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Ausgabe:

1903 Nr. 4

Spalte:

100-102

Autor/Hrsg.:

Fiebig, Paul

Titel/Untertitel:

Der Menschensohn 1903

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 4.

100

Genefis nicht bewundern. Aus Gunkel — wenn er
diefes Führers bedurfte — hätte Jacob aber zweierlei
lernen können: 1. dafs man nicht Orientalin zu fein
braucht, um Erfpriefsliches für das A. T. leiften zu
können, und 2. dafs man, wenn man über die derbfinn-
liche Poefie des Hohenliedes fchreibt (S. 31 ff.), ihr cultur-
gefchichtlich doch gerecht werden mufs. Glaubt Jacob
ferner, durch die Bemerkung S. 18, Anm. 3, dafs E. Littmann
in feiner Neuarab. Volkspoefie S. 88 ,die modernen
volksthümlichen Hochzeitslieder Paläftina's für Reimprofa
ohne beftimmtes Versmaafs' erklärt, jeden Verfuch, eine
Metrik im HL zu finden, als einen Mifsgriff zu brandmarken
, fo ift er für a.t.liche Dinge nicht up to day. Wer
Sievers' Metrifche Studien und feine metr. Behandlung
des HL ebda. S. 538 ff. gelefen hat, dem wird die Autorität
Littmann nicht im Minderten imponiren. Es
gehört Taubheit dazu z. B. HL 1 2—* keine zwei regel-
mäfsigen Strophen aus zwei Sechfern und einem zwei-
hebigen Kehrvers,*oder aus 1 9fr. und 36fr. keine Fünfer
herauszuhören. Wer feine Vorgänger zwickt, mufs fich's
gefallen laffen, wenn er felbft gezwickt wird. 3 g ift
gegen Budde und Siegfried mit Jacob vielleicht
nST iü zu halten, aber nicht mit Jacob auf das /Liebchen
' zu deuten, fondern wie der Text 3 7 felbft angiebt
auf HttblBbl» int)72 cf. das TOST. Zum fächlichen Gebrauch
von "152 vgl. die von Budde angeführten Stellen Gen. 33 s.
Jdc. 1317 u. bef. Mch. 1.5. Den Schnitzer mä-zöt (S. 20)
ftatt ma-zzöt begeht übrigens Jacob, nicht Budde oder
Siegfried. Ob 710 LXX ytiltöiv pov xal oöovoiv =
ilnBlÖ oder Qvrttn ins» ift, läfst fich nicht ent-
fcheiden. Statt Siegfried den Druckfehler ifiBl» und
die Contextform isEn (ftatt *>2Öp) aufzumutzen (S. 44 f.),
hätte Jacob richtiger gethan,' den zweimaligen Schnitzer
weschinnhn, ftatt des allein im A. T. belegbaren schin-
najim zu vermeiden. S. 7 Anm. 3 verb. p"iö "Ob^N ftatt
ilän seräq. S. 30 Anm. 2 weifs Jacob nicht, dafs die
von ihm für Ii "HB 8 verlangte Ausfprache CHparjön that-
fächlich das Neuhebräifche befitzt cf. S. Kr aufs, Griech.
u. Lat. Lehnwörter im Talmud etc. II 114 b. Scheufslich
macht fich die Wiedergabe englifchen Textes in deutfchen
Lettern S. 8 Anm. 1 u. S. 42. S. 30 L schesch ftatt schick,
S. 14 Panier ftatt Pannicr. Nachläffiger Stil liegt S. 17
Z. 7 ,dann' vor. Vorauf geht eine Bemerkung über die
bekannte Arbeit Wetzftein's v. J. 1873 — mit ,dann'
wird auf den Commentar von Hitzig vom Jahre 1855
übergegangen! Trotzdem uns Jacob durch glückliche
Parallelen im Verftändnifs des HL hier und da fördert,
kann ich feine Leiftung doch nur als die eines Sonntagsjägers
auf a.t.lichem Gebiet einfchätzen. Denn fonft
hätte er fich z. B. nicht erft durch einen Zuhörer auf die
engere Verwandtfchaft zwifchen Pf. 45 und dem HL
ftofsen laffen brauchen — Giefebrecht hat fchon 1881
in ZATW darüber gefchrieben. Einige Belefenheit im
A. T. hätte ihn auch für HL 1 s fofort auf die Parallele
1. Sam. 67, oder für 54 auf Jef. 57s, oder für 75 auf Am. 315
bringen müffen. Die ,Geliebte' als D"l3 zu bezeichnen,
war fchon zur Zeit Jefaja's üblich cf. jef. 5 1. Welcher
kritifche Altteftamentler wird denn für die prophetifche
,Auffaffung des Verhältnifses Jahwe's zu feinem Volk
unter dem Bild der Ehe' S.6 bef. auf die Stellen Jef. 624.5
u. Ez. 16 verweilen?

Statt vom arabifchen Gaul herab die altteftament-
lichen Fachmänner übermüthig anzufehen, thäte Jacob
beffer, herunter zu fleigen, und vor der eigenen Thür zu
fegen. Es wäre zu wünfchen, dafs die Korän-Wiffen-
fchaft fich auf der Höhe der Hexateuchforfchung befände
. Davon hätten die Theologen mehr als von arabifchen
Parallelen zum A. T.

Strafsburg i. E. Georg Beer.

F i e b i g, Lic. Paul, Der Menschensohn, Jefu Selbftbezeichnung
mitbefondererBerückfichtigungdesaramäifchenSprach-
gebrauches für „Menfch" unterfucht. Tübingen 1901,
J. C. B. Mohr. (VII, 127 S. gr. 8.) M. 3.—

Der Verfaffer imponirt durch feine Gelehrfamkeit noch
mehr als durch feine Sicherheit. Um das Menfchenfohn-
problem, um das fich auch ihm zufolge (S. IV f.) Lietz-
mann, Wellhaufen, Dalman immerhin verdient gemacht
haben, endgültig zu löfen, hat er aufser der Bibel die jüdi-
fchen Apokalypfen, die Mifchna, dieTargume, den Talmud
Jerufchalmi, und noch vieles derart, fogar den Babli ganz
durchgefehen; er verfteht hebräifch, talmudifch, aramäifch,
äthiopifch: hätte ich geahnt, dafs der Schwerpunkt feiner
Unterfuchung in der Darbietung des aramäifchen Sprachgebrauchs
für,Menfch' liegt, fo würde ich dieBefprechung
feiner Monographie vielleicht nicht übernommen haben.
Ich vermag es, im Bewufstfein feiner Ueberlegenheit, auch
heut nur zu rechtfertigen, indem ich die Refultate feines
I. Theiles ,Erörterung des aramäifchen Sprachgebrauchs'
(S. 8—60) vorläufig, folange fie nicht von competenter
Seite widerlegt worden find, einfach acceptire: Danach
würden die als aramäifche Grundlage für 0 vlog rov ctvdQcö-
stov verwendbaren Ausdrücke gleich gut ,der Menlch',
,ein Menfch', jemand', fonft aber nichts bedeuten können.

Damit fchliefst der Verf. nun aber nicht ab, fondern
erörtert S. 61—127 auf der gewonnenen Grundlage den
Thatbeftand im Neuen Teftamente. Wenn wir von dem
Anhange abfehen, fo proponirt F. etwa Folgendes: In den
Worten Jefu bedeutet o vlog rov dvü-gcojtov ,der Menfch',
nicht Menfchenkind oder ähnliches, und foll die Beziehung
des Ausdrucks auf Daniel 713 zum Ausdruck bringen. Aus
| Daniel war ,der Menfch' als Meffiastitel in die theologifche
1 Sprache der Juden eingedrungen, Henoch, IV Esra zeigen,
dafs man mit dem Namen keineswegs alle in Dan. 7 gebotenen
Vorftellungen aus jener Quelle übernommen hatte.
Jefus hat ihn fich angeeignet, weil er feinem meffianifchen
Bewufstfein entfprach, nicht ohne feinen Inhalt originell
zu bereicheren oder zu wandeln; er hat gerade diefen Titel
bevorzugt, theils weil er auch mifsverftanden werden konnte,
theils weil er Jefu Auffaffung der Meffianität beffer als
die anderen gangbaren Meffiasnamen wiedergab.

Die Monographie hat Vorzüge, die von dem Verf. für die
Zukunft Befferes erwarten laffen. Sie ift im Allgemeinen
glatt, in frifchem Ton gefchrieben; das Material wird
innerhalb gewiffer Grenzen vollftändig und correct beigebracht
, und man erfährt genau, worauf der Verf. hinaus
will. Die zahllofen ,garnicht',,zweifellos', ,in keiner Weife',
,ohne jeden Grund' wird man feinem Eifer zu gute halten,
feine Neigung zum Zerlegen in 1. 2. 3. 4, a, b, c. u. dgl.
und zu zufammenfaffenden Wiederholungen des fchon
viele Male gefagten mag für unaufmerkfame Lefer nützlich
fein. Ein paar gefchmacklofe Stellen, wie die nette
Benachrichtigung S. 109, dafs wir uns hüten müffen, die
Arbeitsweife eines Stubengelehrten auf die Zeit Jefu und
vollends auf Jefus zu übertragen, ,der weder ein Gelehrter
noch vollends Stubengelehrter war und fein wollte' oder
das erbauliche Pathos auf S. 119 vergifst man bald, und
nur ausnahmsweife begegnet ein fo ungefchickt formulirter
Satz wie derS. 119 Anm.: ,Richtig ift natürlich, dafs Chriftus
erft bei der Paruifie fich in Wirklichkeit den danielifchen
Menfchen nennen konnte, aber proleptifch konnte er das
fchon vorher'; alfo hat fich Jefus bis jetzt noch nicht in
Wirklichkeit ,den Menfchen' genannt?

Die fchweren Fehler, die m. E. den Werth von Theil
II der Abhandlung auf ein Minimum reduciren, find der
Mangel an Kritik gegenüber den biblifchen Quellen und
ein fehr geringes Verftändnifs für die eigentliche Schwierig-
| keit der Aufgabe. Wohl fagt fich F. felber, dafs es hinterher
unmöglich war noch ftets genau zu wiffen, wo Jefus
fich o vlog rov äv&-gcojtov — warum denn nun griechifch ? —
genannt hatte (S. 75); in einer Note auf S. 103 vermerkt
er, die Echtheit von Mt. 13,37 werde vielfach beftritten;