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Ausgabe:

1903 Nr. 24

Spalte:

656-658

Autor/Hrsg.:

Köhler, Walther

Titel/Untertitel:

Vorläufige Mittheilung über den wiederaufgefundenen Codex Suevo-Hallensis 1903

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Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 24.

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wieder predigen wird, und unter Umftänden, die für feine
Aufnahme die denkbar günftigften waren, die Welt, die
Jefu in feinem Volke gegenüberftand, nicht überwunden
hat, dafs ihn diefe Welt vielmehr ans Kreuz fchlug. —

— War Jefus der gottgefandte Heilbringer und endete
fein Wirken mit feinem Tode, fo mufs diefer Tod zum
Heil der Menfchen benimmt gewefen fein, und feine
Stellung im Evangelium, wie es feit der Apoftel Tagen
durch die Welt geht, ift eine unanfechtbare. Thatfache
ift, dafs diefes Evangelium vom Kreuz die Welt überwunden
hat, und nicht eine Verkündigung von der Vaterliebe
Gottes und von der Pflicht der Nächftenliebe. —

— Darum mufste diefer Tod den Mittelpunkt der apofto-
lifchen Heilsbotfchaft bilden, und dabei wird es bleiben
müffen in der Religion des N.T.' (S. 182 f.). Aber fpricht
diefe Betrachtung wirklich entfcheidend gegen eine Anerkennung
des Evangeliums Jefu als einheitlicher, mafs-
gebender Grundlage der neuteftamentlichen Predigt und
des Chriftentums überhaupt? W. ift doch felbft davon
überzeugt, dafs gerade auch Jefus felbft fchon auf die
von Gott gefügte Nothwendigkeit und heilfame Bedeutung
feines Todes hingewiefen hat. Und andrer-
feits legt er grofses Gewicht darauf, die apoftolifche
Predigt von der Heilsbedeutung des Todes Chrifti dahin
zu deuten, dafs in dem Tode Chrifti die höchfte
Liebesoffenbarung Gottes zu erkennen ift. Was ift denn
für diefe Deutung entfcheidend, wenn nicht der Wunfeh,
die von Jefus felbft verkündigte Erkenntnifs des Wefens
Gottes voll aufrecht erhalten zu können? W. ftellt in
den oben citirten Worten das Evangelium vom Kreuz
gegenüber einer,Verkündigung von der Vaterliebe Gottes
und von der Pflicht der Nächftenliebe'. Aber fafst denn
diefe letztere Formel, die in fehr feicht rationaliftifchem
Sinne verftanden werden kann, wirklich treffend den
Inhalt des Evangeliums zufammen, deffen Verkündigung
das Lebenswerk Jefu ausmachte?

Das vorliegende Werk von W. hat nicht nur durch
die gekennzeichnete einheitliche Gruppirung des ge-
fammten neuteftamentlichen Stoffes einen fyftematifchen
Charakter bekommen, fondern namentlich auch dadurch,
dafs W. die hiftorifche Darftellung der neuteftamentlichen
Gedanken mit Urtheilen begleitet, welche auf die Aus-
einanderfetzung diefer Gedanken mit der kirchlich-dog-
matifchen Ueberlieferung und mit den Problemen der
Gegenwart abzwecken. Er bemerkt zwar im Vorworte,
dafs er nicht ein theologifches Syftem aufbauen, fondern
foweit wie möglich die Schrift felbft und allein reden
laffen wollte. Aber er hat diefen Vorfatz nicht rein
durchgeführt. In fehr discreter und vorfichtiger Form,
aber doch hinreichend deutlich und entfehieden nimmt
er zu allen dogmatifchen Fragen Stellung. So ift fein
Werk thatfächlich eine Art biblifcher Dogmatik geworden,
von mild confervativerRichtung. OhneZweifel werdenViele
dem verehrten Lehrer der neuteftamentlichen Exegefe
von Herzen Dank dafür wiffen, dafs er in diefem zu-
fammenfaffenden Werke feine eigene dogmatifche Stellung
zu dem hiftorifch gegebenen Stoffe des N.T. fo klar dargelegt
hat.

Ein zufammenfaffendes Werk ift es. Hinter ihm
fleht eine ganze Lebensarbeit, die der Erforfchung und
Erklärung des N.T. gewidmet war. Der Verf. giebt in
diefem Buche nirgends eine detaillirte Begründung feiner
Auffaffungen, nirgends eine directe Auseinanderfetzung
mit abweichenden Anfchauungen. Das brauchte er hier
auch nicht. Aber das fühlt der Lefer auf Schritt und
Tritt, dafs er von einem gründlichen Kenner des ganzen
Gebietes geführt wird, dem die Wege Anderer wohl bekannt
find, der aber der Richtigkeit des eigenen Weges
gewifsift, weil er ihn nicht willkürlich und zufällig, fondern
mit forgfamfter Ueberlegung gewählt hat.

Jena. H. H. Wen dt.

Eine neue griechische Schrift des Hippolytus

fand Fr. Cumont im Sommer 1900 in dem Felfenklofter
Sumelas bei Trapezunt. Er hatte die Freundlichkeit, mir
feine Abfchrift zu überfchicken, und ich gebe mit feiner
Erlaubnifs hier eine kurze Nachricht davon, da die Pu-
blication möglicher Weife noch einige Zeit auf fich warten
laffen wird. Cumont felbft hat fchon in der Revue de
Finstruction publique en Belgique 1903 p. 19 f. über diefen
und andere Funde feiner Reife berichtet.

Es giebt einen Katalog des Klofters Sumelas, von
Papadopulos-Kerameus, im Anhang zu Kyriakidis'IöxoQia
rrjq jtctQa rrjv TQastE^ovvta y:ovrq rov UovfisXä (Trapezunt
1898); die Hf. führt dort die Nummer 47 und wird dem
15.—16. Jhdt. zugefchrieben. Unfer Stück hat die Ueber-
fchrift ijcjcoXvtov xasta 'Pojpirjq Xoyoq stagaßoXixoq slq
nagovOav Cparjv xavxrpv xov avd-gmstov xdi jieqI xov oepemq.
Der Inhalt ift kurz folgender. Ein Mann hat in feinem
Hof eine Schlange, von der er weifs, dafs fie giftig ift.
Als er fie tödten will, findet er bei ihr ein Geldftück, und
fo fleht er, in der Hoffnung auf weitere Schätze, von feinem
Vorhaben ab. Die Schlange tödtet nun nach einander das
Pferd, den Sklaven, den Sohn und die Gattin des Mannes,
und bringt endlich ihn felbft durch wiederholte Biffe ums
Leben, da er nach jedem neuen Unheil von dem Ent-
fchlufs, fie zu tödten, durch neue, immer gröfsere Schätze,
die fie ihm bietet, abwendig gemacht wird. Allegorifche
Ausdeutung und fromme Nutzanwendung find reichlich in
die kleine Gefchichte eingeftreut.

Cumont möchte das Stück für unecht halten, und
auch mir fcheint, dafs es im Ganzen keinen hippolytifchen
Charakter trägt. Ein wefentliches Bedenken fcheint mir
fchon das zu fein, dafs es keine eigentliche fchriftftelle-
rifche Form hat; fo für fich kann es im chriftlichen Alterthum
nicht exiftirt haben. Andrerfeits ift fchwerlich zu
j beftreiten, dafs Hippolytus eine folche Anekdote in jede
j feiner Schriften einreihen konnte. Daraus könnte fie excer-
I pirt fein, wobei fie zugleich eine Ueberarbeitung in der
Form erfahren hätte, fo dafs fie wenigftens indirect auf
Hippolytus zurückginge.

Vielleicht trägt diefe Notiz dazu bei, Jemanden, der
J Befferes darüber zu fagen weifs, zu einer Mittheilung zu
veranlaffen.

Königsberg i. Pr. H. Achelis.

Vorläufige Mittheilung über den wiederaufgefundenen Codex
Suevo-Hallensis.

In der Einleitung zum I. Bde. des C. R. bemerkt Bret-
fchneider bei Aufzählung der Melanchthoniana enthaltenden
Codices sub 62): Cod. Suveo-Halensis in bibliotheca
urbis Sueviae Halae continens apographa duarum episto-
larum Melanth., 20 epp. Lutheri, iSepp. Brentii, quas mihi
descripsit Celeb. Tafelms, praefectus bibl. Stutgard. etc.
Hartmann und Jäger in ihrer Brenzbiographie haben
den Codex, wie aus dem Vergleich feines Inhaltes mit
entfpr. Notizen bei Hartmann-Jäger hervorgeht, offenbar
benutzt; bekanntlich haben fie leider darauf verzichtet,
ihre hdfehr. Quellen anzugeben. Seitdem galt der Codex
als verfchollen, wie das Preffel im Vorwort feiner Anec-
dota Brentiana conftatiren mufste. Auf der Suche nach
Brenzifchen Manufcripten ftiefs ich durch liebenswürdige
Vermittlung von Herrn Bibliothekar Dr. Bonhöffer in
Stuttgart auf Cod. Theol. fol. 2oy der Stuttgarter Landesbibliothek
und entdeckte in ihm den Codex Sucvo-Halen-
sis. Offenbar ift er durch Tafel nach Stuttgart gekommen
und dann dort liegen geblieben; er enthält weit mehr, als
Bretfchneider, der ihn allem Anfchein nach nicht felbft
eingefehen hat, angiebt. Ich gebe anbei eine kurze Inhaltsangabe
, foweit mir das in der Kürze und den hier
zur Verfügung flehenden Hilfsmitteln möglich war, anmerkend
, was bekannt ift:

1. Die Haller K. O. = Richter K. O. I aoff., aber vermehrt um
I ein Nachwort. 2. Die Chrifti, Sendordnung von Brenz, erwähnt, aber nicht