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Ausgabe:

1904 Nr. 7

Spalte:

199-202

Autor/Hrsg.:

Heitmüller, Wilhelm

Titel/Untertitel:

„Im Namen Jesu“. Eine sprach- und religionsgeschichtliche Untersuchung zum Neuen Testament 1904

Rezensent:

Deissmann, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 7.

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bunte Welt der Wirklichkeit verborgen liegt. Soll das
fprachliche Argument ganz ficher aus dem ,Bereich der
Phantafie' herausführen, in welchem nach S. die bisherigen
Löningen des joh. Problems fich bewegen, fo muß man
mit den mannigfachen Abwandlungen rechnen, welche
die Sprache der im Ausland lebenden Juden erfahren konnte
und ficher erfahren hat. Das Griechifch, das in den ver-
fchiedenen, weit auseinanderliegenden Gebieten der Dia-
fpora gefprochen wurde, war doch kein ganz gleichmäßiges.
Der Grad der Aramaifierung der griechifchen Sprache im
Munde der Juden dürfte z. B. in Syrien im allgemeinen ein
größerer gewefen fein, als in F.lein-Afien oder in Hellas.
Aber auch perfönliche Unterfchiede werden fich auf
diefem Boden geltend gemacht haben. Die Differenzierung
vollzog fich nach Anlage und Begabung, nach den Familien-
verhältniffen, der fozialen Stellung ufw. Auch unter den
gebildeten Diafporajuden dürfte nur der allergeringfte Teil
einer griechifchen Schreibweife fähig gewefen fein, wie
diejenige des Philo oder auch des Jofephus. Wenn es
aber wahr ift, wie S. behauptet, daß auch ,ein Paläftinenfer
ein elegantes Griechifch lernen konnte oder doch in das
populär Griechifch fich einleben konnte', fo ift auch das
Gegenftück nicht zu beftreiten, daß ein auswärtiger Jude
ein ftark judaifierendes Griechifch handhaben konnte. Da
war der Einfluß feines Elternhaufes, zumal, wenn die Eltern
felbft erft als Erwachfene ins Ausland gezogen waren,
oder der Unterricht in der jüdifchen Schule, der in der
Hauptfache auf Juden befchränkte Verkehr, die Predigt
in der Synagoge u. a. beftimmend. Diefe Einflüffe waren
zumeift noch nachhaltiger, als die Lektüre derSeptuaginta,
mit der man gern operiert. Aus all diefen Organen tönte
dem Betreffenden ein von jüdifchem Empfinden und
jüdifcher Auffaffung durchfetztes Griechifch entgegen. Daß
das Vulgärgriechifch der femitifchen Denkweife näher
ftand als das klaffifche, reicht nicht hin zur Annahme,
daß die Judenfchaft der Diafpora es unverändert fich
angeeignet hätte. Gerade weil es dem Semitismus ein
Stück entgegenkam, wird er es weiter deformiert und ein
mannigfach nüanciertes und abgeftuftes Judengriechifch
erzeugt haben. Im Laufe der Generationen allerdings
wird bei manchen Diafporajuden die fprachliche Annäherung
an die xoivrj fich eingeftellt haben. Müßte man
aber von den eigentlichen Diafporajuden ganz abfehen,
könnte nicht auch ein im aramäifchen Sprachgebiet,
im jüdifchen Lande aufgewachfener Chriftgläubiger nach
vollendetem Bildungsgang feinen Wohnfitz verlegt und
das Evangelium fpäter in der neuen Heimat geichrieben
haben? Paläftina könnte dann wohl noch als der
Nährboden der Sprache des Werkes angefehen werden,
wie flände es aber mit der Heimat feiner Ideen und Vor-
ftellungen?

Gießen. Baldenfperger.

Heitmüller, Lic. theol. Priv.-Doz. Wilhelm, „Im Namen
Jesu". Eine fprach- und religionsgefchichtliche Unter-
fuchung zum Neuen Teftament, fpeziell zur altchrift-
lichen Taufe. (Forfchungen zur Religion und Literatur
des Alten und Neuen Teflaments, herausgegeben von
Wilhelm Bouffet und Hermann Gunkel. I. Band, 2.
Heft.) Göttingen 1903, Vandenhoeck & Ruprecht.
(X, 347 S. gr. 8.) M. 9.-

Von einer alten, durch unzählige Hände gegangenen
und von den Jahrhunderten abgegriffenen Goldmünze
fucht ein Kenner Bild und Umfchrift erfter Prägung zu
deuten. Wir blicken ihm über die Schulter und fehen
bald, mit welcher Sorgfalt und mit welcher Liebe er
arbeitet, und wenn wir zuletzt die volle Deutung vernehmen
, drücken wir dem geduldigen, bis ins Kleinfte
treuen Forfcher dankbar die Hand.

Heitmüller hat fich mit feinem Buche aufs vorteil-
haftefte in die Reihe der neuteftamentlichen Philologen

eingeführt. Die Arbeit zeugt ebenfo fehr von fprach-
und religionswiffenfchaftlicher Gelehrfamkeit, wie von
fprachlichem und religiöfem Feingefühl, und mit alledem
von einer beträchtlichen Begabung des Verfaffers für die
Interpretation religiöfer Texte. Wir dürfen fie als eine
bedeutfame Förderung unferer Kenntnis des Urchriften-
tums bezeichnen und find der Meinung, daß die Bouffet-
Gunkelfchen ,Forfchungen' durch fie in glücklicher Weife
inauguriert worden find. Hinzugefügt fei, daß auch der
Stil gut und der Druck fehr forgfältig ift.

Das Buch zerfällt in zwei Teile, einen fprachgefchicht-
lichen und einen religionsgefchichtlichen.

Der fprachgefchichtliche Teil unterfucht die Bedeutung
der Wendungen ßctjtxi&iv (soO-ai) sv, sstl xä> 6v6-
ftari und slg xb bvofia. Heitmüller zeigt hier feine volle
Vertrautheit mit Forfchungsmaterial und -methode der
neueren gräziftifchen Wiffenfchaft. Jeder dogmatiftifchen
Einfchnürung der biblifchen Philologie abhold, fammelt
er feine zuverläffig wiedergegebenen fprachlichen Obfer-
vationen auf dem ganzen großen Gebiete der griechifchen
Welt der Diadochen- und Kaiferzeit; die Infchriften, Papyri
und fonftigen nichtliterarifchen Texte diefer Zeit find ihm
ebenfo bekannt, wie die Septuaginta. Dabei fleht er in
derjenigen Frage, bei welcher fich zur Zeit noch die meifte
Befangenheit und Unklarheit geltend macht und die dringend
einer völligen Neubearbeitung bedarf, ich meine die
Semitismenfrage, auf dem Boden einer ebenfo nüchternen
wie zielbewußten Theorie. Namentlich die Art, wie er
die Septuaginta ausbeutet, hat meinen vollen Beifall. In
der Einzelexegefe verrät er faß. überall einen ficheren
Sinn für das Charakteriftifche und, bei aller Noblefle in
der Form der Kritik, einen guten Inftinkt für die exege-
tifchen Schwächen fogar der Ordinarien. Die Ergebniffe
diefes Teiles, die fich in der Hauptfache wohl bewähren
dürften, find die folgenden (S. 127): Das griechilche N. T.
bietet für taufen im Namen drei Wendungen. Die Phrafen
ßaJtxLC,siv sv und leii xä> ovbfiaxi bieten eine Befchreibung
des Vorgangs der Taute: fie befagen, daß das Taufen fich
Vollzieht unter Nennung des Namens Jefu. BajixiC,siv slg
xb ovofia dagegen gibt einen (bezw. den) Zweck und
einen (bezw. den) Erfolg des Taufens an: es befagt, daß
der Täufling in das Verhältnis der Zugehörigkeit, des
Eigentums zu Jefus tritt. Aber auch in ßasixiC,siv slg xb
ovoua'iü das Moment der Namennennung enthalten. Über
die Form diefer Nennung des Namens Jefu, die bei der
Taufe ftattfand, läßt fich für_ die altefte> Zeit nichts feft-
ftellen. Ob die Formel sv xä> ovoftaxt (Irjöov) oder eine
ähnliche rezitiert oder ob der Name Jefu einfach ohne
jedes Beiwerk ausgerufen wurde (was H. felbft offenbar
für am wahrfcheinlichften hält): jedenfalls handelt es fich
nicht um ein betende Anrede an Jefus, fondern um eine
Nennung des Jefusnamens. — Man wird diefes fchlichte
Refultat als eine befondere Wohltat empfinden, wenn man
fich der vielen Erklärungen erinnert, die den bvofia-For-
meln feither zu teil geworden find: jussu et auctoritate,
im Sinne, im Auftrage, auf Befehl, in Kraft, in Vertrauen
auf, im Glauben an, im Bekenntnis zu, im Geist, auf Grund
von, zur Verherrlichung, an Stelleufw. (vgl. Heitmüller S. 17).

Zum Zeichen meiner Dankbarkeit für das reiche von
Heitmüller beigebrachte fprachliche Einzelmaterial (be-
fonders für die Formel slg xb bvofia, die jetzt ganz klar
fein dürfte) möchte ich hier einige Ergänzungen geben.

Die Formel sv xm ovbficcxi (Heitmüller S. 47ff.) kann,
wie ich glaube, jetzt auch im außerbiblifchen Sprachgebrauch
belegt werden. Die Stelle aus dem aftrologifchen
Kalender des fpäten 2. Jahrhunderts nach Chriftus in den
Oxyrh. Papyri III (London 1903) Nr. 465 Zeile 170 xa sv
6vo[u]axi xdt ctstb avxcöv ctXXoi riyr)Oovxai möchte ich
zwar nicht geltend machen; fie ift fragmentiert und deshalb
unklar, zudem fehlt der Genitiv nach ovbftaxi. Aber
die folgende Zauberformel, die fchwerlich den Eindruck
chriftlicher Herkunft macht und auch für den Gebrauch
des Wortes äyysXoq von Intereffe ift, verdient jedenfalls