugenhagen), Carlftadt, Melanchthon, Öcolam-
pad, Franz Lambert, Jonas (S. 208 vgl. 146 und dazu
Hoop-Scheffer 364fr.). Auf das klägliche Fiasko, das Eck
mit feiner Schrift: Enchiridion locorum communium ad-
versus

Zauberin. An fich wäre ja ein Waldenfertum möglich
(vgl. H. Haupt: Huff. Propaganda S. 192 Anm., 269, Stellen,
auf welche der Herr Verf. mich gütigft hinwies), aber der
Text fchließt fie aus. Intereffant ift das Fortleben der
Sekte der Tänzer, obwohl der betr. Brieffchreiber fie nicht
lelbft gefehen hat (S. 190). Und endlich verdient ange-
fichts der Tatfache, daß Johann v. Leiden in diefen Zirkeln
verkehrte, Beachtung, daß man in S'Gravenhage ein Vorgehen
gegen die Kederijkers für nötig gehalten hat
(S. 324). —

Mit dem aufrichtigen Danke an den Herrn Verfaffer
diefes Bandes verbinden wir nochmals den Wunfch nach
einem analogen Werke für Deutfchland.1

Gießen. Köhler.

Laemmer, Hugo, De Caesaris Baronii literarum commercio
diatriba. Freiburg i. B. 1903, Herder. (VIII, HO p.
gr. 8.) M. 3.-

Ungedruckte oder auch fchon gedruckte, aber fchwer
zugängliche Briefe, entweder von Caefar Baronius verfaßt
oder an ihn gerichtet, werden in diefem, merkwürdigerweife
lateinifch gefchriebenen Büchlein von Lämmer
mitgeteilt und mit paffenden Erläuterungen verfehen. Es
find fehr intereffante Beiträge zur Gelehrtengefchichte
Lutheranos machte (vgl. S. 226, 231, 306), hatte des 6- Jfh^.*e,rts n'cht nur, fondern auch zur Kennt-
doop-Scheffer rs hinliefen Daß Luthers nis der katholifchen Frömmigkeit jener Zeit, die hier

geboten werden. Die Briete des Baronius an feine Eltern,

fchon Hoop-Scheffer (S. 399) hingewiefen. Daß Luthers
Sendbrief ,an alle die lieben Chriften in Holland, Brabant
und Flandern'(1523) feine Wirkung getan, zeigt der Anfang
des Liedes auf den Märtyrertod des Jan Piftorius van
Woerden: ,Nu heffen wy een nieu liet aeiP (S. 78). Die
Liederproduktion ift überhaupt fehr reichlich gewefen,

1) Inzwifchen hat Kalkoff (Die Anfänge der Gegenreformation in
den Niederlanden; Schriften des Ver. für Ref.-Gefch. Nr. 79) jenes erde
Mandat von 1520 (s. oben) nach allen Seiten hin beleuchtet. Es sei
darauf verwiefen.