Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1903 Nr. 5

Spalte:

147-148

Autor/Hrsg.:

Baensch, Otto

Titel/Untertitel:

Johann Heinrich Lamberts Philosophie und seine Stellung zu Kant 1903

Rezensent:

Mayer, Emil Walter

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

'47

Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 5.

148

zu haben fcheint, nicht hilflos gegenüber. Zunächft ift j
der Hinweis auf Allegorie u. dgl. als Beweis für Ueber-
ordnung der Vernunft über die Schrift verfehlt. Nicht
nur, dafs wir (gegen Th.) hier kein Zw.'fches Specincum j
vor uns haben — Luther hat Synekdoche u. dgl. auch —,
nein, die Allegorie ift gerade der Ehrfurcht vor der
Schrift entfprungen, nicht der Geringfehätzung oder der
Rationalifirung. Ausgehend von dem Gedanken: die!
Schrift mufs etwas zu fagen haben, wird an Stellen, die
der nüchternen Betrachtung nichts fagen oder ihr fogar
vielleicht anftöfsig find, ein ,geiftiger' Sinn untergelegt, um
die a priori feftftehende Herrlichkeit der Schrift zu docu-
mentiren. Auch kritifche Bedenken werden auf diefem
Wege befeitigt, wie das in claffifcher Weife die Exegefe
des Katholiken Scholz zeigt. Dafs factifch fo die gröfste j
Willkür entfteht, ift klar, aber Zw.'s Zweck ift ein j
gerade entgegengefetzter. Auch Th.'s Wort von der !
Entbehrlichkeit' des äufseren Schriftwortes und der j
Leugnung der ,Nothwendigkeit einer Offenbarung im
Sinne Luthers' geht zu weit. Richtig ift die Scheidung
von Wort und Geift bei Zwingli, aber, wie die Stellen
auf S. 43 beweifen, der Gegenfatz ift nicht fowohl: hie
Wort, hie Geift ohne Wort, als vielmehr: hie Wort
secum ferens omnia, hie Geift im Wort, und nur um
diefen Unterfchied fcharf herauszuftellen, kommt er gelegentlich
zu der fcharfen Zufpitzung, dafs der Geift
keines Vehikels bedarf. Derfclbe wird ihm ja dann
freilich nahegelegt von feinem philofophifchen Gottesbegriff
aus, der göttlichen Geift auch in Nicht-Chriften
wirkfam fein läfst. Aber foweit ift Zwingli nicht gegangen
, dafs er die Offenbarung ausgefchaltet habe, indem
die Wahrheit ,ihrem vollen Inhalte nach'
(S. 38)!) auch aufserhalb der Bibel - Offenbarung fich
finde. Das allen Menfchen eingeborene ius naturae enthält
keineswegs die ganze Wahrheit, fondern nur ein
Stück, und zwar ein recht befcheidenes, nämlich die
Wahrheit: quod tibi vis fieri, aliis facito! (S. 41 vgl. 38). j
Die Offenbarung aber, weil fie mehr bringt, ift daher
keineswegs überflüflig, im Gegentheil nothwendig. Zwingli
hat nur mit aller Schärfe betont, dafs das ius naturae
zugleich ius divinum fei (,wyfen und leiten des göttlichen
geiftes'), um Stütze für feinen Gottesbegriff (und auch
für feine Ethik) zu haben. Das ius naturae ift für ihn
wieder einmal wie für das ganze Mittelalter die Brücke
gewefen vom (fupranaturalen) Chriltenthum zum (natürlichen
) Menfchenthum2).

Cap. 3 erledigt fich von hier aus von felbft als ebenfalls
zu weit gehend, vgl. nur den einen ihm ganz felbft-
verftändlichen Satz Zwingli's: nihil putamus absurdum
esse, quod divinis eloquiis traditum est.

Ich denke, eine eingehendere Befchäftigung mit
Zwingli wird Th. feine fcharfen Urtheile über Zw.'s
Accommodationskunft ohne innere Ueberzeugung erheblich
mindern laffen.

Giefsen. W. Köhler.

Baensch, Dr. Otto, Johann Heinrich Lamberts Philosophie
und seine Stellung zu Kant. Tübingen 1902, J. C. B.
Mohr. (VI, 103 S. gr. 8.) M. 2.—

Lambert ift in der letzten Zeit wiederholt der Gegen-
ftand befonderer Aufmerkfamkeit gewefen. Was ihm in
den Augen des lebenden Gefchlechts Reiz verlieh, war
feine Stellung zu Kant. Als deffen Vorkämpfer ift er
mehrfach gefeiert worden, fowohl in den Monographien
von Zimmermann und Lepfius als auch in Werken all-

1) von mir gefperrt. Zur Sache vgl. auch die Darlegungen von
Ii. Nagel: Zwingli's Stellung zur Schrift 1896 S. 32 ff., von Th. leider
nicht benutzt.

2) Zu beachten ift die grofse Aehnlichkeit zwifchen Zwingli und
Melanchthon. Manches von Th. als Zwingli'fches Specificum Ausgegebene
findet fich auch bei ihm, vgl. Rump: Mel's Pfychologie S. 120 ff.

gemeineren Inhalts. Die Bedeutung der vorliegenden
Schrift liegt darin, dafs fie der herrfchenden Auffaffung
refolut und mit Gefchick entgegentritt.

Den gröfsten Theil der Abhandlung, die aus einer
von der Strafsburger philofophifchen Facultät gekrönten
Preisarbeit hervorgegangen ift, bildet eine gründliche und
forgfältige Darftellung von Lambert's Philofophie. Dabei
ift nicht nur, wie vielfach gefchehen, das (Neue Organon'
zu Rathe gezogen, fondern auch das andere Hauptwerk
die ,Architektonik', fowie Briefe, nachgelaffene Schriften
und Recenfionen. In einem weiteren polemifchen Ab-
fchnitte wendet fich der Autor gegen einzelne Vertreter
der Thefe, dafs der elfäffifche Gelehrte auf das Syftem
des Königsberger Denkers ftark eingewirkt habe. Schliefs-
lich wird an der Hand des Briefwechfels zwifchen Lambert
und Kant pofitiv dargethan, dafs letzterer dem
erfteren fo gut wie nichts verdankt. Die Anfchauungen
der beiden über das Verhältnifs des Apriorifchen und
des Apofteriorifchen find incommenfurable Gröfsen, und
Lambert's Auffaffung der Zeit und des Raumes als
reellen Scheines konnte auf die Formulirung der Lehre
in der transcendentalen Aefthetik keinen Einflufs ausüben
. Blofs die Einwände des grofsen Mathematikers
gegen die Idealität der Zeit finden darin eine freilich
noch durch andere Factoren mit veranlafste Befprechung
und Widerlegung.

Dafs Baenfch in der Hauptfache richtig gefehen
und geurtheilt hat, dürfte nach Anficht des Ref. fich nur
fchwer beftreiten laffen.

Strafsburg i. E. E. W. Mayer.

Schi an, Diak. Lic. Dr. Martin, Das kirchliche Leben der
evangelischen Kirche der Provinz Schlesien. Dargeftellt.
(Evangelifche Kirchenkunde. Das kirchliche Leben
der deutfehen evangelifchen Landeskirchen. Herausgegeben
von Prof. D. Paul Drews. 2. Teil.) Tübingen
1903, J. C. B. Mohr. (XII, 310 S. gr. 8.)

M. 6.— ; geb. M. 7.—

Es ift erfreulich, dafs das fchöne Unternehmen von
P. Drews, uns eine ,Kirchenkunde' der deutfehen evangelifchen
Landeskirchen der Gegenwart zu fchaffen,
rüftig fortfehreitet: auf den von Drews felbft gelieferten
Band über das Kgr. Sachfen, über den E. Chr. Achelis
kürzlich hier berichtet hat (ThLZ 1902 Sp. 553 ff.), ift
fchnell der vorliegende gefolgt, der die preufsifche Provinz
Schlefien behandelt. Wie dankbar können Candi-
daten und junge Geiftliche nach einem folchen Orien-
tirungsmittel greifen, wie erwünfeht wird es allen denen
fein, die Lehrvikare ins kirchliche Leben einführen follen,
wie werthvoll wird es einmal fpäteren Generationen und
fpäterer Gefchichtsforfchung fein, folche Darftellungen zu
befitzen! Wiffen wir praktifchen Theologen doch, wie
viel wir für gefchichtliche Kenntnifs des kirchlichen
Lebens aus des alten Pietiften Chriftian Gerber Hiftorie
der Kirchen-Ceremonien in Sachfen 1732 haben lernen
können. Schian hat fich wiffenfehaftlich bereits durch
tüchtige Studien zur Gefchichte der Homiletik und Kate-
chetik legitimirt; als Herausgeber des ,Evang. Kirchenblattes
für Schiefen' hat er Verbindungen nach allen
Theilen der fchlefifchen Kirche angeknüpft, die diefer
Arbeit zu Gute gekommen find, tüchtige Kenner des
kirchlichen Lebens der Provinz haben ihm bereitwillig
Hilfe geleiftet. Dazu haben Traditionen des Eltern-
haufes — fein Vater war einft der Vorkämpfer der Be-
ftrebungen der Inneren Miffion in der Provinz und der
Begründer des Liegnitzer Kirchl. Wochenblattes 1859
fowie der Liegnitzer Paftoralconferenz — ihm dabei geholfen
; pietätvoll hat der Sohn an verfchiedenen Stellen
feines Buches die Bedeutung diefes Sammlers der
,Pofitiven' im Lande zur Geltung gebracht, was man
um fo lieber beachtet, wenn man weifs, wie andere