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Ausgabe:

1903 Nr. 26

Spalte:

711-712

Autor/Hrsg.:

Maass, Ernst

Titel/Untertitel:

Griechen und Semiten auf dem Isthmus von Korinth 1903

Rezensent:

Wendland, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 26.

712

giebt er dann doch die Möglichkeit zu, ,dafs einzelne
diefer okkafionellen Bibelfemitismen fpäter durch den
Bibelgebrauch felbft ufuell wurden' (S. 172 = 12). Ich
glaube, man wird erheblich weiter gehen muffen. Das
Griechifch, das Paulus fchreibt, ift nicht das der xoivtf.
Und die Exiftenz eines Juden-Griechifch' in der Um-
gangsfprache ift durch Kleomedes direct bezeugt (f. m.
Geich, des jüd. Volkes III3 S. 95).

Göttingen. E. Schürer.

Maass, Prof. Ernfl, Griechen und Semiten auf dem Isthmus
von Korinth. Religionsgefchichtliche Unterfuchungen.
Mit einer Abbildung. Berlin 1903, G. Reimer. (IX,
135 S. gr. 8.) M. 3.—

Der durch ihre Anfiedelungen oder Factoreien vermittelte
Einflufs der Phönicier ift oft als ein nicht un-
wefentlicher Factor der griechifchen Culturentwicklung
behandelt worden. Auch theologifche Forfcher haben
ihn vielfach berührt. Ich erwähne z. B. die gründlichen
Unterfuchungen von Baudiffin, Baethgen, R. Smith (f. be-
fonders den Anhang in Stühes deutfcher Ueberfetzung
der Religion der Semiten S. 337 ff). Eine Harke und
wohl zu weit gehende Reaction gegen die Annahme
phönicifcher Einflüffe bezeichnet der Auffatz von Beloch,
Rh. M. IL 1894 S. in —132. Doch fagt auch er: ^Einzelne
phönikifche Cultusgebräuche mögen immerhin fchon früh
nach Griechenland gekommen fein'. Der Verf. unferer
Schrift unternimmt es, die Phönicier aus einer Pofition
zu werfen, die befonders feft und gefichert erfchien, indem
er die Gleichung Melikertes = Melkart beftreitet. Der
Name foll echt griechifch fein, weil er fich als griechifche
Bildung begreifen laffe. jiEXixEQxrjq ift der Honigfehneider,
,der durch Ausfehneiden der Waben den Honig gewinnt',
von ftd/U und xsigeiv. Die Möglichkeit diefer Bildung
facht Maafs fprachgefchicbtlich und fachlich zu erweifen.
Eine urkundliche Beflätigung findet er in zwei antiken 1
Zeugnifsen, die ebenfalls in dem erften Beftandtheile
fielt wiederfinden. Das eine findet fich in einem fpäten !
Zauberpapyrus, das andere in einem feinem Urfprunge j
nach uncontrollirbaren Satze bei Suidas über Simonides
SJtExZrjd-rj fisXtxEQrrjq 61a ro r/öv. Aber Deutungen des
Namens in hiftorifcher Zeit, vielleicht Volksetymologien,
können nichts beweifen. Und die Thatfache, dafs die
Griechen von Götterfremdlingen im ifthmifchen Cultus
nichts gewufst haben (S. 15, vgl. S. 7), iFt für uns eben-
fo wenig mafsgebend, wie das viele, was der griechifche
Rationalismus des fünften Jahrhunderts und der helle-
niftifchen Zeit und die fpätere Theologie vom Urfprung
der griechifchen Götter und Culte, von ihrem Zufammen-
hange mit dem Orient alles wiffen wollen.

Doch M. verficht die Uebereinftimmung feiner Etymologie
mit dem Wefen des Gottes zu beweifen.
Melikertes foll in der That ein Honiggott gewefen fein.
Aber im Grunde wird doch das ursprüngliche Wefen
des Gottes bereits unter Vorausfetzung der Etymologie
nur durch Hypothefe erfchloffen. Die Legende bringt
den Melikertes mit dem Meere, nicht mit dem Honig
in Verbindung. Aber indem die Sage die Ino in Leu-
kothea und den Melikertes in Palaimon fich wandeln
läfst, unterfcheidet fie nach M. die frühere Individualität
von der durch die neue Combination gefchaffenen. Und
diefe frühere Bedeutung des Melikertes, ehe die (nach
M. in Ionien) vollzogene Vereinigung mit Palaimon (,der
die Meeresgeifter niederringt') ihn zum Meerdämon
machte, foll eben die des Honiggottes gewefen fein.
Den ,Beweis' giebt vor allem die Gründungsfage von
Syrakus und Kerkyra (S. 58 ff). Habron flüchtet nach
Korinth und fiedelt fich in dem Dorfe Meliffos an. Dort
wird ihm fein Sohn Meliffos geboren. Meliffos wird
nun als Name einer göttlichen Perfon betrachtet, ,weil
die Griechen nach Göttern und Heroen ihre Ortsnamen

zu bilden pflegten'. Und diefer in der korinthifchen
Landfchaft ,erwiefene' und durch analoge Gehalten erläuterte
Localgott der Bienenwirthfchaft wird mit Melikertes
gleichgefetzt. Die ifthmifchen Spiele follen einft
dem Melikertes gehört und mit dem Wandel im Wefen
des Melikertes auch ihren Charakter geändert haben.
Einft werden fie ,ein ländlich einfaches fröhliches Feft
von patriarchalifchem Zufchnitte' gewefen fein. Der
Anlafs zur Ausgleichung des Melikertes mit Palaimon
wird darin geflieht, dafs die Götter von Wind und Wetter
gern Honig als Opfer erhalten. Zum Schluffe wird
das Verhältnifs von Portunus zu Palaimon behandelt. —
So fcharf M. die einzelnen Probleme gefafst, fo fehr er
damit die Forfchung gefördert hat, feine Löfung ift doch
nur eine Kette febarffinnig begründeter Hypothefen,
deren jede ftarken Zweifeln unterworfen ift. Der Gio-
vannino Michelangelos kann uns das fehlende korinthifche
Melikertesbild doch nicht erfetzen (S. 67). Dafs Maafs'
Belefenheit und Combinationsgabe uns im Einzelnen
reiche Belehrung fpendet (z. B. über Wort- und Namenbildung
, über volksthümliche Vorftellungen von der
Biene und vom Honig, über gemeinfame Sagenmotive bei
verfchiedenen Völkern), braucht nicht erft bemerkt zu
werden. — S. 56 ift Johannes ftatt Dio Chryfoftomos
zu lefen, S. 81 über die Schwurgötter jetzt Hirzel, der
Eid. Ein Beitrag zu feiner Gefchichte, Lpz. 1903, und
Ufener, Rhein. Muf. LVIII S. 18 ff. zu vergleichen.

Doch der principielle Standpunkt des Verfaffers wird
die Leier diefer Zeitfchrift mehr intereffiren als die
Einzelheiten feiner Ausführungen. Den Gegenfatz gegen
die Vertreter der orientalifchen Beeinfluffung griechifeber
Religion hat der Verf. fcharf gefpannt. Bei den Extravaganzen
, die wir auf verfchiedenen Gebieten erlebt
haben, mag man die Schärfe begreifen. Aber wenn
heute kaum jemand jenen Einflufs principiell ausfchliefsen
wird, fo wird man auch in der Erörterung feiner Möglichkeit
nicht einen Frevel gegen das Griechenthum zu fchen
brauchen. Wie in der Frage nach dem babylonifchen
Einflufs auf Israel wird auch hier vielfach die Ueber-
nahme fremden Stoffes in ihrer Bedeutung überfchätzt,
und die eifrigften Verfechter und Gegner des orientalifchen
Einfluffes find vielfach in der Vorausfetzung eins, dafs
der Nachweis folcher Entlehnungen eine Entwerthung des
Griechenthums bedeute. Man follte auch hier nicht vergehen
, dafs für die letzten Werthurtheile nicht die Herkunft
des Stoffes das Entfcheidende ift, fondern der Geift,
der ihn geftaltet, die Form, die ihm aufgeprägt wird.

Kiel. Paul Wendland.

Kaerst, Prof. J., Die antike Idee der Oekumene in ihrer politischen
und kulturellen Bedeutung. Akademifche An-
trittsvorlefung. Leipzig 1903, B. G. Teubner. (III,
34 S. gr. 8.) M. 1.20

Der griechifche Einzelftaat, die oioXiq, ift nicht nur
eine politifche Einheit, fondern zugleich Cultur-Gemein-
fchaft. Der Staat als folcher hat die Aufgabe, alle In-
tereffen der Cultur, Religion, Erziehung der Bürger, ja
eine gemeinfame Lehre, die rechte Philofophie zu pflegen.
Letzteres ift namentlich das Staats-Ideal der grofsen
Philofophen, eines Plato und Ariftoteles. Eben diefe
Philofophen haben aber zugleich durch ihre univerfale
philofophifche Religion die Ausdehnung des griechifchen
Staats-Ideales über den engen Rahmen der griechifchen
Polis hinaus und feine Uebertragung auf das Ganze der bewohnten
Welt angebahnt. Vorläufig vollzogen ift diefer
Procefs in dem Weltreich Alexander's, das fich eben
dadurch von den Reichen der Affyrer und Perfer unterfcheidet
, dafs es nicht nur Einheit der Macht, fondern
Einheit der Cultur darftellen will. Das Reich Alexander's
ift bald zerfallen. In fein Erbe trat das römifche Kaifer-
thum. Innerlich gefertigt und gefördert wurde der