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Ausgabe:

1904 Nr. 6

Spalte:

185

Autor/Hrsg.:

Willareth, Otto

Titel/Untertitel:

Die Lehre vom Uebel in den grossen Systemen der nachkantischen Philosophie 1904

Rezensent:

Wendt, Hans Hinrich

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Seite 1

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i85

Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 6.

186

gnaden Gottes' noch die unter dem Pfeudonym ,Conrad
Reiß zu Ofen' ausgegangene ,Antwort dem hochgelehrten
Doct. Joh. Bugenhagen . . das Sacrament betreffend'
dem Karmeliter J. L. beigelegt werden darf; erftere gehört
in die Kreife der Vertreter der myftifchen Lehre
vom inneren Wort, letztere wird von Michael Keller verfaßt
fein (vgl. Roth in Beitr. z. bayr. KG V 152 und
Enders, Luthers Briefw. V 330, wo für das ficher falfche
Carolstadii, das Aurifaber bietet, wohl Cellarii zu lefen
ift). Ob aber nicht auch zwei Schriften in Sachen des Pro-
zeffes wider Arfacius Seehofer dem Augsburger J. L. beizulegen
fein werden, darüber vgl. Kolde in Beitr. z. bayr.
KG IX 47.

Breslau. G. Kawerau.

Willareth, Pfr. Lic. Dr. Otto, Die Lehre vom Uebel in den
grossen Systemen der nachkantischen Philosophie und
Theologie. Dargeftellt und beurteilt. Sand (Amt Kehl,
Baden), 1903, Selbftverlag. (128 S. gr. 8.) M. 3.—
In Jahrg. 1898 Nr. 24 der Th. Ltztg. habe ich die
frühere Schrift diefes Verf.'s angezeigt, welche die Lehre
vom Übel bei Leibniz, feiner Schule in Deutfchland und
bei Kant behandelte. Die damaligen Studien hat der Verf.
fortgefetzt, indem er in der jetzt vorliegenden Arbeit zur
Darftellung bringt, wie das Problem der Theodicee bei
Fichte, Schleiermacher, Schelling, Hegel, Schopenhauer,
Rieh. Rothe behandelt ift. Die Anerkennung, die ich der
früheren Schrift zollte, gebührt auch der jetzigen. Der Verf.
gibt eine felbftändige Unterfuchung, die fich nicht an der
Oberfläche hält. Er hat fleh in die Syfteme jener philo-
fophifchen und theologifchen Denker aus der erften
Hälfte des 19. Jahrhunderts vertieft, um aus ihrem Ganzen
heraus die befondere Art und Färbung der in ihnen vertretenen
optimiftifchen oder peffimiftifchen Anfchauung
zu verftehen. Er begnügt fleh aber auch nicht mit einer
bloß hiftorifchen Darftellung, fondern gibt zugleich eine
kritifche Auseinanderfetzung mit den dargeftellten An-
fchauungen. Die Schwächen, die ihm an den dargelegten
Theorien entgegentreten, werden ihm Beweisgründe dafür,
daß das Problem der Theodicee nur in einer beftimmten
Weife lösbar ift: in einer religiös-ethifchen teleologifchen
Anfchauung, welche die Übel als heilfame Mittel betrachtet
für die fittliche Erziehung des Menfchen, als Mittel,
um dem Menfchen feine fittliche Aufgabe und Kraft zum
Bewußtfein zu bringen. Daher begleitet er mit Sympathie
den optimiftifchen ethifchen Idealismus eines Fichte, der
die ganze Welt als Material für die menfehliche Pflicht
anfleht und den Zweck der Übel in ihrer Uberwindung
durch das fleh felbft beftimmende Ich findet; ebenfo die
Gedankenreihen bei Schleiermacher und Rothe, die zu
diefer ethifchen Teleologie ftimmen. Als unbefriedigend
dagegen beurteilt er die verfchiedenen Verfuche der fpe-
kulativen Philofophie und Theologie, eine kaufale Erklärung
des Übels in der Welt aus der urfprünglichen
Unvollkommenheit in Gott, im Abfoluten, zu geben. Durch
die Energie und Wärme, mit der der Verf. feine eigene
ethifche Pofltion, die auch ich für die richtige halte, immer
wieder zur Geltung zu bringen fucht, ift feine hiftorifche
Darlegung fehr lebendig und anziehend gemacht.

Die Arbeit hat der theol. Fakultät in Straßburg als
Promotionsfchrift vorgelegen. Die Pflichtexemplare der
Differtation enthalten aber nur ca. die Hälfte der ganzen
Arbeit. Die vollftändige Schrift ift im Selbftverlage des
Verf.'s (Pfarrer in Sand, Amt Kehl, Baden) erfchienen.
Ich bedauere, daß fie dadurch dem gewöhnlichen buch-
händlerifchen Vertriebe entzogen ift. Hoffentlich findet
die tüchtige, lehrreiche Arbeit trotzdem Beachtung.

Jena. H. H. Wendt.

Bau mann, Prof. Dr. J., Deutsche und ausserdeutsche
Philosophie der letzten Jahrzehnte dargestellt und beurteilt.

Ein Buch zur Orientierung auch für Gebildete.
Gotha 1903, F. A. Perthes. (VIII, 533 S. gr. 8.) M. 9.—

Wenn hervorragende Hiftoriker, wenn Denker wie
Lefflng der Meinung waren, das würdigfte Objekt der
Gefchichtsforfchung fei immer die Gegenwart oder
wenigftens die jüngfte Vergangenheit, welch große Teilnahme
darf da fpeziell eine Darftellung der neueften
Philofophie in Anfpruch nehmen! Gilt fie doch der
Disziplin, in der das ganze theoretifche Denken einer
Zeit zufammengefaßt zu werden pflegt. Wir befitzen
nun aber nicht fo viel gute einfehlägige Befchreibungen,
daß wir nicht jeden neuen Beitrag mit gefpannter Auf-
merkfamkeit bewillkommnen follten. Baumann darf alfo
a priori für das Thema, das er fich auserfehen hat, des
lebhafteften Intereffes gewiß fein.

Freilich gerät der Berichterftatter fofort in Verlegenheit
, wenn er auch nur etwas genauer den Inhalt des
Buchs fkizzieren oder Auskunft darüber erteilen foll,
wie die zu behandelnde Materie abgegrenzt und gegliedert
worden ift. Der Autor hat offenbar ebenfowenig
die Abficht gehabt, ein beftimmtes Prinzip bei der Auswahl
des Stoffs zu befolgen, als eine fyftematifche Anordnung
zu treffen. Es ift nicht an dem, daß er nur
die noch Lebenden unter den Denkern der letzten Jahrzehnte
berückfichtigt hätte; denn es werden auch folche
erwähnt und befprochen, die längft verftorben find. Man
darf aber auch nicht fagen, daß lediglich diejenigen
herausgegriffen worden feien, denen momentan noch befondere
Bedeutung zugefprochen werden kann; denn ■—
um nur ein paar Beifpiele aufs Geratewohl anzuführen
— die Syfteme und Anfchauungen eines Laas, Münfter-
berg, Helmholtz, Dühring, Bahnten, Bergmann, Claß find
doch wohl eben fo aktuell wie diejenigen von Goldfchmidt
| oder Schulte-Tigges oder Boutroux. Dem Referenten,
der eine Überficht über das Gebotene zu geben hat,
bleibt daher nichts übrig, als zunächft eine Lifte von
Namen aufzuftellen.

Es werden in nachftehender Reihenfolge behandelt:
E. v. Hartmann, und zwar unter vorwiegender, doch nicht
ausfchließlicher Berückfichtigung der Philofophie des Unbewußten
, 1. Auflage; Drews; Wundt; Paulfen; Froh-
fchammer; Eucken; Natorp (Religion innerhalb der
Grenzen der Humanität); Siebeck (Lehrbuch der Religions-
philofophie); Thiele; Mach (Populärwiffenfchaftliche Vor-
lefungen, Wärmelehre und Analyfe der Empfindungen);
Avenarius und im Anfchluß an ihn Carftanjen und Willy;
die Vertreter der ,immanenten Philofophie' Schuppe,
Schubert-Soldern, Rehmke; Glogau, dem nur eine Seite
gewidmet ift; Nietzfche, verhältnismäßig fehr ausführlich;
Rickert; Liebmann, über den nach einem Zitat aus
.Gedanken und Tatfachen' referiert wird; Goldfchmidt;
Oftwald auf mehr als fechzig Seiten; Riehl; Schulte-Tigges
(Philofophifche Propädeutik auf naturwiffenfehaftlicher
Grundlage); Carlyle; Herbert Spencer; Thomas Hill
Green; Bradley; Hodgfon (tlie Metaphysics of Experience);
Frafer in bloß 8 Zeilen; Ruskin, gleichfalls ganz kurz;
Taine; Ribot; Renan [Dialogues et fragmentsphilosophiques
und l'avenir de la science); Renouvier; Fouillde; Boutroux;
Ravaiffon, Lachelier, Janet als Repräfentanten einer
äfthetifchen Welterklärung; Secretan; James; Mamiani;
Kierkegaard; A. Spir; Tolftoi; Maeterlinck; endlich der
Okkultismus und im Zufammenhang damit abermals James
(the Varieties of religious Experience). Ein Nachtrag be-
fchäftigt fich dann noch mit Cornelius' .Einleitung in die
Philofophie'.

Daß all die befprochenen Denker auch nur mit der
Darfteilung und Wiedergabe ihrer Ideen einverftanden
fein würden, ift von vorn herein nicht vorauszufetzen;
gefchweige denn, mit deren Würdigung und Beurteilung.
Das ift in der Natur der Sache begründet. Dagegen