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Ausgabe:

1903

Spalte:

124

Titel/Untertitel:

Eine Gesammtbibel in den Originalsprachen 1903

Rezensent:

Nestle, Eberhard

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Seite 1

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123

I24

fahrung und Uebung gewonnenen Ueberzeugungen zur
Geltung zu bringen vermag, und fie find auch dem Lefer
von größerem Werth. In der ,Gefchichte der Pädagogik'
wäre vielleicht auch eine Erörterung über die ethifche
Pädagogik und ein flärkere Hervorhebung der pädagogi-
fchen Ziele wünfchenswerth gewefen, und trotz der gebotenen
Kürze würde nach Schian's Darflellung der
Sokratik im Zeitalter der Aufklärung (Breslau 1900) ein
näheres Eingehen auf die Sokratik befonders von den
Philanthropiften an bis in die neuefte Zeit dankbar zu
begrüfsen fein. Eine Correctur erlaube ich mir zur Darfteilung
von Kant's Pädagogik (S. 115) beizufügen. Kant
felbft hat keine Schrift ,über Pädagogik' veröffentlicht,
und nach den Unterfuchungen von Benno Erdmann und
Fr. Paulfen kann die Schrift von Fr. Th. Rink:
Immanuel Kant über ,Pädagogik' (1803) nicht mehr als
Quelle benutzt werden. Dagegen dürfte Dr. Werner
Bötte: Immanuel Kant's Erziehungslehre, dargeftellt auf
Grund von Kant's authentifchen Schriften (Langenfalza
1900) nicht zu ignoriren fein.

In dem ,Syftem der Pädagogik', worin übrigens auf
die Gefchichte keine Rückficht genommen wird, erfreut die
Beobachtung, wie alles Gewicht auf die Erziehung zur
chriftlichen Perfönlichkeit gelegt wird; die Auswahl
des Unterrichtsftoffes fteht unter dem Gefichtspunkt, nicht
nur formale Bildung, fondern gute Gefinnung und wahre
Einficht zu erzielen, und was über die didaktische Ordnung
des Unterrichts, über die Methode des Unterrichts u. f. w.
vorgetragen wird, trägt faft durchweg das Gepräge des
Meifterwortes. Eigenthümlich freilich fällt es auf, dafs
die unerläfsliche Tendenz jeder gefunden Pädagogie, den
Zögling zur Selbfterziehung zu befähigen und dadurch
fich felbft überflüffig zu machen, kaum angedeutet wird.
Als Unterrichtsftoff wird die Gefchichte, die Naturkunde
und die Religionskunde, alles unter Führung der Mutter-
fprache, hervorgehoben, allerdings in einer fo reichen
Stoffauswahl, dafs wohl kein Gymnafium dies Ziel erreichen
wird. Ob der Herr Verfaffer bei dem Allem aber
das Gymnafium im Auge hat oder den allen Schülern
beizubringenden Stoff befchreibt, ift nicht erfichtlich. Aus
dem Reichthum des Dargebotenen heben wir den letzten
grofsen Abfchnitt (§ 25) hervor, der über die Formen
der Erziehung fich verbreitet. Die drei ethifchen Gemein-
fchaften, die Erziehungsrechte ausüben, weil jedes Kind
ein Glied diefer Gemeinfchaften ift, find die Familie, der
Staat, die Kirche: die Kirche durch den Katechumenat,
der Staat durch Organifation des Heerwefens; die Schule
ift nur Ergänzung der Familie, fie hat jedoch dadurch,
dafs Staat und Kirche ihr einen Theil ihrer pädagogifchen
Aufgaben übertragen, ein gewiffes Recht felbftftändiger
Exiftenz. Auf diefer Grundlage fordert der Herr Verfaffer
drei Arten von Schulen: 1. zur Ausrüftung des bürgerliche
Berufes, — da hat die Familie zu entfcheiden; 2. zur
Vorbildung künftiger Beamten, — darüber hat die Ent-
fcheidung der Staat: 3. Kirchfchulen, in denen die Intereffen
der Kirche Vertretung finden. Hernach werden als drei
Schularten die Volksfchule, die Mittelfchule und die höhere
Schule genannt. Eine Beziehung auf die drei zuvor genannten
Schularten fcheint nicht ftattzufinden. Ueberhaupt
ift es uns nicht möglich gewefen, eine klare Vorftellung
von den in diefem § niedergelegten Anflehten des Herrn
Verfaffers zu gewinnen, zumal da nirgends das dringende
ftaatliche Intereffe an der Schulbildung aller feiner Bürger,
worin die ftaatliche Leitung der Schulen und die Unent-
behrlichkeit des Schulzwanges begründet ift, zu feinem
Rechte kommt. — In fprachlicher Beziehung ift mir die
öfter begegnende Neubildung ,die Manigfalt' aufgefallen.

Wir fchliefsen mit dem Wunfche, dafs bald eine dritte
Auflage erforderlich werde; vielleicht können darin einige
der vorftehenden Bemerkungen verwerthet werden.

Marburg. E. Chr. Achelis.

Eine Gesammtbibel in den Originalsprachen.

In Nr. 14 der ThLZ von 1899 habe ich Sp. 427
1 gelegentlich angeführt, dafs es unter den Hunderten von
I Ausgaben des Hebr. Alten Teftaments und feiner Theile
und den in die Taufend laufenden des griech. N. Ts.
nur eine einzige Ausgabe der Gesammtbibel in den Ur-
fprachen gebe, die von Chr. — nicht Joh.', wie dort aus
Verfehen gefchrieben war — Bened. Michaelis,
Züllichau-Leipzig, 1741, 40; 40. Die Veröffentlichung
hat mir mehrere Zufendungen gebracht, fchriftliche und
gedruckte: in der Sunday School Times (Philadelphia,
1899, 30. Sept., 14. Oct.) wurde die Mittheilung ,more than
an ordinary surprise1 genannt und auf eine fehr fchöne
Ausgabe in Hebräifch und Griechifch hingewiefen, die
Bagfter in London um 1820 veröffentlicht habe. Aber
diefe Ausgabe entbehrt, wie die von mir erwähnte Tauch-
nitz'sche ,Biblia Originalia' und wie die hebr.-griech.
Bibel von Reineccius (Leipzig 1739—42) der Apokryphen
die nach meiner Meinung zu einer Gefammtbibel noth-
wendig gehören. W. van Manen in Leiden erinnerte mich
an die von B. Arias Montanus in Antwerpen bei Plantin
1584 in Folio herausgegebene Bibel. Diefe enthält allerdings
die Apokryphen, aber auch die lateinifche Ueber-
fetzung, und ift daher von mir mit ihren Wiederholungen
im Anfchlufs an den Katalog des Britifchen Mufeums
unter die Polyglotten gerechnet worden, und fo bin ich
noch in meinem Artikel ,SeptuaginT in Hastings' Dic-
tionary of the Bible (IV, 441 Anm.) dabei geblieben, dafs
die genannte Ausgabe von Chr. Bened. Michaelis die einzige
Ausgabe der Gefammtbibel in den Urfprachen fei,
die es bis jetzt gebe. Seither habe ich aber gefunden,
dafs eine folche fchon früher geplant, bezw. ermöglicht
war. In der bei Hartings im Text genannten Ausgabe
der Apokryphen Ol (so!) AIIOKPV<POI B1BAOI Libri
Veteris Testamenti Apocryphi Omnes, Graece,
Francofurti, B. C. Wustl, Sen. 1694, 8° heifst es in der
Vorrede: diefe Sonderausgabe der griechifchen Apokryphen
sei veranftaltet worden, weil nicht Alle fich die
Bände der Septuaginta-Ausgaben anfehaffen könnten. ,Ne
dicam, multos desiderasse, ut cadem exeuderentur
forma, qua libri V. T. Ebraice, ac N. T. Graece
non ita pridem a nobis evulgati sunt, quo Bibli-
orum codex integer in Unguis suis originalibus uno
fasce comprehensus haberi queat.

Hier haben wir alfo den Gedanken und die Möglichkeit
einer Gefammtbibel in den Urfprachen. Ob der
Herausgeber und Verleger die Sache auch praktifch
ausführte und diefe drei Theile in einem Bande und
mit einem eigenen Titelblatt ausgegeben hat, ift
mir nicht bekannt. Und folange ein folches Exemplar
nicht nachgewiefen ift, wird es auch jetzt noch bei dem
in der That überrafchenden Ergebnifs bleiben, dafs es
bis jetzt nur eine einzige Ausgabe der Gefammtbibel in
den Urfprachen giebt, die von Chr. Bened. Michaelis, die
ihre Entftehung und daher auch ihre Anordnung dem
Wunfche verdankt, die deutfehe Lutherbibel mit dem
Originaltext durchfehiefsen zu können.>)

Maulbronn. Eb. Neftle.

1) Auch die Ausgabe von Leus den, auf die Prof. Nathaniel
Schmidt von der Corneil Universität in der Sunday School Times hinwies
(Hebräifch in Amfterdam 1701 ohne Punkte, die zufammen mit
feinem griech. N. T. von 1698 und feinem Compendiolum von 1699 in
einem Band vorkommt), kann aus demfelben Grund wie Bagfter's und
Tauchnitz's Ausgabe nicht hierhergezählt werden.

Bibliographie

von Lic. theol. Paul Pape, Zehlendorf bei Berlin.
jCcutfcbc £itcratur.

Delitzfch, F., Anmerkungen zu dem Vortrag Babel u. Bibel. Leipzig
1903, J. C. Hinrichs'fche Buchh. (S. 53—78 gr. 8.) — 80

Doli er, J., Bibel u. Babel od. Babel u. Bibel? Eine Entgegng. auf
Prof. Friedrich Delitzfch's ,Babel u. Bibel'. Paderborn 1903, F.
Schöningh. ,36 S. 8.) — 60