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Ausgabe:

1904 Nr. 7

Spalte:

206-207

Autor/Hrsg.:

Bacher, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Die Agada der Tannaiten. 1. Bd.: Von Hillel bis Akiba. 2., verb. u. verm. Aufl 1904

Rezensent:

Schürer, Emil

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205

Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 7.

206

Rietsch, Vikar Jof, Die nachevangelischen Geschicke der
Bethanischen Geschwister und die Lazarusreliquien zu

Andlau. Straßburg 1902, F. X. Le Roux & Co. (59 S.
gr. 8.) M. —.90

Von den ,nachevangelifchen Gefchicken der Betha-
nifchen Gefchwifter' ift in diefer gelehrten Unterfuchung
nicht viel die Rede; fie handelt im Wefentlichen über
,die Lazarusreliquien zu Andlau', deren Echtheit fie als
,höchft wahrfcheinlich' zu erweifen fucht. Die im J. 1789
fäkularifierte Fürftabtei Andlau im Elfaß, ein hochange-
fehenes und reichbegütertes Stift für adelige Damen, war
eine Gründung und zugleich die Lieblingsftätte der h.
Kaiferin Richardis, der Gattin Karls des Dicken (S. 42).
Die Abtei rühmte fich, die Gebeine des Lazarus zu Deutzen
, welche ihre Gründerin Richardis auf einer Paläftina-
Reife vom Kaifer Leo VI. als Gefchenk erhalten und
nach der Heimat gebracht habe. Die Gebeine find nach
der Säkularifation abhanden gekommen, aber im J. 1860
bei der Reftaurierung der Kirche hinter dem Muttergottesaltar
, zwifchen der Kirchenmauer und dem Mauerwerk
des Altars, wieder aufgefunden worden. Wie es
bei vielen Heiligen-Reliquien geht, fo ift leider auch
diefer wertvolle Belitz des Stiftes Andlau nicht unbe-
Itritten. Auch die Kirche von Autun in Süd-Frankreich
macht Anfpruch darauf, den Leichnam des Lazarus zu
befitzen. Nach einer füdfranzöfifchen Legende follen
nämlich die Juden gelegentlich der in der Apoftelgefchichte
11, in erwähnten Chriftenverfolgung die beredteften Zeugen
der Wundermacht und der Auferftehung Chrifti, den hl.
Lazarus famt defifen Schweflern Magdalena und Martha
und einigen anderen Heiligen auf ein von Rudern und
Segeln entblößtes Fahrzeug gefetzt haben, um fie fo den
Stürmen des Meeres und einem fichern Tode preiszugeben
. Gottes Hand habe jedoch das Schiff in den
Hafen von Marfeille geleitet; unverfehrt fliegen die hl.
Bekenner ans Land und bekehrten unter niegefehenen
Wundern die ganze Gegend. Die Gebeine der hl. Magdalena
werden heute teils in Paris (Eglise de la Made/eine),
teils in St. Maximin verehrt; die der hl. Martha finden
fich in Tarascon, die des hl. Lazarus in Autun (S. 5 f.).
— Der Verf. unterfucht nun das Alter diefer Legende
und zeigt mit erfchöpfender Gründlichkeit, im Anlchluß
an Duckesne, Fastes episcopaux de l' ancienne Gaule 1894
(vgl. Theol. Litztg. 1895, 177), wie fpät fie auftritt und
wie fchwach begründet der Anfpruch Autuns auf den
Befitz der Lazarus-Reliquien ift. Nicht unwahrfcheinlich
ift feine Vermutung, daß die Lazaruslegende auf die
Tatfache zurückzuführen ift, daß fchon lange vor dem
Auftreten derfelben die Kathedrale von Autun einem
franzöfifchen Märtyrer St. Nazarius geweiht war (S. 18).
Der Gleichklang des Namens fcheint die neue Legende
erzeugt zu haben. Der kritifche Geift, über deffen Walten
man fich bei diefer Unterfuchung freut, verläßt aber den
Verf., fobald er fich nun dem Anfpruch feines heimatlichen
Stiftes Andlau zuwendet. Diefer foll viel beffer
begründet fein, denn er werde dadurch geftützt, daß tat-
fächlich zur Zeit des Kaifers Leo VI die Gebeine des
Lazarus aus Kitium in Cypern nach Konftantinopel gebracht
worden feien (S. 30ff). Diefe cyprifchen Reliquien
feien ,mit moralifcher Wahrfcheinlichkeit' als echt zu
bezeichnen; und die Andlauer Reliquien hinwieder ,höchft
wahrfcheinlich' mit den von Leo übertragenen identifch
(S. 52 f.). Tatfächlich zeigt die eigene Unterfuchung des
Verf., daß die Andlauer Anfprüche nicht beffer begründet
find als die von Autun. Es mutet den protellantifchen
Lefer feltfam an, zu fehen, wie ein mit exquifiter Gelehr-
famkeit, ja mit allem Rüftzeug moderner Wiffenfchaft
ausgerüfteter und mit mufterhafter Gründlichkeit arbeitender
Forfcher feine reichen Mittel in den Dienft einer fo
haltlofen Sache Hellt.

Der letzte Abfchnitt (S. 53—56) handelt über die
Schweftern des Lazarus und die anderen Marien des N.

T. Der Verf. verwirft die Identifizierung der Schwefter
des Lazarus mit der Sünderin Luc. 7, 37, glaubt aber die
Tradition von der Identität der Sünderin mit der Magdalena
,als hiftorifch bezeichnen zu können'. In den biblio-
graphifchen Nachweifen über die Frage nennt er manche
Literatur, die für proteftantifche Lefer neu fein dürfte.

Göttingen. E. Schürer.

Bacher, Prof. Dr. Wilhelm, Die Agada der Tannaiten.

Erfter Band. Von Hillel bis Akiba. Von 30 vor bis
135 nach der gew. Zeitrechnung. Zweite verbefferte
und vermehrte Auflage. Straßburg 1903, K. J. Trübner.
(X, 496 S. gr. 8.) M. io.-

Bacher, Prof. Dr. Wilhelm, Die Agada der Tannaiten und
Amoräer. Bibelftellenregifter. Nebft einem Anhange:
Namen-Regifter zur Agada der babylonifchen Amoräer.
Straßburg 1902, K.J. Trübner. (V, 95 S. gr. 8.) M. 3.—

1. Über die I. Aufl. von Bachers ,Agada der Tannaiten'
(2 Bde. 1884—1890) habe ich in der Theol. Litztg. 1885,
105 und 1891, 117 berichtet. Die Notwendigkeit einer
zweiten Auflage, deren erfter Band hier vorliegt, ift ein
erfreulicher Beweis dafür, daß das Werk in weiten Kreifen
Eingang gefunden hat. Man darf hoffen, daß zu diefem
Leferkreis auch chriftliche Theologen in erheblicher Anzahl
gehören und daß die neue Auflage dazu dienen wird,
dem überaus gediegenen und inhaltreichen Werke immer
mehr Lefer zuzuführen. Bacher verfügt nicht nur über
eine Vertrautheit mit der talmudifchen Literatur, wie fie
felbft bei jüdifchen Gelehrten feiten ift, fondern auch
über eine wiffenfehaftliche und exakte Methode, wie fie
in diefen Kreifen noch feltener ift. — Die wefentlichfte
Bereicherung der neuen Auflage befteht in einem Anhang
, welcher in erweiterter deutfeher Bearbeitung zwei
Abhandlungen bietet, welche früher in englifcher bez.
franzöfifcher Sprache erfchienen find, nämlich 1) ,Der
Urfprung des Wortes Haggada' S. 451—475 (zuerft in
The Jewish Quarterly Review IV, 1892, p. 406—429,
vgl. meine Gefcb. des jüd. Volkes IL1 S. 339), und 2)
,Die Agada als einer der drei Zweige der alten jüdifchen
Traditionswiffenfchaft' [neben Midrafch und Halacha]
S. 475—489 (zuerft in Revue des etudes juives t. XXXVIII,
1899, p. 211—219). Beide zeichnen fich durch Klarheit
und Sicherheit der Beweisführung aus. Im Übrigen bemerkt
der Verf. über das Verhältnis der neuen Auflage
zur vorigen: ,Das Werk habe ich lörgfältig durchgefehen
und die in ihm dargebotenen Einzelheiten, wo es nötig
war, berichtigt und ergänzt, aber auch mit einer großen
Menge neuer Einzelheiten bereichert. In den Anmerkungen
habe ich vielfach Hinweife auf den zweiten Band, fowie
auf die „Agada der paläftinifchen Amoräer" hinzugefügt.
An der Struktur des Werkes im Ganzen glaubte ich nichts
ändern zu dürfen'.

2. Nach Vollendung feiner ,Agada der Tannaiten'
hat Bacher das noch umfangreichere Werk über ,Die
Agada der paläftinenfifchen Amoräer' (3 Bde. 1892—1899]

j folgen laffen. Vorhergegangen war fchon 1878 das
kürzer gehaltene über ,Die Agada der babylonifchen
Amoräer'. Auf alle drei Werke bezieht fich das oben-
I genannte .Bibelftellenregifter', mit welchem Bacher feine
j mehr als zwanzigjährige Arbeit gekrönt hat. Der Wert
i diefes Regifters erhellt aus der Sache felbft. Man findet
I hier alle Bibelftellen nachgewiefen, über welche irgend
einer der Tannaiten oder Amoräer eine haggadifche Erläuterung
gegeben hat. Allerdings — und darin liegt
die Schranke des ganzen Werkes — hat Bacher überhaupt
nur diejenigen haggadifchen Ausfprüche und
Lehren behandelt, für welche in der rabbinifchen Literatur
ein beftimmter Autor als Gewährsmann genannt
j wird, aber nicht das weite Gebiet der anonymen Haggada.
i Es wäre eine Gabe vom höchften Werte, wenn er Zeit