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Ausgabe:

1903 Nr. 23

Spalte:

631-633

Autor/Hrsg.:

Dräseke, Johannes

Titel/Untertitel:

Johannes Scotus Erigena und dessen Gewährsmänner in seinem Werke de divisione naturae libri V.(Studien zur Geschichte der Theologie und der Kirche. Neunter Band. Heft 2.) 1903

Rezensent:

Deutsch, Samuel Martin

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Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 23.

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matifch,obwohl hier Geffcken an Gru p p e (Die griechifchen
Culte und Mythen I, 677—683) einen Vorgänger und an
Bouffet (Zeitfchr. für die Neuteft. Wiffenfch. III, 1902,
S. 26—29) einen Nachfolger hat. Der Beweis ruht wefent-
lich auf dem Citat bei Alexander Polyhiftor, der die
Weisfagung der Sibylle über den Thurmbau erwähnt,
dabei aber fagt, dafs ,die Götter' den Thurm durch
Winde zerftört hätten (ot 9-eoi, fo Joseph. Antt. I, 4, 3,
beftätigt durch Abydenus, der ebenfalls den Alexander
Polyhiftor abfchreibt Ens. Chron. ed. Schoene I, 34,
während Eufebius in feiner Wiedergabe des Alexander
Polyhiftor Chron. 1,23 nach richtiger Lesart rov ß-sov
fchreibt). Diefer Plural beweife, dafs Alexander eine
heidnifche Sibyllendichtung, nicht unfere jüdifche benütze
. Dem gegenüber ift zweierlei feftzuftellen: 1) Das
Citat bei Alexander Polyhiftor ftimmt in allen charak-
teriftifchen Zügen, namentlich auch in der Verbindung
der Thurmbaugefchichte mit der Gefchichte von den
Titanen und Kroniden fo fehr mit unferer Sib. III, 97
ff., dafs Geffcken eben deshalb annimmt, dafs die Vorlage
des Alexander auch in unfer Buch III aufgenommen
worden fei. Er erkennt alfo thatfächlich an, dafs die
Vorlage des A. im Wefentlichen mit unferm Text iden-
tifch war, und der Beweis der Verfchiedenheit hängt
lediglich an dem Plural d-eoi. Das ift ein fehr dünner
Faden. Denn wenn Eufebius, der den Text des Alexander
wörtlich wiedergiebt, fich doch erlaubt, den Plural in
den Singular zu ändern, wer will bezweifeln, dafs Alexander
, der den Inhalt des Sibyllengedichtes nur
frei reproducirt, nach feinem Sprachgebrauch den Plural
gefetzt haben könne, auch wenn die Vorlage den Singular
hatte? 2) Alexander fchaltet das Sibyllencitat in
das umfangreiche Stück, das er aus Berofus reproducirt
, ein (Eus. Chron. I, 7ff.), hat alfo bei Berofus
augenfcheinlich keine Thurmbaulegende gefunden
(das Sibyllen-Citat fchon dem Berofus zu vin-
diciren, wie Bouffet will, ift nach dem vorliegenden
Thatbeftand unmöglich). Wenn aber Berofus, der Chal-
däer, keine Thurmbaulegende gehabt hat, dann ift die
Exiftenz einer folchen bei den Babyloniern fehr fraglich.
Die Keil-Infchriften haben bis jetzt nichts darüber ergeben.

Ich mufs von den erften Partien bei Geffcken zu
denlezten eilen, und möchte nur noch zweierlei bemerken:
1) Es fcheint mir nicht erwiefen, dafs das durch Theo-
philus erhaltene Proömium nicht ein ,echtes' Sibyllenftück
ift. Die Sibyllen-Dichtungen find von fehr verfchiedenem
Charakter, uud auch in demfelben ,Buche' ift ja, gerade
auch nach Geffcken's Annahme, oft fehr Verfchieden-
artiges vereinigt. Jedenfalls glaube ich in meiner Gefch.
des jüd. Volkes III, 439h Anm. den Beweis dafür erbracht
zu haben, dafs Lactantius diefes Proömium am Anfang
unferes dritten Buches gelefen hat. G. hat darauf keine
Rückficht genommen. 2) Geffcken äufsert fich wiederholt
mit grofser Beftimmtheit dahin, dafs der Verfaffer
des profaifchen Prologes, welchen nur die eine Hand-
fchriftenclaffe bietet, die von Burefch herausgegebene
,Theofophie' benützt habe. Die Frage, ob das Verhält-
nifs nicht auch umgekehrt fein könne, wird gar nicht
erwogen; und doch fcheint mir dies mindeftens ebenfo
gut möglich zu fein, wie das von Geffcken vorausgefetzte
Verhältniis.

Göttingen. E. Schür er.

Dräseke, Gymn.-Prof. D. Dr. Johannes, Johannes Scotus
Erigena und dessen Gewährsmänner in seinem Werke de
divisione naturae libri V. (Studien zur Gefchichte der
Theologie und der Kirche, herausgegeben von N. Bon-
wetfch und R. Seeberg. Neunter Band. Heft 2.) Leipzig
1902, Dieterich. (III, 67 S. gr. 8.) M. 1.60
Für Erigena bleibt nach der Ausgabe von H. J. Flofs
(Migne, patrol. tat. CXXII, 1853) und den verdienftvollen I
Monographien von Chriftlieb und Huber fowie einigen 1

Specialunteriuchungen noch viel zu thun übrig. Am
meinen wäre eine neue Gefammtausgabe zu wünfchen,
weil für die Conftituirung des Textes fich nicht nur auf
Grund der bisher bekannten Hülfsmittel weit mehr thun
läfst, als von Flofs gefchehen ift, fondern durch die
Auffindung des Codex Bambergensis durch Schmitt
(Programm des neuen Kgl. Gymnafiums zu Bamberg 1900)
ein wichtiger neuer Texteszeuge hinzugekommen ift. Da
eine folche Ausgabe aber wohl nicht fo bald zu erwarten
ift, wäre es gewifs nicht richtig, die Specialforfchung inzwischen
ruhen zu laffen, die vielmehr einer künftigen
Ausgabe wird vorarbeiten müffen. So hat denn Dräfeke
I eineAufgabe, welche von Früheren, befonders Chriftlieb,
zwar nicht unbeachtet gelaffen, aber doch nicht plan-
mäfsig behandelt worden ift, mit feiner bekannten Ge-
lchrfamkeit in Angriff genommen und im Wefentlichen
glücklich gelöft, nämlich die Benutzung der älteren
chriftlichen Literatur bei Erigena im Einzelnen nachzu-
weifen, foweit es fich dabei um wörtliche Aufnahme von
Stellen der Schriftfteller handelt, denn die Erörterung
! über den Einffufs der Gedanken der älteren Theologie
und Philofophie auf die Denkweife des Erigena hat er
von feiner Unterfuchung ausgefchloffen. Dafs er nicht
I überall zu abfchliefsenden Ergebnifsen gekommen ift,
wird ihm Niemand zum Vorwurfe machen, da folche mit
[ den uns z. Zt. zu Gebote flehenden Hülfsmitteln fich in
manchen Punkten wohl überhaupt nicht erreichen laffen.
Das gilt befonders hinfichtlich der fog. Ambigua des
Maximus Confessor; Dr. hat das Verdienft, zum erften
Male feit der Veröffentlichung des griechifchen Textes
i diefes Werkes (S. P. n. Max. Conf. de variis difficilib.
locis Dionysii et Gregorii, Halle 1857) die Beziehung des
Er. zu demfelben genauer unterfucht zu haben; offenbar
war der von Er. benutzte Text von dem in der Oehler'fchen
I Ausgabe vorliegenden des Cod. Gudianus erheblich ver-
j Schieden und manche von Er. angeführte Stellen find
(was Ref. aus eigener Erfahrung beftätigen kann) in diefem
nicht nachzuweifen; hier würde wohl nur die Auffindung
der von Er. benutzten oder einer ihr gleichen Hand-
fchrift volle Klarheit bringen können. — Von Intereffe
ift der Nachweis, dafs Er. die origeniftifche Schrift De
principiis in der Ueberfetzung des Rufinus gelefen hat —>
Dr. druckt S. 29—32 die betr. Stellen mit Angabe der
Varianten gegenüber dem Texte in der Ausgabe von
Redepenning ab. Auch den Bafilius fcheint nach S. 32
1 Er. nur in Ueberfetzungen benutzt zu haben, während
er des Epiphanius ,De fide' (Ancorattis) griechifch gelefen
hat. Den häufig angeführten Gregor von Nazianz kennt
er nur aus Maximus (S. 46 ff.). — Dafs Er. fich über das
Verhältnifs des Gregor von Nazianz und von Nyfsa nicht
klar gewefen fei wird gewöhnlich angenommen, weil er
fie II, 27 ed. Flofs 586 A zwar deutlich unterscheidet,
an anderen Stellen aber fagt: Nyssemis, qui etiam Nazian-
zcnus vocatur und wieder Nazianzenus qtä etiam Nyssaeus
dicitur. Nun glaubt Dr., dafs hier die unrichtigen Zu-
fätze fpäter eingefchoben feien; das liefse fich hören,
wenn nicht die Stelle V, 8. p. 879 C wäre, wo ausdrücklich
Gr. v. Nyffa genannt wird, während Gr. v. Nazianz gemeint
ift. — Hinfichtlich der Lateiner fei nur erwähnt,
dafs, wie Dr. nachweift (S. 14 ff.), in dem Citat De diu. n.
V, 8. p. 877 B Bo'ethius quoque in secundo libro de triui-
tate die Schrift contra Eutychen et Nestorium fo bezeichnet
wird.

Die Frage, ob Er. die LXX benutzt habe, hat Dr.
nicht berührt. Man hat geglaubt, fie auf Grund der
Stelle der Expos, sup. hier. coel. 243 A, vgl. Huber, J. Sc.
Erigena S. 44, negativ beantworten zu müffen, ohne zu
beachten, dafs an anderen Stellen De div. n. II, 16 p.
548 A; IV, 25 p. 856 A; V, 1 p. 861 A Er. fich wirklich
auf die LXX gegenüber dem lateinifchen Text beruft.
Es wird alfo jene Stelle nur dahin zu verftehen fein,
dafs gerade damals, als Er. fie Schrieb, ihm die LXX
nicht zur Hand war.