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Ausgabe:

1903 Nr. 23

Spalte:

638-640

Autor/Hrsg.:

Hamelmann, Hermann

Titel/Untertitel:

Hamelmann‘s geschichtliche Werke. Kritisch neu hrsg. v. Heinrich Detmer. Band 1: Schriften zur niedersächsich-westfälischen Gelehrtengeschichte. 1. Heft 1903

Rezensent:

Cohrs, Ferdinand

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Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 23.

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her. Das Ganze ift ein Zeugnifs unendlicher Mühe und
Sorgfalt, nüchtern abwägender Objectivität und äufserfter
Genauigkeit. Die Fülle der benutzten Literatur und
Bibliotheken ift erftaunlich.

.Luthers Betbüchlein und feine Vorläufer' und ,die
Kinderfragen der böhmifchen Brüder' machen mit Recht
den Anfang, find aber, wie auch die Magdeburger und
die Wittenberger Bearbeitung der Kinderfragen und der
Katechismus von St. Gallen, nicht im Wortlaut abgedruckt
, weil fie bereits leicht zugänglich find. Im übrigen
wechfeln eigentliche Katechismen (Melanchthon, das
Büchlein für die Laien und Kinder, Bader, Agricola,
Capito, Schultz, Gräter, Althamer, Sam, Brenz, Löner,
Toltz, Zwick) mit Gefprächen (Agricola, Ickelfamer,
Gerhart), biblifchen Gefchichten oder Lefeftücken (Melanchthon
, Kannel, Braunfels), Spruchfammlungen (Melanchthon
, Praccepta ac Doctrinae Domini etc.), Kate-

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gehalten hat, wo fie nur in einer Anmerkung (IV. 331)
geftreift wird. So wäre auch zu conftatiren, dafs Luther
felber die von ihm zuerft für die Beichte gegebene und
fo vielfach nach feinem Vorgang in den Katechismen
zu Grunde gelegte Anfchauung von dem inneren Verhält-
nifse der Katechismusftücke zu einander offenbar im
Grofsen wie im Kleinen Katechismus gänzlich überwunden
und durch die Auslegung aufser Kraft gefetzt hat, wie
ja auch fchon zu der ,Kurzen Form' der Verfaffer IV. 371
andeutet, dafs durch die nachfolgende Auslegung die
einleitende Ueberficht eigentlich wieder durchbrochen ift.
Die Unterfuchung auf den Lehrinhalt der einzelnen Katechismen
fcheint uns daran zu leiden, dafs ihr Hauptaugenmerk
darauf gerichtet ift, die anderswoher bekannten
Lehrmeinungen des jeweiligen Verfaffers in feinem Katechismus
wiederzufinden und ihn fo in eine dogmatifche
Rubrik einzuordnen. Vergl. IV. 392: ,Wenn wir diefe

chismustafeln, Katechismuspredigten und umfaffenderen j Anfchauungen Agricola's kennen, fo verrathen fie fich
Werken wie die von Braunfels, Hegendorfer und Kraut- | uns fchon . . / und ähnliche Wendungen. Uns fcheint

wald, der fchon den Uebergang zur Katechetik bildet.
Der Anhang bringt noch zwei humaniftifche Katechismen
des ausgehenden Mittelalters. Lateinifche und deutfche
Ausgaben find in Parallelcolumnen wiedergegeben. Es
ift hier nicht möglich, auch nur annähernd im Einzelnen
auf den Reichthum des Materials und der forgfältigen
Unterfuchungen dazu einzugehen. Darum mögen ein
paar Anmerkungen genügen. Der Widerfpruch (II. 315),

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weit mehr hervorzuheben bei Katechismen für das Volk
und die Kinder, wie tief und rein religiös und jenfeits
der dogmatifchen Controverfe zumeift diefe Katechismen
gehalten find, fo dafs man auf die Lehrdifferenzen erit
kommt, wenn man fie anderswoher kennt. Der grofse
Strom religiöfen Lebens, der fie alle durchfluthet und
oft den kleinften von ihnen höher hebt, als faft alle die
fpäteren und heutigen Katechismen — man vergleiche

dafs Gräter keine anderen Katechismen gekannt haben nur die Erklärungen des 1. Artikels — verdiente noch
will, löft fich vielleicht fo, dafs Lachmann die betr. mehr und an erfler Stelle unfere Beachtung. Mit feinem
Katechismen benutzt, Gräter aber bei der Fortfetzung Verfiegen verliert fich auch die Einfachheit. So manche
von Lachmann's Arbeit fie nicht gekannt hat. Ich finde von den hier als Lehrdifferenzen angerechneten Stellen
nicht fo grofse Schwierigkeit darin, Lachmann fchon find direct Luther'fche Ausdrücke, insbefondere was hier
fnehr als blofs den Entwurf zuzufchreiben; Gräter thut Agricola vom Gefetze fagt und vom Verfaffer als Ab-
der Wahrheit Genüge, wenn er fich offen nur als den fchaffung des Gefetzes charakterifirt wird (,der Juden
Vollender bezeichnet (III. 322). Und eine Incorrectheit j Sachfenfpiegel'und die Gleichfetzung mit profanen antiken
wärehiereheranzunehmen,alsimanderenFalleeineUnwahr- ! Schriften), und es ift uns nicht ganz verftändlich, wiefo
heit. In den Brenz'fchen Frageftücken fcheint mir, dafs hier Melanchthon am klarften die evangelifche Auffaffung
das 4. Gebot mit zur 3. Bitte gezogen werden follte und j vertreten foll (IV. 393), während eine Seite darauf dem
nur aus Verfehen in die Ueberfchrift zur 2. Bitte gerathen 1 Vorwurf des Agricola recht gegeben wird, wonach

ift (vgl. III. 180 Zeile 14; gegen III. 145 Fufsnote 2). In
den Braunfels'fchen Catalogi ift doch wohl das Neue
Teftament einfach defshalb fo kurz behandelt, weil es

Melanchthon hier ,rückwärts kröche' und wieder in
römifche Werkgerechtigkeit verfiele (IV. 394). Und wenn
z. B. Capito bei den Sacramenten ein ,Gebot' abweift.

weniger Perfonen hat als das Alte, und es fich hier ledig- fo thut er es hier in dem rein religiöfen Sinn, mit dem
lieh um ein Perfonenverzeichnifs mit kurzen Anhalts- er wie auch Luther und viele der vorliegenden Katepunkten
handelt, und ferner die Perfon Jefu nicht in einen chismen überhaupt alle Gebote für den Chriften abweifen
Katalog menfehlicher Helden zu gehören fchien (zu III. 191). j (IV. 384 cf. mit II. 159). Und fo wird man fo oft, was

Ein Druckfehler ift wohl II. 262 Zeile n die Zahl 58 j in dogmatifcher Erörterung alsbald Controverfe wurde,

hier in lebendigem Fluffe als einfache religiöfe Empfindung
finden, an der man fich erbauen kann, wenn man
nicht fein Auge auf die dahinter ,fich verrathende' do^-

ftatt 73 oder 85.

Die zufammenfaffende Darftellung (IV. 229—408)
giebt zuerft in einer allgemeinen Ueberficht von der
Praxis des Mittelalters ausgehend die hiftorifche Entwicklung
rein objectiv an der Hand der Thatfachen bis

matifche Lehrdifferenz einftellt.

Doch das Alles find einzelne Ausftellungen, die nicht

zu Luther's Enchiridion als dem Ziel der Entwicklung, j ins Gewicht fallen gegenüber dem monumentalen Werk
mündend in einer chronologifchen Tabelle. In einem ; mit dem der Verfaffer uns befchenkt hat und für da

zweiten Capitel verfolgen wir die Herausbildung des
Katechismusftoffes bis zu den fünf Hauptftücken und
erhalten eine genaue Zufammenftellung der fonftwie
gebrauchten Stoffe. Das dritte Capitel unterfucht
die Lehrbücher nach ihrer Auslegung, zunachft hin-

ihm mit Fug und Recht von der Göttinger theologifchen
Facultät der Licentiatengrad verliehen wurde. Er fowohl
wie die Gefellfchaft für deutfche Erziehungs- und Schul-
gefchichte, die die Herausgabe ermöglicht" hat, haben
fich damit ein hervorragendes Verdienft um die'wiffen-

fichtlich ihrer Quellen, gegenfeitigen Verwandtfchaft, fchaft und um die evangelifche Kirche erworben, und
benutzten BibelnDerfetzungen, fodann hinfichtheh ihrer dort wie hier wird das Werk in Zukunft ein unentbehr-
äufseren Form und inneren Gliederung, endlich hinficht- hohes fein.

Thalbürgel b, Jena. Hans von Lüpke.

lieh ihres Lehrinhaltes. Das letzte Capitel behandelt den
Ort (Haus, Schule, Kirche) und die Art des Unterrichts,
der im Wefentlichen auf ein Memoriren und Abfragen
hinauskommt. Ueberall hat man den Eindruck grofser riamelmann s, Herrn., Geschichtliche Werke. Kritifch neu
Sachlichkeit und Zuverläffigkeit. Das fubjective Urtheil herausgegeben von Oberbibliothekar Dr. Heinrich D et-
tritt, wie bei folcher Herausgabe natürlich zurück. Nur mer. I. Bd.: Schriften zur niederfächfifch-weftfälifchen
hätte es uns erwünfeht gefchienen die Luther Ichen Kate- Gelehrtengefchichte. 1. Heft De auibusdam West
— _i„ j:„ T7„^^.,nl-te öer FntwirklunP' uberall mit ... &. ' uclo ue quiuusaam west-

chismen als die Endpunkte der Entwicklung uberall mit
hineinzubeziehen und fo z. B. der intereffanten Frage,
wie weit Luther unfere Katechismen gekannt und benutzt,
mehr Raum zu geben, als der Verfaffer hier für erlaubt

phaliae viris scientia claris, qui explosa barbarie
puritatem Romanae linguae toti Germaniae attulerunt,
oratio. (Veröffentlichungen der hiftorifchenKommiffion