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Ausgabe:

1904 Nr. 9

Spalte:

268-270

Autor/Hrsg.:

Heidemann, Joseph

Titel/Untertitel:

Papst Clemens IV. Eine Monographie 1904

Rezensent:

Walter, Johannes

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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 9.

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ausgebildete Syfteme des Wirtfchaftslebens finden; daLi
wir ihnen aber keineswegs eine Einficht in wirtfchaft-
liche Dinge abfprechen dürfen. Zuerft handelt der Verf.
von dem wirtfchaftlichen Anfchauungskreis des Evangeliums
und des Urchriftentums: von einer einheitlichen
fyftematifchen Regelung des Wirtfchaftslebens ift eben-
fowenig die Rede, wie von einer allgemeingültigen und
jedem Einzelfall gerecht werdenden Wirtfchaftslehre
(S. 29). S. bekämpft hier befonders die Anfchauung, als
könne fich der moderne Kommunismus auf das Ur-
chriftentum berufen. Aber feit dem Ausgang des apofto-
lifchen Zeitalters entwickelt fich mit der Herausbildung
fetter kirchlicher Formen in der Stellung der chriftlichen
Gemeinde zu den Inftitutionen des Erdenlebens ein
Dualismus, der in niemand greifbarere Geftalt angenommen
hat, als in Tertullian und ähnlich in Clemens von Alexandrien.
Ihre und in Zufammenhang damit die wirtfchaftlichen [
Anfchauungen des Cyprian und Origenes werden im
2. Kap. dargelegt. Aber auch das dritte Jahrhundert
brachte weder in Afrika noch in Ägypten eine Löfung
der Wirtfchaftsfrage innerhalb der chriftlichen Lehre.
Die chriftlichen Schriftfteller des 4. Jhs. ftellen eine Reaktion
dar gegen das Wirtfchafts- und Sozialleben des j
4. Jhs. (3. Kapitel). Lactanz hat die Platonifche Staatsidee
zuerft in bewußter Weife in die Gefellfchaftslehren der
chriftlichen Denker hineingetragen und kommt wießafilius
von Cäfarea und Chryfoftomus zu kommuniftifchen Gedanken
, während Gregor von Nazianz zu der gemäßigten
ethifchen Betrachtungsweife des Clemens von Alexandrien
zurücklenkt. Während nun feit der Mitte des 4. Jhs. die
kommuniftifchen Tendenzen in der kirchlichen Theorie I
bedeutend fefter Wurzel faffen, hat Auguftin die Gegen-
fätze, die das 4. Jh. bewegten, Mönchtum und Weltkirche J
und ebenfo Kirche und Staat zu verföhnen gefucht, aber !
nur indem er den Staat der Kirche unterordnet und alle
menfchlichen Betätigungen verkirchlicht. Er ift der erfte
foziale Utopift des Mittelalters, der für ein foziales Ideal
kämpft, das notwendig kommen wird.

Mit Recht hat der Verf. durchweg auf die afketifche
Tendenz, genauer gefprochen auf das Mönchtum als
einen die wirtfchaftlichen Anfchauungen der kirchlichen
Männer beftimmenden Faktor hingewiefen; doch hätte er,
meine ich, hier noch etwas eingehender berichten können,
namentlich die ägyptifchen Bildungen genauer charakte-
rifieren müffen. Ebenfo würde wohl eine Erfcheinung wie
der Manichäismus mannigfache Auskunft über die Bewegung
der wirtfchaftlichen Gedanken geben.

Halle a. S. G. Ficker.

Sommerlad, Theo, Wirtfchaftsgefchichtliche Unterfuch-
ungen. II. Heft: Die Lebensbeschreibung Severins als
kulturgeschichtliche Quelle. Leipzig 1903, J. J. Weber.
(V, 74 S. gr. Lex. 8.) M. 2.—

Diefes Schriftchen wird der vita Severini gewiß neue
Freunde gewinnen. Es will die für die Tätigkeit des
Heiligen maßgebende kirchliche und wirtfchaftliche
Situation [Noricums im 5. Jahrhundert], infofern fie fich
eben in der vita offenbart, aufhellen (S. 3). Darum werden
befonders ausführlich die kirchlichen Zuftände, die
Kirchenverfaffung, das Mönchtum und die wirtfchaftlichen
Zuftände Noricums befprochen. Daneben aber ift auch
den auf die Herkunft Severins und feine Lebensfchick-
fale bezüglichen Fragen die Aufmerkfamkeit zugewendet
und alles, was kulturgefchichtlich wertvoll erfcheint, befprochen
, fo z. B. die Angaben über die Schmiedekunft
der Germanen, wobei auf eine merkwürdige Parallele zu
der Wielandsfage hingewiefen wird; über die in der vita
erzählten Wunder ufw. Inbetreff der kirchlichen Zuftände
wird Sommerlad erinnert an diejenigen der alten Kirche,
ja bis zu einem gewiffen Grade fogar an diejenigen der
nachapoftolifchen Zeit, die fich in Noricum erhalten

hätten (S. 35); doch verhehlt er fich nicht, daß die darauf
weifenden Notizen eine folche Deutung auch bloß deswegen
zulaffen können, weil andere Notizen fehlen. Das
Severinifche Mönchtum nimmt eine Mittelftellung zwifchen
dem älteren Anachoretentum und dem fpäteren Klofter-
wefen ein (S. 43). Inbetreff der Herkunft vertritt S. die
Anfchauung, daß Severin aus Afrika flammte; er möchte
ihn mit dem 437 wegen feines orthodoxen Bekenntniffes
vertriebenen (von Profper von Aquitanien genannten)
Bifchof Severianus identifizieren. Aus inneren Gründen
möchte es Sommerlad wahrfcheinlich finden, daß er nach
Kleinafien gegangen fei und fich dort dem Mönchtum
des Bafilius angefchloffen habe, bevor er, früheftens 454,
nach Noricum kam. Das ift natürlich möglich, läßt fich
aber nicht erweifen. S. reiht Severins Perfönlichkeit mehr
in den Anfang des Mittelalters, als in den Ausgang des
Altertums ein, und es ift keine Frage, daß fich fchon
manche mittelalterlichen Züge bei ihm finden.

Halle a. S. G. Ficker.

Heidemann, Jofeph, Papst Clemens IV. Eine Monographie.
I. Teil: Das Vorleben des Papftes und fein Legations-
regifter. (Kirchengefchichtliche Studien. Herausgegeben
von Knöpfler, Schrörs, Sdralek. VI. Band.
IV. Heft.) Münfter i. W. 1903, H. Schöningh. (VIII,
248 S. gr. 8.) M. 5.60

Wenn der Verfaffer, auf den Rat Sdraleks von der
Bearbeitung des Pontifikats Clemens' IV. einftweilen ab-
fehend, dem Vorleben diefes Papftes eine eingehende
Unterfuchung gewidmet hat, fo hat er damit das Richtige
getroffen. Denn in doppelter Hinficht ift diefes Vorleben
von Intereffe. Einmal führt es uns in die dem
Albigenferkreuzzug folgende Zeit, in welcher die franzö-
fifche Regierung fich die Vermittelung des zwifchen dem
Norden und Süden Frankreichs klaffenden Gegenfatzes
zum Ziele fetzte. In den Dienft diefes Friedenswerkes
hat fich der Schilderung H.s zufolge Guido Fulkodi —
diefes der urfprüngliche Name des Papftes — geftellt.
Nachdem der junge Jurift bereits in Paris die Augen des
Hofes auf fich zu lenken gewußt hatte, trat er in den
Dienft Raimunds von Touloufe und fand dann unter
Alfons von Poitou und Ludwig IX. als clerc enqueteur
Verwendung. Als folcher hatte Fulkodi damals vor
allem für die Reftituierung der von königlichen Beamten
widerrechtlich angeeigneten Güter zu forgen. Der Tod
feiner Frau veranlaßte den berühmten Juriflen, in den
geiftlichen Stand zu treten. Alsbald wurde er Bifchot
von Le Puy und dann Erzbifchof von Narbonne. Auch
in diefen Stellungen hat er vorwiegend auf juriftifchem
Gebiete gearbeitet. Die Quaestiones quindecim ad in-
quisitores, die fich mit der Regelung der Befugniffe der
Inquifitoren befchäftigen, flammen von ihm. Aus diefer
Tätigkeit heraus wurde er zum Kardinalbifchof von
Sabina berufen.

Gleich die erfte Aufgabe, die an ihn herantrat, war
— wir kommen zum 2. Abfchnitt — eine Legation nach
England. Hier follte er in den ebenfo verwickelten wie
intereffanten Verhältniffen, die die Erhebung des Adels
unter Simon von Montfort gefchaffen hatte, die Rechte
des Papftes wahren. Sein Auftreten fällt gerade in die
Zeit nach der Schlacht bei Lewes, in welcher König
Heinrich III. unterlegen war und fich auf die Magna
Charta und die fog. Oxforder Provisionen hatte verpflichten
müffen. Die Verhältniffe follten in einem
definitiven Frieden geregelt werden. Ehe es dazu kam,
griff der Legat ein, und zwar, den Spuren der bisherigen
päpftlichen Politik folgend, im Intereffe der Aufrechterhaltung
der Macht des Königs. Daß der englifche
Adel unter diefen Umftänden von der Tätigkeit des
Legaten nicht viel erwartete, ift verftändlich. Der Londoner
Frieden wurde ohne ihn gefchloffen, ja man ver-