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Ausgabe:

1903

Spalte:

84-86

Autor/Hrsg.:

Liechtenhan, Rudolf

Titel/Untertitel:

Die Offenbarung im Gnosticismus 1903

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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8.3

Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 3.

,84

Was er erfafst als wahlverwandt fügt er ein in feinen
geiftigen Befitzftand. Deshalb ift das Problem nicht richtig
geftellt, wenn man nachweifen will, Philo fei Platoniker
gewefen. Er war dies ebenfo wenig, wie er Stoiker war.
Er war vielmehr ein Apologet feiner Religion, der nicht
feine Impulfe, fondern feine Beweismittel von den Griechen
übernahm.

Die Art und Weife, wie Platonifches, Pythagoreifches,
Stoifches zur Deutung des Textes der Genefis nebeneinander
herangezogen wird, die eklektifche Ausnutzung
und die nicht feltene Umorientirung von Gedanken des
Timaeus ferner bewähren diefe Schätzung. So nimmt
Philo von der dväyxr), diefem für die platonifche Schilderung
der Weltentftehung fo wichtigen Begriff, Umgang.
Die Bedeutung der Materie für die Weltbildung werthet
er nicht wie Plato; trotz manches Schwankens in feinen
Auslagen erklärt er doch den Abftand des Unendlichen
und des Endlichen nicht fowohl aus der vXtj, als vielmehr,
die Ueberlieferung vom'Sündenfall deutend, aus fittlichen
Urfachen. Die Ausdehnung der Thätigkeit des Demiurgen
ift eine verfchiedene. Philo bezieht fie allein auf die
Schöpfung des Menfchen. Und wie er zu feinen Ergebnifsen
kommt, zeigt feine Methode. Er lieft die griechifchen
Philofopheme in feinen griechifchen Bibeltext hinein, wo
er einen Anhalt fich fchaffen kann, tixmv, pia anftatt des
erwarteten jtQcöxr) öffnet ihm die Thüre zur Einführung der
intelligibelen Welt, wobei er dem Vorgange Plato's folgt,
aber zugleich deffen fchwebende Verhältnifsbeftimmungen
vereinfacht. Dies nun gefchieht durch Anleihen bei der
Stoa. Das Schöpfungswort Gottes führt ihn zum Logos der
Stoiker. Das Bild von dem Architekten, der den Plan der
Stadt in feinem Geifte trägt, den er dann ausführt, diefes
Bild, mit dem er das Verhältnifs des xoöuog vorjtoq zum
XÖyoq verdeutlicht, ift gleichfalls ftoifch. Und die dvvdueig,
die vermittelnden Mächte, die richtig im Sinne Philo's mit
den Engeln gleichgefetzt werden (S. 110), laffen fich auf
die platonifche Weltfeele doch nur fehr gezwungen zurückführen
(S. 107). Philo aber kommt auf fie von dem
Pluralis stoirjampev av&omjiov in der Genefis. Weiter, die
Idee von der Erhaltung der Gattungen durch die öxsnpa-
zixal ovßtai, die Vorftellung der Qualitätslofigkeit der Ideen
ift ftoifches Gut (De op. m. § 134t. W.). Ebenfo entflammt
der Entwurf des fittlichen Ideals der Bedürfnifslofigkeit und
die hierbei verwandte Terminologie (die vier jid&t], die
opegetc) der ftoifchen Ethik (De op. m. § 79T); die Verwendung
von gpeöeund stvevpa als Lebenskraft im höchften
Sinne (S. 3of.)) hat nicht blofs ihren Anlafs in der Genefis,
fondern auch ihre Beziehungen zur ftoifchen Phyfik. Allerdings
, der pantheiftifche Hintergrund der ftoifchen Me-
taphyfik— von Materialismus hier zu reden, ift irreführend,
viel eher könnte man fagen Dynamismus — bleibt Philo
fremd. Aber wie fehr trat derfelbe überhaupt in der
jüngeren Stoa zurück hinter den ethifchen Elementen.
Endlich ift es das Sechstagewerk der Genefis, welches
Philo zu den Ausflügen in das Gebiet der pythagoreifchen
Zahlenmyftik treibt, in das er fich mit befonderer Vorliebe
verliert. Kurzum, wenn der Gedankengang des Timaeus
und der Schrift von der Weltfchöpfung auch im Aufbau
verwandt angelegt find, fo hat doch eben der Schöpfungsbericht
der Genefis dem Philo nicht nur den Gang der
Darftellung beftimmt, fondern auch die Antriebe für feine
AnleihenbeiPlato, denStoikern, denPythagoreern gegeben.
Es ift verdienftlich, dafs die Beziehungen zu Plato von
dem Verf. von neuem gründlich unterfucht worden find.
Die Art, wie er die Unterfuchung führt, giebt aber ein
einfeitiges Bild.

Auf die Auseinanderfetzung mit Einzelheiten, die
verfchieden beurtheilt werden können, gehe ich nicht
weiter ein. Nur dies noch. In der Erörterung der pla-
tonifchen Speculationen wäre energifcher zu betonen, dafs
fich in ihrer Folge eine gewiffe Entwickelung erkennen
läfst. Die Abweichungen zu ermitteln, die Unbeftimmt-
heiten klar zu legen, ift hier förderlicher, als das Beftreben,

fie wegzudeuten. Was der Verf. in diefer Hinficht S. 58 f.
darlegt, ift trefflich. Aber die hier zur Geltung kommende
Betrachtungsweife hätte die ganze Abhandlung beherrfchen
follen, dann wäre die Darftellung klarer, knapper und einleuchtender
geworden. Wendungen wie .weittragendere
Bedeutung' (S. 36) oder ,diefe Frage mufs mit der Notwendigkeit
erhoben werden'(S. 107), find unerfreulich, auch
die vielen Vor- und Rückweife ,wir werden fehen', ,es
foll fpäter gezeigt werden', ,wie wir gefehen haben'.

Leipzig. G. Heinrici.

Liechtenhan, Lic. Pfr. Rudolf, Die Offenbarung im Gnosti-
cismus. Göttingen 1901, Vandenhoeck & Ruprecht.
(VIII, 168 S. gr. 8.) M. 4.80

Der Verfaffer der vorliegenden Monographie vertritt
lebhaft die Ueberzeugung, dafs der chriftliche Gnofti-
cismus eine religiöfe Erfcheinung ift, dafs die Gnofis fo
gut wie ausnahmslos Erlöfungslehre, fomit offenbart fein
will; daher wir ihr nicht gerecht werden können, ohne
zu wiffen, was die Gnoftiker als Offenbarung betrachten
und wie fie diefe Offenbarung verwerthen. Er handelt
darum in einem erften Theil über die Quellen der Offenbarung
, im zweiten über ihre Aneignung, in Theil III
über den Inhalt der Offenbarung in den verfchiedenen
gnoftifchen Syftemen. Ueberall ift er beftrebt das ge-
meinfame, die charakterillifchen Hauptzüge hervorzu
heben, und nicht etwa eine Sammlung von Details vorzulegen
. Diefe Tendenz tritt begreiflicherweife am
wenigften zu Tage in Abfchnitt 1: die Specialoffenbarungen
der gnoftifchen Secten, wo er die einzelnen
,neuen Propheten' der Reihe nach durchgeht und hernach
die pfeudepigraphe Literatur, die von Gnoftikern theils alt-
teftamentlichen Frommen theils Jefu oder Apofteln unterge-
fchobenen Schriften muftert; das Refultat ift: Nicht mit der
Autorität philofophifcher Lehrer, fondern mit derjenigen
religiöfer Lehrer decken die Gnoftiker ihre Anflehten.
Es folgt die Befprechung der Stellung, die die Gnoftiker
zur vorchriftlichen Offenbarung, fei es bei Heiden oder
im alten Teftament, und zur eigentlich chriftlichen einnehmen
. Im zweiten Theil wird vor allem unterfucht,
was das Pneuma dem Gnoftiker bedeutet, das Organ
zur Erfaffung des Ueberirdifchen, zum Aneignen des
Geoffenbarten, und dann Gnofis definirt als die vollkommene
Religion, die Befriedigung des höchften reli-
giöfen Triebes.

Theil III fkizzirt die gnoftifchen Begriffe von Gott
und Welt, vom Heil und vom Weg zum Heil, wiederum
nicht mit dem Anfpruch die gnoftifchen Theologumene
vollftändig zu verzeichnen oder genetifch zu erklären,
fondern um an ihrem Kern zu erweifen, dafs fie Ge-
wifsheit für ihre Erkenntnifse bei einer heiligen Offenbarung
fuchen mufsten; dürfen doch felbft ihre Gebete
nicht frei aus dem Herzen quellen, fondern halten fich
an infpirirte Vorlagen.

Die Arbeit, die der verkürzte Abdruck der Licen-
tiatendiffertation Liechtenhan's von 1900 ift — ein
anderes Stück davon ift wohl in der Ztfchr. f. wiff.
Theol. 1901 S. 236—253 (Unterfuchungen zur koptifch-
gnoftifchen Literatur) publicirt worden —, gereicht dem
Manne, den der Verf. in der Widmung als feinen Lehrer
in der Kirchengefchichte nennt, dem fo früh heimge-
gegangenen Rud. Stähelin in der That zur Ehre, fie ift
ansgezeichnet durch Zuverläffigkeit, Klarheit, felbft-
ftändiges Urtheil und fichere Handhabung der hiftorifchen
Methode. Nur in den Anmerkungen find eine Reihe
kleinerer Fehler flehen geblieben, ein paar Citatangaben
find ungenau, das Regifter, deffen Beifügung Lob verdient
, ift nicht ganz vollftändig, und der Stil etwas hart.
Aber es fehlt jede Phrafe und Manier, dem Verf. kommt
es nur auf die Sache an, und in dies objective Intereffe
weifs er auch den Lefer hineinzuzwingen. Er hat fich