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Ausgabe:

1903

Spalte:

117-119

Autor/Hrsg.:

Runze, Georg

Titel/Untertitel:

Katechismus der Religionsphilosophie 1903

Rezensent:

Mayer, Emil Walter

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nj Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 4. 118

grünen Auen einer tieferen Weltanfchauung und Lebens- namifchen Zuftändlichkeit des Gemüthslebens, in welcher

art zu fehnen. Für diefe ift, wie ich fie kenne, die der thätige Wille noch unbewufste Kraft, das erkennende

Mifchung von Wiffenfchaft und Erbaulichkeit Nichts, Vorftellen noch finnige Empfänglichkeit, alfo Intuition,

die fo oft unfer Buch beherrfcht. Leuten aber, die aus Anfchauung ift'. Das Verhältnifs zur Moral wird zum

dem alten Glauben in einen neuen wollen, kann man es Theil mit Schleiermacher'fchen Formeln charakterifirt;

um feines theologifchen und ethifchen Ernftes willen die Verwandfchaft mit der Philofophie unter entfehiedener

in die Hand geben; ihnen wird es von Segen fein. | Polemik gegen Ritfehl ftark hervorgehoben, obwohl keine

Die Anmerkungen am Schluffe werden ihnen man- Identität behauptet werden foll. Was die Kunft betrifft,

chen werthvollen Beitrag zum Verftändnifs unferer neueren fo werden neben einander die etwas befremdlichen Sätze

theologifchen Arbeit bteten. durchgeführt: die Religion eine .Function' der Kunft,

rr- j tvt u t ,v Nit»Knrrrn 11 und die Kunft eine .Function' der Religion; nur fällt

Kirn a. d. Nahe. L.c. Niebergall. j ^ Schwergewicht auf den zweiten.

Der vierte und letzte Theil, der die Ueberfchrift

Runze, Prof. D. Dr. Georg, Katechismus der Religionsphilo- trägt .die Religion in der Gefchichte und das Gefetz
Sophie. (Webers illuftrirte Katechismen. Nr. 230.) ihrer Entwicklung', zählt nur dreifsig Seiten. Im Mittel-
Leipzig 1901, J. J. Weber. (X, 324 S. 8.) Geb. M. 4.- Ä ■'A' Ged-nke, dafsdie Tendenz der Bewegung
7 a & r u a p r ■ u-i r Li . Z.1 auf fVereinfachuIn? des rehgidfen Lebens gehe, auf immer
Zu den Aufgaben der .Rehgionsphilofophic' rechnet confequentere Durchführung des Monotheismus und
Runze in erfter Linie Unterfuchungen über Urfprung gleichzeitige ethifche Vertiefung. Den Befchlufs bildet
und Wefen der Religion. Daran mögen fich wohl noch
einzelne Erörterungen über deren Entwicklungsgefetz
und ähnliches fchliefsen. Dagegen fällt weniger ihr als

eine entfprechende Werthordnung der verfchiedenen
Religionsformen.

Soweit der natürlich nur das Wichtigfte berührende
der Dogmatik die Verpflichtung zu, die Wahrheit des j und nothwendig unvollständige Bericht. Ref. fpricht es
Glaubens oder einer beftimmten Form des letzteren zu gern aus, dafs er mit des Autors Auffaffung von Zweck

beweifen.

Nach dieser Auffaffung der Disciplin richtet fich
die Gliederung des vorliegenden Katechismus.

Der erfte Theil handelt von der Entflehung der
Religion. Unter etwas einfeitiger Bevorzugung des Alterthums
, aber unter dankenswerther Anerkennung der
grofsen Bedeutung Humes werden zunächft eine Reihe
einschlägiger Theorien vorgetragen und kritifirt, die
fchliefslich auf vier Haupttypen reducirt werden: Euhe-
merismus, Supranaturalismus, Nativismus und Anthropologischer
Evolutionismus.

Dann ertheilt Verf. Auskunft über die Methoden
die er felbft bei der Bearbeitung und Löfung des Problems
in Anwendung zu bringen gedenkt; und zwar
nennt er die .ethnologifche', die auf ,das primitive Leben
der gegenwärtigen Naturvölker' die Aufmerksamkeit

und Aufgabe der Rehgionsphilofophic einverstanden ift.
Auch darf es als ein Vorzug des vorliegenden Buches
hervorgehoben werden, dafs es in feltener Weife beftrebt
ift, der Einfeitigkeit zu entgehen und den mannigfachsten
Standpunkten und Anfchauungen gerecht zu werden.
Ebenfo ift bemerkenswerth, welche Fülle von Material
und von, theilweife aus fehr entlegenen Quellen Stammenden
, Citaten zufammengetragen worden ift. Auf der
andern Seite flehen doch dem Ganzen gewichtige Bedenken
entgegen. Gerade das an Sich verdienftliche Bemühen
, Sinn und Recht einer jeden fremden Pofition zu
verliehen, hat fchliefslich zu einem Eklekticismus und
Synkretismus geführt, der nicht ganz ungefährlich
ift. Es giebt kaum eine Theorie über Wefen und Urfprung
der Religion, die nicht in die von Runze aufgestellte
mit eingebaut wäre. Anflehten, die fonft als

richtet, die .pädagogifche', die das Innenleben des Kin- diametral entgegenstehende beurtheilt werden, Intellek

des in Betracht zieht, und die .Selbstbeobachtung des
reiferen Culturmenfchen'. Das Refultat, zu dem er auf
dem fo gekennzeichneten Wege gelangt, lautet dahin,

tualismus, Moralismus, Illufionismus, wohnen hier friedlich
und getroft beifammen. Die Grenzen verwifchen
Sich, die Linien verfliefsen. Das ift mit einer der Haupt-

dafs die Religion aus einer im wefentlichen 1 vorwürfe, der gegen diefen Katechismus erhoben werden
gleichen Anlage des ganzen Menfchen entfpringt, inner- [ mufs. Selbstverständlich fehlt es aber bei der Unmaffe
halb deren folgende einzelne Factoren Sich unterfcheiden ! der beigebrachten Einzelheiten auch unter diefen nicht
laffen: a) das .Begehrungsvermögen' (eudämoniftifcher an Controverfem. Um nur ein paar Beifpiclc völlig aufs
Wunfeh und kakodämoniftifche Furcht), b) die .unwill- , Gerathewohl herauszugreifen: Ift es nicht mifsverftändlich,
kürliche Einbildungskraft' (Erfahrung des .Traumlebens' i wenn gefagt wird (S. 6), Rickert rechne die Naturwiffen-
und ,wachendcombinirende Vorftellungsassoziation'), c) fchaft nicht zu den Erfahrungswiffenfchaften? HatA Comte
die .Verftandesthätigkeit' (.Verfuche das Räthfel des Da- wirklich die .Philofophie zum Gegenstand eines religiöfen
feins zu löfen'), d) die ,Triebfcder des Sittlichen Willens'. Cultus' (S. 8) erheben wollen? Ift Sabatier's Lehre (S. 64)
Aufserdem ift indeffen noch in Anfchlag zu bringen, zutreffend gefchildert? Bedeutet die ,Ableitung aus dem
wie in einem befonderen Abfchnitt unter dem Titel Volksthum' (S.67) eine befondere Theorie neben den übri-
.Glottopfychik' dargethan wird, die Sprache mit ihrem gen? Hat Ritfehl das religiöfe Element im Chriftenthum
eigenthümlichen Einflufs auf die religiöfe Vorftellungs- | zu Gunftcn des Sittlichen zurückdrängen wollen (S. 234)?
bi'ldung. Verehrt der Fetifchift nicht auch Geiftwefen (vgl. S. 302

Der zweite und dritte Theil haben es mit dem u. 303)? Letzterdings fei noch erwähnt, dafs die .Glotto-
Wefen der Religion zu thun, fo, dafs der eine dies im pfychik', die Verf. fo hoch taxirt und zu der Sich übri-
allgemeinen erörtert, der andere die Beziehungen zu gens noch eine .Glottologik' und ,Glottoethik' gefeilt,
Moral, Philofophie und Kunft beleuchtet. Nachdem noch gelegentlich Refultate zeitigt, für die jedenfalls fehr viele
einmal in etwas anderer Form die .pfychifchen Motive nur mäfsiges Verftändnifs aufbringen können. Man be-
der Religionsbildung' aufgezählt und durchgefprochen achte etwa die Ausführung auf Seite 108, 2. Hälfte oder
worden find — wie denn ausdrücklich feftgeftellt wird, die Behauptung, dafs ,die Dunkelheit und Dürftigkeit der
dafs das Problem vom Urfprung und das vom Wefen Sprache, ihre Unfähigkeit, das gefuchte Object in befrie-
ineinander übergehen —, nachdem die gefchichtlichen No- digender Anfchaulichkeit abzufpiegeln', alfo ihre ,ellip-
tizen Starke Ergänzungen erfahren haben, innerhalb deren tifche Natur' es ift, ,wodurch die Religion entbunden
übrigens auch die Theorien neuerer Forfcher mehr zur j wird'.

Berücksichtigung gelangen, wird die Religion emphatifch Wenn fo das Buch Runze's nach Anficht des Refe-

definirt als /Sammlung des Gemüths'. Das feelifche Or- renten mancherlei Anfechtbares aufweift, fo ift dadurch
gan derfelben wird weder blofs im Wollen noch aus- doch nicht ausgefchloffen, dafs es gerade wegen feines
fchliefslich im Denken gefunden, fondern in jener ,dy- 1 Drängens auf Objectivität und feiner Berücksichtigung