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Ausgabe:

1903 Nr. 2

Spalte:

57-59

Autor/Hrsg.:

Petavel - Olliff, D. E.

Titel/Untertitel:

Le plan de Dieu dans l‘évolution 1903

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 2.

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getik und der Religionsphilofophie zur Sprache kommen,
ohne dafs die eigentliche Aufgabe der Glaubenslehre dadurch
gefchädigt werde; denn, wie R. mit Recht bemerkt
, ,der einheitliche Mittelpunkt des ganzen grundlegenden
Theiles ift die Feflltellung des chriftlichen Offenbarungsbegriffs
, das einheitliche Ziel ift die Gewinnung
eines ficheren Bodens und einer klaren Regel für eine
Wiffenfchaft der Glaubenslehre' (§ 2. 2). Was den Aufbau
der chriftlichen Glaubenslehre betrifft, fo hat der Verf. mit
Erfolg, zwar nicht eine chriftocentrifche Anlage, wohl
aber eine chriftocentrifche Behandlung des Gefammt-
ftoffes unternommen (§ 40. 1; § 42. I—2). Es ift ihm be-
fonders daran gelegen, die Probleme fcharf zu formu-
liren und feft abzugrenzen (z. B. § 43. 5; § 50. 3; 55. I;
58. 1; 66. i; 68; 80—81; 85; 116; 124. 4). Reifchle's
Standpunkt ift bekannt: er rechnet fich auch hier zu
den Theologen, die mit ihrer dogmatifchen Arbeit an
Ritfehl anknüpfen. Es wäre aber leicht, eine Reihe von
Punkten aufzuweifen, in welchen er von R. abweicht;
vor allem hat er die auf der Grundlage einer einheitlichen
Erkenntnifstheorie auferbaute dogmatifche Methode
und Aufgabe confequenter und allfeitiger zur Anwendung
gebracht, fowie auch andererfeits bei der Verwerthung
der neuteftamentlichen Glaubenszeugnifse die Willkürlich-
keitea und Einfeitigkeiten vermieden, die fich Ritfehl
häufig bei der Bearbeitung des ,biblifchen Stoffes' hat
zu Schulden kommen laffen. — Von bibliograpifchen
und hterarifchen Angaben und Notizen hat der Verf. Ab-
ftand genommen; dagegen hat er auf die Schriften und
Auflatze verwiefen, in denen er über einige Punkte feiner
dogmatifchen Darftellung Rechenfchaft gegeben hat; dadurch
wird der fchematifche Abrifs an einigen fehr wichtigen
Stellen des dogmatifchen Syftems zu einem con-
creten und inhaltsreichen Bilde erweitert und vertieft.

Das Büchlein, das neben der Dogmatik von Kaftan
und dem Grundrifs von Hermann Schultz die durch
Ritfehl vertretene Glaubenserkenntnifs und dogmatifche
Arbeit geiflvoll verwerthet und felbftftändig fortbildet,
wird ohne Zweifel in diefer neuen Auflage noch um-
faffendere Dienfte leiften, als bereits der als Manufcript
gedruckten Auflage befchieden war.

Strafsburg i. E. P. Lobftein.

Petavel-Olliff, D. E.. Le plan de Dieu dans Revolution.

Etudes sur l'evolutionnisme chretien. Laufanne 1902,
Payot & Cie. (110 S. 8.) Fr. 1.50

Diefe Schrift des auch unter uns wohl bekannten
Verfaffers (Theol. Lit.-Ztg. 1891, Nr. 20; 1892, Nr. 24)
ift der erweiterte und mit wichtigen Anmerkungen ver-
fehene Separat-Abdruck zweier in der Revue chretienne
(Jahrgang 1900) veröffentlichten Studien. Diefelben find
durch eine zwilchen A. Sabatier und P. Chapuis
einerfeits und G. Frommel andererfeits geführte Con-
troverfe angeregt worden, deren hauptfächlichfte Acten
auch in diefem Blatte angezeigt worden find (Jahrgang
1897, Nr. 7; 1898, Nr. 12. 13). Herr Petavel-Olhff unternimmt
es, die zwei Reihen der von den fich gegenüber-
ftehenden Gegnern vertretenen Sätze in eine höhere
Synthefe aufzuheben. Gegen die durch Frommel, auch
durch Porret und Bovon wider den Entwickelungs-
gedanken ins Feld geführten Argumente fucht der Verf.
eine doppelte Pofition zu begründen: einmal fei der Evolutionismus
, als wiffenfehaftliche Hypothefe, auch in
feiner Anwendung auf die Entftehung des Menfchen-
gefchlechtes, durchaus unanfechtbar und müffe, wenigstens
als vorläufiges Erklärungsprincip' in feiner vollen
Berechtigung anerkannt werden; andererfeits gelte es,
die Erklärung der biblifchen Schöpfungsberichte diefer
Hypothefe zu unterwerfen und anzupaffen. Dem Verf.
ift die Begründung des erften Satzes infofern gelungen,
als er mit Anfwand einer ftattlichen Reihe von Zeugen

den Nachweis führt, dafs der chriftliche Glaube, fpeciell
der chriftliche Schöpfungsglaube, die Erforfchung der
Entwickelungsthatfachen nicht nur völlig frei läfst, fondern
der Grofsartigkeit und Fruchtbarkeit diefer Con-
ception alle Anerkennung zollen kann. Weniger glücklich
ift die Ausführung über die Stellung der biblifchen
Berichte zu dem Entwickelungsgedanken (S. 49—58).
Zwar giebt P.-O. die Buchftäblichkeit und Hiftoricitat der
beiden Genefisberichte auf, er fucht aber auch die biblifchen
Texte in einer Weife zu bearbeiten und zu deuten,
dafs die Vereinbarkeit der evolutioniftifchen Weltan-
fchauung mit dem biblifchen Weltbilde aus diefer
Manipulation gewonnen werden foll (vgl. auch S. 80).
Vor diefen bedenklichen Verfuchen, in denen fich ein
unüberwundener Reft von verkehrtem Biblicismus regt,
hätte den keineswegs durch orthodoxen Schriftdoctri-
narismus befangenen Verf. fchon die von ihm fehr anerkennend
angeführte, in jeder Beziehung vortreffliche
Studie von Vuilleumier, La premiere page de la Bible,
1896, bewahren follen. Während der erfte Theil der vorliegenden
Schrift gegen die orthodoxe Bekämpfung des
evolutioniftifchen Gedankens gerichtet ift, fucht der
zweite Theil, im Gegenfatze zu dem Beftreben, die Ge-
fchichte des geiftigen Lebens nach Analogie der Naturvorgänge
zu erklaren, die Grenzen zu beftimmen, in
welchen der Evolutionismus durch den Chrillen anerkannt
und verwerthet werden kann. Drei Sätze hält
hier P.-O. aufrecht, zu denen übrigens A. Sabatier
feine völlige Zuftimmung erklärt hatte: ) Revolution, ä eile
seule, ne suffit pas pour expliquer tous les phlnomenes
psychologiques; 2) l komme a precisement pour mission
d'introduire au sein de levolution mecanique des com-
mencements nouveaux; $)utiDieu personfielprenaIi''initiative
de ces commencements nouveaux, en se communiquent aux
hommes qui se laissent guider par son esprit. Man kann
darüber ftreiten, ob die hier gegebene Formulirung eine
glückliche ift; klar und einwandfrei ift jedenfalls der Gedanke
, den der Verf. meint, indem er einen evolutionnisme
theiste (S. 29) lehrt, d. h. denfelben teleologifch, als Verwirklichung
fchöpferifcher göttlicher Zweckgedanken fafst
und dem abfoluten Endzwecke Gottes unterordnet. Somit
handelt es fich nicht nur um den plan que le Dien
personnel a suivi pour produire les etres (S. 29), fondern
man darf geradezu behaupten: l'hypothese evolutionniste
devient des lors une Synthese, am prend le caractere
d'une theodicee (S. 81). So verftanden hebt der Ent-
wickelungsgedanke den Schuldcharakter der Sünde nicht
auf (S. 33. 78) und berührt auch nicht den dem Glauben
gewiffen abfoluten Werth der chriftlichen Offenbarung und
Verföhnung (S. 44—45. 59—66). Die eschatologifche
Wendung, welche der Verf. dem hier berührten Probleme
giebt, läfst fich aus dem von ihm früher herausgegebenen
und oben angeführten Werke rechtfertigen; er hat diefen
eschatologifchen Ausblick hier nur kurz angedeutet
(S. 68-69. 81).

Wer in dem geiftvollen und anregenden Büchlein
eine erfchöpfende Behandlung der gegenwärtig brennenden
Frage fuchen wollte, wäre allerdings enttäufcht;
denn die aus einer beftimmten Controverfe entftandene
Schrift trägt fehr deutlich den Charakter ihres Urfprungs
und läfst manche Seiten des umfaffenden Problems unberührt
. Durch die Kraft und Klarheit aber, mit welcher
wesentliche Gefichtspunkte, namentlich auch für weitere
Laienkreife, geltend gemacht werden, hat der Veif.
manchem Lefer einen nicht zu unterfchätzenden Dienft
geleiftet. Die in feinen früheren Veröffentlichungen hervortretende
Belefenheit zeichnet auch vorliegende Schrift
aus, — bis auf einen, allerdings fehr wichtigen Punkt.
Während P.-O. mit der englifchen, amerikanifchen und
franzöfifchen Literatur fehr genau vertraut ift, fcheint
ihm das, was in Deutfchland auf diefem Gebiete gearbeitet
worden ift, gänzlich unbekannt. Die S. 44 und 97
I aus zweiter Hand gegebene Mittheilung trifft den Kern