Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1903 Nr. 24

Spalte:

663-667

Autor/Hrsg.:

Busse, Ludwig

Titel/Untertitel:

Geist und Körper, Seele und Leib 1903

Rezensent:

Ritschl, Otto

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

663

Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 24.

664

fchliefslich (1563) auch bei ihm gedruckt worden; nach
Uhlhorn, Urb. Khegius S. 343 Anm. 2 ftimmt das nicht;
Uhlhorn kennt einen Frankfurter Druck erft aus dem
Jahre 1577. Der Brief Nr. 251, den der 2. Band bringen
foll, wird hier aufklären. Bei Gerdt Omeken (S. 267
Anm. 1) wäre vor allen Dingen wohl auf feine von
Knodt verfafste Biographie (Gütersloh 1898) zu verweifen
gcwefen. Die Katechismen von Garcaeus (S. 261 Anm. 1)
und Ritzenberg (S. 336 Anm. 9) habe auch ich in den
mir zur Verfügung flehenden Üeberfichten nicht finden
können: ein Zeichen, dafs trotz der zahllofen fchon bekannten
Katechismen die Katechismusliteratur des 16.
Jahrhunderts doch immer noch neue Funde verheifst.

Wir danken dem Herrn Herausgeber für feine forg-
fältige Arbeit. Er hat uns dadurch den Blick in eine
Zeit ermöglicht, die zum Beften der früheren, anziehenderen
Reformationsgefchichte leicht vernachläffigt wird.
Dem 2. Bande fehen wir gerne entgegen und wünfchten
nur, dafs er neben dem Namenregifter (S. XIII) auch ein
Sachregifter bringen möchte.

Erichsburgb. Markoldendorf (Hann.). Ferdinand C o h r s.

Busse, Prof. Ludwig, Geist und Körper, Seele und Leib.

Leipzig 1903, Dürr'fcheBuchh. (X, 488 S. gr. 8.) M.8.50

Die in dem letzten halben Jahrhundert immer wieder
erörterte Streitfrage nach dem Verhältnifs der phyfifchen
und der pfychifchen Erfcheinungen des menfchlichen
Lebens wird in der vorliegenden Monographie einer fehr
gründlichen und lehrreichen Unrerfuchung unterzogen.
Ihre verfchiedenen Auffaffungen Hellt der Verf. klar und
durchfichtig dar und prüft fie auf ihre Haltbarkeit fcharf-
finnig und in confequenter Gedankenentwickluug. Auf
dem Hintergrunde einer beftimmten, in fich gefchloffenen
eigenen Weltanfchauung überwiegt in feinem Buche durchaus
das kritifche Element. Durchweg fetzt fich der Verf.,
auch wo er felblt zu der Streitfrage Stellung nimmt, mit
den Anflehten Anderer auseinander. So hat er ganz
Recht, zu erklären, dafs fein Buch zugleich eine Streit-
fchrift fei. Indem er kritifirt, nicht indem er die Er-
kenntnifsobjecte, um die es fich handelt, als folche unter-
fucht und erforfcht, entwickelt und vertritt er feine Anflehten
. Bei diefem Verfahren einer manchmal etwas
temperamentvollen und doch die Grenzen einer fachlichen
Polemik nirgends überfchreitenden Kritik vermeidet es
der Verf., fich unnöthig Blöfsen zu geben. Aber indem
er eigentlich nur die Gegner feiner Anficht ins Unrecht
zu fetzen verfucht, fehlt zugleich der Vertretung feines
eigenen Standpunkts die werbende Kraft, die pofitiv gehaltenen
Argumentationen doch in höherem Grade innezu-
wohnen pflegt.

Der Verf. tritt im Allgemeinen für den idealiftifch-
fpiritualiftifchen Standpunkt ein und fcheint für feine
Perfon deffen monadologifch-fpiritualiftifcher Ausprägung
zugethan zu fein. Doch fetzt er diefe feine Metaphyfik
vielmehr ,ftillfchweigend' (S. 479) voraus, als dafs er fie
auch zu begründen fich angelegen fein liefse. Ja, von den
vier möglichen philofophifchen Standpunkten, die er gleich
im Eingang des Buches gegenüber der allgemeinen Frage
nach dem Verhältnifs der geiftigen und der körperlichen
Welt unterfcheidet (1. dem materialiftifchen, 2. dem idea-
liftifch-fpiritualiftifchen, 3. dem dualiftifchen, 4. dem paralle-
liftifch-moniftifchen), fondert er gerade den idealiftifch-
fpiritualiftifchen abfichtlich von vorn herein aus feiner Betrachtung
aus. Auf dem Boden einer rein empirifchen
Auffaffung nämlich, auf dem fich auch derldealift bewegen
mufs, wenn er das Verhältnifs von Geift und Körper behandeln
will, können ,die körperlichen Proceffe, die vom
Standpunkt metaphyfifcher Betrachtung aus fich in geiflige
auflöfen', doch auch nur als ,eine befondere, von den
pfychifchen zu unterfcheidende Art von Gefchehnifsen'
(S. 3) betrachtet werden. Dann aber kann ihr Verhältnifs
zu den geiftigen Vorgängen auch nur als ein folches ent-

1 weder der Parallelität oder der Wechfelwirkung dargeftellt
werden. Unter diefem Gefichtspunkt begnügt fich der
Verf. damit, lediglich die den dualiftifchen Standpunkt
repräfentirende Theorie der Wechfelwirkung auch vielmehr
nur zu vertheidigen, als durch eingehende fachliche
Erörterungen zu begründen. Denn er befchränkt fich,
nach einer nur 2 ij2 Seite füllenden Hervorhebung der
,Vortheile der Theorie', im Wefenlichen auf den Verfuch,
zu beweifen, dafs das mit ihr unvereinbare Princip der
] gefchloffenen Naturcaufalität und das der conftanten Ge-
j fammtenergie in der Welt keine denknothwendigen Sätze,
I fondern blofs Dogmen find, und dafs der nach feiner
Anficht univerfell gültige Satz von der Erhaltung der
| Energie in dem Sinne, dafs fich alle Energie ftets in
äquivalenten Verhältnifsen umwandele, mit ihr nicht unvereinbar
ift. Indem fo aber für die Theorie der Wechfel-
I Wirkung blofs ein negativer Beweis angeftrengt wird, er-
giebt fich im günftigften Falle doch nur ihre Möglichkeit
und nicht etwa auch ihr Anfpruch auf unbedingte Gültigkeit.

Mehr als die Möglichkeit der Wechfelwirkung wäre
aber auch nicht gewonnen, falls es den übrigens fehr
forgfältigen und gewiffenhaften Bemühungen des Verf.'s
gelungen fein follte, nicht nur die materialiftifche, fondern
auch die Theorie des pfychophyfifchen Parallelismus
wirklich zu widerlegen. Gegenüber dem Materialismus
gelangt der Verf. zunächft unter dem erkenntnifstheore-
j tifchen Gefichtspunkt zu dem Ergebnifs, dafs deffen ganzes
Unternehmen fich als eine ,ungeheuere petitio prineipii
enthülle (S. 17). Doch kann ich nicht finden, dafs der
Idealismus auf einer weniger ,ungeheuerenl petitio prineipii
i beruht. Denn alle in fich zufammenhängenden und ab-
I gefchloffenen Weltanfchauungen beruhen im letzten Grunde
1 auf irgend einer petitio prineipii, und alle ihre lebendige
Ueberzeugungskraft (lammt lediglich aus einem folchen
I Element perfönlichen Glaubens, aber nicht aus der ver-
I meintlichen Objectivität, die die eine vor der anderen
etwa voraus haben foll. Der Verf. zwar beruft fich für
| die Wahrheit der idealiftifchen Grundanficht, die er für
.unbeftreitbar, aber zugleich höchft paradox'(S. 18) erklärt,
darauf, dafs ,das Bewufstfein das einzige uns unmittelbar
gegebene Wirkliche' (S. 16) fei. Doch möchte ich dem
gegenüber bemerken, dafs uns unmittelbar gegeben
ftets nur gewiffe Inhalte des Bewufstfeins find, nicht
aber auch diefes felbft in feinem formalen Unterfchiede
von dem Sein, das fich als der jeweilige Inhalt unferer
I Vorftellungen präfentirt. Denn diefe Unterfcheidung und
mit ihr der Begriff des Bewufstfeins überhaupt ift nur
durch Reflexionen erreichbar, alfo uns nicht unmittelbar
gegeben, fondern von uns nur mittelbar erfchloffen.

Für weit triftiger, wenn auch nicht in allem Einzelnen,
fo doch in ihrem Gefammteffect, halte ich die Argumente,
die dann weiter unter dem Titel ,metaphyfifch-pfycho-
logifche Widerlegung'gegen den Materialismus vorgebracht
I werden. Doch bedeutet diefe Polemik gegen den Materialismus
dem Verf. felbft nur ein Vorfpicl für den
I eigentlichen Gegenftand feiner Erörterungen, die Aus-
| einanderfetzung mit dem pfychophyfifchen Parallelismus
| zu Gunften der Wechfelwirkungstheorie. Thatfächlich
j füllt denn auch die Befprechung des Parallelismus faftzwei
j Drittel des ganzen Buches. An diefer Theorie übt der
I Verf., wie er felbft fagt, zunächft eine immanente Kritik,
indem er deren unechte von ihren echten P"ormen zu
fondern unternimmt. Mafsgebend für diefes Verfahren ift
jedoch nur die formale Confequenz des paralleliftifchen
I Gedankens, nicht die Rückficht darauf, dafs den Vertretern
von deffen ,unechten' Formen vielmehr daran liegt,
I fchwierige Erkenntnifsprobleme durch eine den vorliegenden
Thatbeftänden möglichft entfprechende Hypothefe
I aufzuhellen, als eine auch äfthetifch und logilch nach
allen Seiten hin befriedigende metaphyfifche Gefammt-
theorie aufzuftellen. Indem aber lediglich diefes fyftema-
tifchelntereffe die ,immanente' Kritik des Verf.'s beftimmt,
wird zuerft die Auffaffung Wundt's und Münfterberg's, dafs