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Ausgabe:

1903 Nr. 6

Spalte:

174-175

Autor/Hrsg.:

Crum, Walter E.

Titel/Untertitel:

Coptic Ostraca 1903

Rezensent:

Sethe, ...

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Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 6.

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werden, die allgemeine Kirchengefchichte würde m. E.
nur einige ihrer Refultate zu verwenden im Stande fein.
Archäologie und Gefchichte find auch in der KG auseinanderzuhalten
, felbft wenn es um eine Archäologie der
chriftlichen Frömmigkeit fich handelte. Nicht anders aber,
als der archäologifche Stoff, fteht viel fogenannter liter-
argefchichtlicher. Die wirkliche Gefchichte der kirchlichen
Literatur gehört zwar natürlich, gleichwie die Dog-
mengefchichte, in einer dem Zufchnitt des Ganzen
entfprechenden Ausführlichkeit in die allgemeine
KG hinein. Aber Ueberfichten über die Opera patrum als
regelmäfsige Beigabe der nöthigen biographifchen
Notizen haben m. E. kein Recht in der KG. In v.
Schubert's Buch haben diefe Abfchnitte, fo forgfältig fie
gearbeitet find, mich ftets geftört, und ich bin überzeugt,
dafs es vielen Lefern ebenfo gehen wird. — In diefem
Zufammenhange wird es auch verftändlich fein, dafs mir
das lehrreiche Schlufscapitel des v. Schubert'fchen Buches
des Archäologifchen zuviel bietet. Von dem Zuftändlichen
— dem rein Zuftändlichen, alfo abgefehen von der Begründung
und Abwandlung des Zuftändlichen — gehört
m. E. nur das in eine KG hinein, was für die Entwicklung,
foweit fie in dem betr. Buche gefchildert wird, wichtig ift,
fei es als Vorausfetzung für die Art der Einwirkung der
Handelnden, fei es als "Unterlage künftiger Geftaltungen.

Die zweite Differenz, die v. Sch. in feinem Vortrage
befpricht und zu der er in feinem Buche in eigenartiger
Weife praktifch Stellung nimmt, betrifft die Abgrenzung
der Haupttheile. Dem dritten und vierten Haupttheile,
welche die Zeit der Reformation und Gegenreformation
und die Zeit feit der englifchen Revolution behandeln,
weifs v. Sch. auch von dem Gefichtspunkt der ,Gefchichte
des Evangeliums' aus ihr Recht zu wahren; aber die Zeit
bis zur Reformation möchte er anders theilen, als üblich
ift: in die Zeit des Urchriftenthums und in die Zeit der
katholifchen Kirche (Vortrag S. 31). Ich glaube, an diefem
praktifch gewifs wirkungslofen Vorfchlage ift nur die neue
Begriffsbestimmung fchuld. Die Reichskirche der altkirchlichen
Zeit und die werdende und gewordene Papftkirche
des Mittelalters find hinreichend verfchiedene Gebilde, um
vom Standpunkte der Kirchengefchichte die Trennung
der erften fechs Jahrhunderte von den folgenden 9 oder 8'/2
zu rechtfertigen. Praktifch hat auch v. Sch. um 130 gar
keinen, um 180 nur einen kleinen Einfchnitt gemacht; und
die Gefchichte der alten Kirche hat er bis ca. 451 verfolgt.
Die Grenze ift ihm nicht das Concil von Chalcedon, fondern
,wie in der Profangefchichte' die Zeit der Völkerwanderung
' (Vortrag S. 28). Die Erwägung, die v. Sch.
hier beftimmt hat, ift ja durchaus begreiflich. Aber für
richtig halte ich fie nicht. Mindeftens feit dem Entftehen
des Weftgothenreiches gehen für die KG. Alterthum und
Mittelalter für ca. 400 Jahre nebeneinander her. So wenig
man m. E. die alte Zeit erft mit Karl d. Grofsen fchliefsen
kann, fo wenig kann man das kirchliche Mittelalter um
415 oder 450 beginnen. Man mufs da fcheiden, wo dem
an der fpäteren Entwicklung orientirten Auge der Schwerpunkt
des kirchlichen Gefchehens in die neue, mittelalterliche
Welt zu fallen beginnt. Das war in Juftinian's Zeit
noch nicht der Fall, kann aber vom Pontificat Gregor's
d. G. bereits gefagt werden. Factifch wird v. Sch. — er
wird mir diefe Vermuthung nicht verdenken — mit beftimmt
gewefen fein durch den Umfang, den fein Buch
erhalten hatte; und das wird Jeder verftehen. Doch macht
der Hinweis darauf eine kritifche Bemerkung nöthig, die
ich nicht mifszuverftehen bitte. Es ift überaus dankens-
werth, dafs v. Sch. die gar zu fehr vernachläffigte'Zeit
von 350—450 fo forgfältig behandelt hat; — das will ich
gewifs nicht verkennen. Aber die Proportionen der Darstellung
leiden m. E. darunter, dafs die Gefchichte von
Julian ab faft ebenfo viel Raum einnimmt, als die Zeit bis
361 (hier 467 Seiten, 415 dort). Freilich umfpannt das
Schlufscapitel über das Kirchenrecht, den kirchlichen
Organismus, den Cultus und das fittliche Leben in der

organifirten Reichskirche — ein Capitel, das feinen Stoff
nicht nur in der nachjulianifchen Zeit findet, — allein
157 Seiten. Doch auch, wenn man dies in Rechnung zieht,
bleibt ein Mifsverhältnifs. Eine neue Auflage, auf die das
Buch vermuthlich nicht lange wird warten müffen, wird
diefe Ungleichheiten leicht ausgleichen können. Und fchon
jetzt können fie den Dank nicht einfchränken, den wir dem
Verfaffer fchulden.

Halle a. S. Loofs.

Cr um, W. E., Coptic Ostraca, from the collections of the
Egypt Exploration Fund, the Cairo Museum and
others. The texts edited with translations and com-
mentaries by W. E. C., with a contribution by the
Rev. F. E. Brightman. (Special Extra Publication
of the Egypt Exploration Fund, published by order
of the committee. London 1902, Egypt Exploration
Fund. (XXII, 99, 125 S. 4. m. 2 Tafeln.)

In der vorliegenden Publication hat W. Crum, der
auch in theologifchen Kreifen durch feine zuverläffigen
koptifchen Arbeiten bekannte englifche Gelehrte, ein
Werk gefchaffen, das vorläufig einzig in feiner Art da-
fteht und fich für die koptifchen Studien als ungemein
werthvoll erweifen dürfte. Es ift die erfte gröfsere
Sammlung ,koptifcher Oftraka', die überhaupt veran-
ftaltet worden ift; fie umfafst nahezu 600 bisher unveröffentlichte
Oftraka aus der chriftlichen Zeit Aegyptens,
im Befitz von 22 verfchicdenen öffentlichen uud privaten
Sammlungen. Die grofse Mehrzahl diefer christlich -
ägyptifchen Oftraka, die bis auf einige in griechifcher
Sprache fämmtlich in der Sprache der Aegypter, dem
fogen. Koptifchen, abgefafst find, flammt aus Theben.
So namentlich eine zufammengehörige Reihe von etwa
400 Stück im Britifchen Mufeum, die fämmtlich aus dem
Klofiter des Phoibammon flammen, eben jenem Klofter,
das von den Chriften in den Räumen des bekannten
altägyptifchen Tempels von Der el bahrt auf dem Weft-
ufer Thebens angelegt worden war und diefem Tempel
diefen feinen arabifchen Namen ,Nordklofter' verfchafft
hat. Als der Egypt Exploration Fund in den Jahren 1893/94
das alte Heiligthum durch Edouard Naville freilegen
und z. Th. wiederherftellen liefs, mufsten die Einbauten
der chriftlichen Mönche befeitigt werden. Dabei haben
fich dann diefe 400 Oftraka gefunden, die uns in das
Leben der Klofterbewohner manchen Einblick geftatten.
Ein anderer Theil der von C. publicirten Oftraka flammt
ans dem zwifchen Hermonthis und Theben gelegenen Orte
Djüme (griech. Kastron Memmoneion, heute Medinet
Nabu), aus dem fich uns auch eine grofse Menge kop-
tifcher Papyrus erhalten hat; ein dritter Theil flammt
aus Dendera (etwa 60 km nördlich von Theben).

Der Gebrauch der Scherbe, des Oftrakons, als Schreibmaterial
für kürzere Aufzeichnungen ftatt des Papyrus läfst
fich in Aegypten bis in das fogen. neue Reich (1600 bis
1100 vor Chr.) zurückverfolgen. Das Material der Scherbe
war in den älteren Zeiten ftets der Kalkftein; diefer ver-
fchwindet merkwürdiger Weife in griechifch-römifcher
Zeit ganz, um der thönernen Topffcherbe Platz zu machen,
die indefs nur zu untergeordneteren Acten des Gefchäfts-
lebens (Steuerquittungen u. dgl.) verwendet wird. In chrift-
licher Zeit finden wir dann beide Materiale nebeneinander
in Gebrauch, und zwar fcheint dabei, wie C. feftftellt, ein
gewiffer Rangunterfchied zwifchen ihnen beobachtet zu
werden. Während der Kalkftein anftandslos zur Nieder-
fchrift von officiellen Documenten, kirchlichen wie rechts-
gefchäftlichen, verwendet wird und bei Briefen an Höher-
geftellte zuläffig ift, ohne dafs es einer Entfchuldigung
j bedürfte, findet man eine folche Entfchuldigung häufig,
wo die ordinärere Thonfeherbe, das fpecielle Schreibmaterial
für Quittungen, Rechnungen u. dgl., zu einer
folchen Mittheilung benutzt ilt.