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Ausgabe:

1904 Nr. 10

Spalte:

286-288

Autor/Hrsg.:

Heitmüller, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Taufe und Abendmahl bei Paulus 1904

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 10.

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aijid (lov als fpäterer Spezialifierung doch wohl ftaunen
darf bei einem Forfcher, der mit Pfleiderer das Abendmahl
Jefu aus dem Bedürfnis ableitet, .(ich noch einmal
mit den Seinen aufs engfle zufammenzufchließen, mit
ihnen einen Treubund zu fchließen'.

Nur gegen einen Beflandteil der Hoffmann'fchen
Vorftellung (vgl. Spitta) muß ich nach wie vor den
fchärfflen Proteft erheben: die Eskamotierung des Todesgedankens
bei Jefu aus der Feier. In diefem Punkte
werde ich unbelehrbar bleiben. Die grundfätzliche Erklärung
Hoffmanns, die richtige Auffaffung von jenem
großen gefchichtlichen Akt hänge allein von der richtigen
Chriftologie ab, ift, obfchon er dabei einige recht
wäfferige Brocken austeilt, mehr ein Ungefchick des Ausdrucks
, er meint Richtiges: ftatt Chriftologie das fonft
durch die unbefangen als Gefchichtsquellen benützten
Evangelien uns dargebotene Bild von Jefus. Dies Bild
fcheint mir nun bei H. etwas ftillos zu fein, einerfeits
Befitz .einer einzigartigen und zwar der höchft denkbaren (!)
Gotteserkenntnis', anderfeits ganz die populär-jüdifche
Anficht vom Meffias als einem Menfchen und von feinem
Reich und eschatologifche Schwärmerei. .Gerade dies,
daß Jefus das Eintreten des Reiches Gottes unmittelbar
bevorftehend glaubte, unterfchied ihn von feinen Zeit-
genoffen' — alfo ein, wie H. offen zugibt, durch fein
Schickfal als Illufion erwiefener Glaube — ,und gab ihm
die gewaltige Kraft feines Glaubens und feiner Predigt'

— •— 1 1 1 ,1 TT . ■

er bei jenem letzten Paffamahl finnbildlich mit feinen
Jüngern fchloß, brauchte fchwerlich gefchloffen zu werden
am Vorabend der glänzenden Reichserrichtung, er war
die Feftlegung eines einzigartigen Verhältniffes auch für
eine Zeit, wo dies völlig zerftört fcheinen mochte: ohne
Gedanken an eine Trennung von den Seinen, die dicht
bevorftand, kann ich fo wenig das Wort Mc. 14, as wie
die von Jefus veranftaltete Feier 14, 32-24 begreifen.

In Wahrheit wird dadurch an Hoffmanns Konftruktion
der Urgefchichte des Abendmahls nichts Grundwefent-
liches geändert; er kann fich die vorgefchlagenen Korrekturen
aneignen, ohne feine Pofition zu verfchlechtern:
was er im Übrigen über Jefus, Paulus und andere Ge-
ftalten der älteften Kirche fagt, nötigt zum Widerfpruch
viel mehr, als das unmittelbar mit feinem Thema Zu-
fammenhängende: diefes hat durch ihn eine fehr ver-
dienftliche und felbftändige Beleuchtung erfahren.

Marburg i. H. Ad. Jülich er.

Heitmüller, Priv.-Doz. Lic. W., Taufe und Abendmahl bei
Paulus. Darfteilung und religionsgefchichtliche Beleuchtung
. Göttingen 1903, Vandenhoeck & Ruprecht. (56 S.
gr. 8.) M. 1.20

Aus dem im Frühjahr 1903 vor dem wiffenfehaftlichen
Predigerverein in Hannover und Braunfchweig gehaltenen
(S 51) In°unferer Frage ift maßgebend, daß H. die | Vortrag über die neuteftanientliche Sakramentslehre teilt

Abendmahlsfeierausfchließlich in ,großerSiegesgewißheit' J der Verf. in vorliegender Schrift feine Ausführungen über

von Jefus vorgenommen fein läßt und jede Wahrnehmung
von wehmütiger Abfchiedsftimmung dabei durch Andere
als Zeichen von Gefühllofigkeit verdammt. Jefus ift von
feiner Kataftrophe vollftändig überrafcht worden. Er
war in Jerufalem einmal fchwankend geworden, oder
richtiger enttäufcht worden, als das Volk ihn dort nicht,
wie er erwartet hatte, als dem Meffias ftürmifch zufiel;
um fo fefter baute er nun auf Gottes Eingreifen, der jetzt

die paulinifche Lehre mit. Dadurch will er einen Beitrag
zur Löfung eines Problems liefern, das er im Anfchluß
an Kählers Schrift über ,die Sakramente als Gnadenmittel'
in folgender Weife formuliert: .Nicht das ift die wichtigftc
Frage, ob die reformatorifche Schätzung der Sakramente
noch zu Recht befteht (fo Kähler), fondern diefes:
befteht ihre biblifche Schätzung noch zu Recht?' (7).
Was zunächft die Taufe betrifft, fo ftellt H. der ,in

feinen Meffias als Herrfcher über fein Volk einfetzen j liberalen theologifchen Kreifen weit verbreiteten' (14), auch
mußte: auf der Höhe diefes Glaubens (!) zeigt ihn das von Beyfchlag (16) vertretenen fpiritualifierenden Anletzte
Mahl, das in diefem Sinne eine Glaubenstat ift. fchauung, die in diefer Handlung nur ein Symbol zu
Mc. 14, hs beftätigt diefen eschatologifchen Glauben Jefu erblicken vermag, eine .realiftifche' (10) Interpretation
(ich werde von nun an vom Gewächs des Weinftocks 1 gegenüber, nach welcher die Verbindung mit Chriftus die

nicht mehr trinken ufw.) aufs deutlichfte; denn diefes
Wort enthält halb ein Gelübde halb eine Zeitbeftimmung,
etwa: ehe wir wieder zufammenfitzen, ift das Reich da!
Mc. 14, 3-11 erzählt nach H. die Salbung Jefu zum
Meffias durch eine enthufiaftifche Jüngerin: von v. 8 ganz
abzufehen, ftört ihn das großartige Wort v. 7 ,Arme habt

Mitteilung des Geiftes, die Abwafchung des Schmutzes
der Sünde, die Befreiung von den Mächten der Finfternis
tatfachliche Wirkungen des Taufbades find. Diefe der
,bleichfüchtigen Karrikatur' (20) paulinifcher Vorftellung
prinzipiell widerfprechende Deutung entfpricht der Ge-
famtanfehauung des Apoftels, nach welchem die ethifch-

e

Ihr allezeit bei Euch, mich aber nicht allezeit' fo wenig ; religiöfen Vorgänge nicht ohne naturhafte Grundlage
in feiner chriftologifenen Gewißheit von Jefu Illufion, wie (10. 17. 19. 21) denkbar find, vielmehr mit Hilfe ,phyfifch-
hn das ,ich werde Wein nicht mehr trinken, bis ich ihn | hyperphyfifcher' (20) Kategorien befchrieben werden (fo
neu trinke mit Euch*, auf den Gedanken führt, daß fo z. B. die Begriffe xvevua, dvai h XniOtcö, 18_20). Damit

nur Jemand fpricht, der eine Trennung vor Augen hat, j ift allerdings eine Inkongruenz zwifchen der Schätzung
im andern Fall ein ,Wir'oder nachv. 23 etwa ein ,Ihr' das ; der Taufe und der zentralen Stellung des Glaubens ge-
Selbftverftändliche wäre. Und wenn nun trotz diefer geben; diefe Inkongruenz muß aber überall hervortreten,
Siegesgewißheit Jefus doch, wie die Gefchichte von den wo eine an fich rein geiftige perfönliche Erfaffung des
zwei Schwertern Lc. 22, 3« beweifen foll (z. B. S. 9) fich , religiöfen Verhältniffes fich verquickt mit eigentlich kul-
vor Meuchelmord fchützen, d. h. ,nach Möglichkeit' feinen j tifchen Handlungen; zum Teil ift fie pfychologifch-hifto-
Tod abwenden wollte: ift er dann noch mehr als ein bloß ; rifch wohl daraus zu erklären, daß Paulus das Taufgrenzenlos
verblendeter und naiver Mahdi? Hier hindert fakrament nicht felbft gefchaffen. fondern in der Gemeinde

mich nicht eine Chriftologie fondern die Pfychologie mit
H. zu gehen. _ Ein Jefus, felfenfeft von der unmittelbaren
Nähe feiner Einfetzung zum meffianifchen König
überzeugt, ja von Siegesluft überfchäumend, und zugleich
mit Angft vor Meuchelmördern erfüllt, dann aber wieder

. ° - . . . ,T i ■ _____ _____: ci------. .

fchon vorgefunden hat (23).

Diefelbe realiftifche Erklärung gibt H. von der pau-
linifchen Auffaffung vom H. Abendmahl. Schon die auf
Brot und Kelch des Abendmahls anzuwendenden Bezeichnungen
ßgräfia jtVEVfiarixov und jibua xvEvuarixöv (1 Kor

völlig beruhigt durch den Nachweis von zwei Schwertern | 10,3-4) zwingen zu einer folchen Deutung Diefelbe wird
in den Händen feiner Getreuen — folch ein Mangel an ; auch allein der zweiten Hälfte des 10 Kapitels vom 1
Intelligenz, an Urteil, an Klarheit ift doch gar zu groß! Korinth. gerecht, in welcher Paulus vor der Teilnahme
Ein richtiges Moment in H.s Stellung verkenne ich nicht, an den heidnifchen Opfermahlzeiten warnt Die in Z
die Todesgewißheit Jefu pflegt enorm übertr.eben zu | Herrenmahl fich vollziehende xoivmvia mit "dem erhöht
werden; er ift nicht nach Jerufalem gezogen, um da
zu fterben, und fieghaft mag ihm auch in Jerufalem noch
manchmal zu Mute gewefen fein. Aber der Bund, den

en

Chriftus ift als eine durchaus reale zu begreifen. — Mit
diefem mKap. 10 dargeftellten fakralen Effen und Trinken
ftimmt nun allerdings die Anfchauung von Kap. 11 nicht