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Ausgabe:

1904 Nr. 8

Spalte:

243-244

Autor/Hrsg.:

Schulmann, C.

Titel/Untertitel:

Die Volksschule vor und nach Luther 1904

Rezensent:

Knoke, Karl

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Seite 1

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243

Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 8.

244

und der Angabe des hymn. XII 7: Percussa quam pom-
pam tulit auszugleichen, behauptet der Verf., daß der
Ausdruck percussa nicht gegen die Todesart der Enthauptung
fpreche, und daß cervicem inflectere allgemein
,den Martertod erleiden' bedeute, ohne daß damit etwas
über die Todesart gefagt werden folle. Ob folche Har-
monifierung vor einem philologifchen Forum beftehen
kann?

Von S. 641 an läßt der Verf. in Kap. 4 einen Exkurs
über einige fprachlicheErfcheinungenfolgen; in Kap. 5 wird
das Versmaß in den von ihm für echt gehaltenen Hymnen
erörtert, in Kap. 6 wird die Behauptung anderer, in den
Hymnen fände fich viel Alliteration, zurückgewiefen.
Von S. 65 1 an folgen 2 Anhänge, deren erfter den Text
der behandelten 14 Hymnen darbietet, während der
2. Anhang textkritifche Bemerkungen anfchließt. Uber
den poetifchen Wert der Hymnen fchweigt der Verf.;
und doch fcheint mir in diefer Beziehung ein fehr großer
Unterfchied zwifchen den erften 4 allgemein als echt
anerkannten Hymnen und den 10 andern, die der Verf.
ebenfalls für echt hält, obzuwalten. Den Dichterruhm
des Ambrofius können diefe 10 Hymnen nicht vermehren,
vielleichthymn.V: Splendorpatemaegloriaeausgenommen,
obgleich auch er nicht an die Höhe der erften 4 Hymnen
hinanreicht. Im Intereffe des Ambrofius follte man
wünfchen, wenn anders ein folcher Wunfeh bei literar-
hiftorifcher Unterfuchung überhaupt zulälfig ift, daß der
Beweis der Echtheit jener 10 Hymnen nicht zu führen fei.

Marburg. E. Chr. A che Iis.

Schulmann, Dr. C, Die Volksschule vor und nach Luther.

Eine hiftorifche Studie. Trier 1903, Paulinus-Druckerei.
(107 S. gr 8.) M. 1.—

Der Verfaffer fagt Seite 90 diefer Schrift: ,Es ift
ein auffallender Zug katholifcher Gelehrten (fo), daß
fie ein offenes Auge und ein nicht durch Partei-
rückfichten getrübtes Verftändnis für fremde Leiftungen
haben'. Nach diefem Maßftabe gemeffen wird er felbft
nicht den Anfpruch erheben wollen, unter die katholifchen
,Gelehrten' gezählt zu werden, denn feine Darftellung
verrät fo gut wie nichts von einem offenen Auge für
die pädagogifchen Leiftungen der führenden Geifter
außerhalb feiner Kirche, ftrotzt dagegen von einer
geradezu fanatifchen Parteilichkeit für die vermeintlichen
Großtaten diefer Kirche auf dem Gebiete der Pädagogik.
Aber auch ohne Anwendung jenes Maßftabes muß ihm
bezeugt werden, daß er auf den Namen eines ,Gelehrten
' keinen Anfpruch machen kann. Er will uns
über ,die Volksfchule vor und nach Luther' berichten.
Von den 106 Seiten feiner Schrift handeln mehr als
zwei Drittel überhaupt nicht von der ,Volksfchule',
fondern von dem, was man etwa die Xateinfchule' des
Mittelalters und des 16. Jahrhunderts nennen könnte,
und das Stichwort ,Luther' auf dem Titel erklärt fich
nur daraus, daß er Gelegenheit nimmt, von Seite 52 bis
77 Martin Luther in einer Weife zu verunglimpfen, daß
er fich mit diefer Leiftung nicht als der letzte in die
Reihen der Ritter von der traurigen Geftalt ftellt, die
feit zwei Jahrzehnten gegen diefen Heros ankämpfen
ohne zu merken, daß fie auf Granit beißen. Ift fchon
diefe Differenz zwifchen dem Titel und dem Inhalte der
Schrift nicht ein Zeichen ihrer Wiffenfchaftlichkeit, fo
ift das, was fie wirklich über die Gefchichte der Volksfchule
bietet, völlig belanglos. Wer die fogenannte
Schulordnung der Landpfarrei von Bigge für ein
hiftorifch.es Dokument aus dem Jahre 1270 halten kann
trotz der ihm bekannt gewordenen unwiderlegten Gründe
ihrer Unechtheit, wie es der Verfaffer Seite 22 mit
,offenen Augen' und ohne mit der Wimper zu zucken
getan, begibt fich damit des Rechtes, in Sachen der
Gefchichte der Volksfchule mitzureden. Was das Buch

an richtigen Angaben, wenn auch in fchiefen Schlußfolgerungen
enthält, ift aus längft bekannten Quellen
entnommen und wird in der von Janffen, den ,Hiftorifch-
polit. Blättern, und dem ,Katholiken' inaugurierten Weife
der Gefchichtsdarftellung geboten. Neues erfahren wir
nicht, aber wir find der Meinung, daß es fich mehr
der Mühe verlohnt, die von Dr. Schulmann benützten
Darftellungen feiner Gewährsmänner zu ftudieren, als fich
mit diefem Abfud aus ihnen zu ennuyieren. Aus jenen
kann man wenigftens indirekt etwas lernen, aus diefem
lernt man rein gar nichts. Wie naiv diefer Dr. Schulmann
ift, mag man an einem einzigen Beifpiele erkennen.
Seite 86 lefen wir: ,das Eine ift gewiß, daß das Schul-
wefen unmittelbar nach der Reformation in katholifchen
Gegenden ohne Vergleich beffer war, als in den
meiften proteftantifchen Gebieten', und Seite 100 heißt
es von Don Bosko, der 1842 den Orden der falefianifchen
Schulbrüder ftiftete: ,das edle Herz des jungen Priefters
fühlte fich zum innigften Mitleiden gerührt beim Anblick
der armen Kinder, welche von allen Seiten herbei-
geftrömt, ohne Unterricht und Erziehung in den
Straßen Turins herumirrten'. Bekanntlich hat auch Homer
bisweilen gefchlafen. Es ift gut, daß das auch den
ultramontanen Gefchichtsfchreibern trotz ,offner Augen'
unter Umftänden paffiert. In folchem Zuftande des
,Hellfehens' entfehlüpft ihnen auch einmal ein Wort der
Wahrheit, und wir andern haben dann eine erwünfehte
Gelegenheit, ihnen das mit aller Aufrichtigkeit zu bezeugen
, wie folches hiemit bezüglich der Schulzuftände im
katholifchen Turin 300 Jahre nach Luther pflichtfchuldigft
gefchieht.

Göttingen. K. Knoke.

Berichtigung.

In Nr. 3 hat Herr Prof. Lobftein mein Schriftchen ,Der Offenbarungsglaube
im Streit über Babel und Bibel' rezenfiert. Er fragt, warum
ich nicht bei rein religiöfer Wertung der Offenbarung flehen bleibe.
Aus einem Satz fcheint ihm nämlich hervorzugehen, daß mir ,der Offenbarungsgedanke
ein empirifcher Begriff iß, den wir mit den Mitteln der
Weltwiffenfchaft feftftellen können'. Ich habe darin (S. 39) als eine Un-
fertigkeit unferes theologifchen Offenbarungsbegriffs beklagt ,eine merkwürdige
Unklarheit über die Erkennbarkeit von Taten Gottes in der Gefchichte
'. Aus den folgenden drei Sätzen, von denen der Herr Rezenfent
felbft den zweiten und dritten billigend anführt, geht aber deutlich hervor
, daß ich meine, man follte fich doch über die empirifche Unerkenn-
barkeit von Taten Gottes in der Gefchichte klar fein. Ich bleibe natürlich
dabei flehen, daß der Offenbarungsgedanke kein empirifcher Begriff
ift, den wir mit den Mitteln der Wiffenfchaft feftftellen können.

Leipzig. Thieme.

Ich darf wohl Herrn Profeffor Thieme erwidern, daß ich ihn nicht
ohne Weiteres zu den Theologen gezählt hatte, die ,den Offenbarungsgedanken
als einen empirifchen Begriff betrachten, den wir mit den
Mitteln der Weltwiffenfchaft feftftellen können'. Ich hatte, im Anfchluß
an den von ihm zitierten Ausfpruch, nur von Schein gefprochen, und
gewiffenhaft die Sätze angegeben, die dazu angetan find, diefen Schein
zu zerftreuen. Ich Helle indeffen gerne feft, daß auch diefer Schimmer,
den ich felbft mit Hilfe des Contextes zu befeitigen fuchte, einer optifchen
Täufchung entfprang, deren Verantwortung mir zur Laft fällt, die mir
aber vielleicht nicht paffiert wäre, wenn die inhaltlich fo intereffante
Schrift des Herrn Verfaffers fich formell durch tadellofe Klarheit auszeichnen
würde.

Straßburg i. E. P. Lobftein.

Erwiderung.

Ich laffe mir gern eine fcharfe Rezenfion gefallen, aber dann muß
fie auch wohl begründet fein. Daß Herr Preufchen eine ausfuhrlichere
Berücksichtigung des Milieu wünfehte, kann ich begreifen. Daß aber
Herr Preufchen völlig unbegründete Vorwürfe erhebt, ich hätte die chro-
nologifchen Beftimmungen Vallarfis keiner gründlichen Revifion unterzogen
, weife ich zurück. Wie unbefonnen die Kritik Preufchens an meinen
Anfätzen ift, obwohl er mein Buch vor 2'/2 Jahren zur Rezenfion erhalten
hat, möge ein für die Chronologie des Hieronymus wichtiges Beifpiel
zeigen. H. Preufchen behauptet auf ep. 108.6 hin, daß Paula im Frühjahr
383 nach dem Orient gereift fei, während Hieronymus erft 385 folgte.
Dies ift fchon deshalb ganz unmöglich, weil Hieronymus in dem ficher
nach dem Tode des Damafus d. h. 385 gefchriebenen Brief an Afella
ep. 45,7 Paula als noch in Rom befindlich grüßt. Hätte Preufchen ep.
1.08,6 genauer gelefen, fo hätte er gefunden, daß dort nur von einer